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noch hörte er ganz ferne sagen: „Zwieback hat sich amüsiert.“

      In seinen Gedanken wiederholte sich das Wort vielmals. Ja, es war herrlich gewesen! – Was war herrlich gewesen? – Langsam sog er den Duft der Rose ein. – Ein Mann hatte sie ihm geschenkt. Mit zwei ganz fremden Männern hatte er etwas Wein getrunken und Aufklärungen über Marineverhältnisse gegeben. – Aber waren es nicht Stunden langentbehrter, gleichfühlender Freundschaft gewesen? – Tanzende Matrosen – Mädchen mit Blicken zärtlicher, opferfähiger Treue fielen ihm ein. Er sah Kameraden mit verschlungenen Armen singend durch Straßen ziehen. – Und wiederum, was bedeutete eine Rose als Geschenk unter Männern! Ach – – !

      Irgend etwas rief tonlos: „Armer Zwieback!“ Und dann: „Reicher Zwieback!“ Und dann wieder: „Armer Zwieback!“ Und wieder: „Reicher Zwieback!“ Und so immer fort, abwechselnd. – Ah – !

      – – – – – – – – – – – – – –

      Zwieback schlief.

      Auf der Straße ohne Häuser

       Inhaltsverzeichnis

      Die Landstraße entlang lief mit äußerster, atemraubender Hast in einem Kleide aus blauem Taft ein schönes Mädchen. Das war die Tochter eines strengen, rechtschaffenen, geachteten und reichen Mannes. Sie bedachte weder den Staub, noch die Hindernisse des Weges; es kam vor, daß sie über einen Stein hinfiel und ein andermal gegen einen Pfahl rannte, die sie beide nicht gesehen hatte, obwohl sie nicht blind war. Auch empfand sie keinen Schmerz von dem Anprall und weinte doch unaufhörlich, wimmerte laut und stammelte angstverwirrte Gebete.

      Ihr Ziel war ein beträchtlich entfernter Teich. Dort wollte sie sich und ein ungeborenes Menschenkind ertränken.

      Es wehte kalt auf der herbstlichen, trockenen Landstraße. In vornehm gemäßigter Eile schritten zwei Damen dahin, begleitet von einem Offizier, der wohl der Gatte der einen, der Vater der anderen sein mochte.

      Der kindische Ton einer Hupe bewog sie, zur Seite zu treten; und ein Gefährt überholte sie, ein graues Automobil, in dem eine graue Mumie hockte. Es raste vorüber, zwei häßliche Schweife schwelenden Rauches nachziehend, und verschwand auf der Höhe des Weges in einer Wolke wirbelnden Staubes. Einmal erklang noch das lächerliche Hupensignal, gleich darauf ein heller menschlicher Laut, etwa wie der Juchzer eines Tirolers, und öde Stille blieb zurück.

      Die Fußgänger setzten ihren Weg fort unter Äußerungen des Unwillens. Dann bemühten sich die Damen, ein heiteres Gespräch aufzubringen, um den Wind nicht zu hören, der sich mit leisem Klagen durch Telegraphendrähte wand, und plötzlich rief die Jüngere: „O Gott, da liegt jemand!“

      Mitten auf der Straße, im Schmutze ausgestreckt, lag ein junges Mädchen im blauen Taftkleid. Ihr rechter Arm war unnatürlich verrenkt, und vom linken Backenknochen an, quer über die Stirn, war ihr der Kopf gespalten, als wäre ein Pflug darübergegangen. Aus der Furche quoll die Gallertmasse von einem ausgelaufenen Auge, mit Fetzen vom Gehirn vermengt, und schwarzrotes Blut war über das noch jugendliche Gesicht verspritzt, sickerte durch zusammengeklebtes Haar.

      Ein Aufschrei aus drei Kehlen flüchtete über die Felder, vielleicht von fern auch wie der Juchzer eines Tirolers anzuhören. Die Lebenden umstanden die Tote minutenlang starr, aufrecht, mit äußerst geweiteten Augen, mit gespreizten Fingern. Nun bückte sich der Offizier, schob die Lippen des Mädchens auseinander und sagte nach einiger Zeit ergriffen: „Es hängt ein Glück an ihrem Unglück – sie ist tot. – – – Sie, heda! Kommen Sie rasch!“ Das letzte, laut gerufen, galt einem hageren Manne, der gebückt, langsam des Weges kam und ein Bummler, ein Landstreicher zu sein schien. Er mußte den Zuruf verstanden, die Situation der Wartenden erkannt haben, aber er beschleunigte durchaus nicht seine Schritte.

      „Ein Unfall – laufen Sie nach der Stadt! Holen Sie einen Arzt, einen Wagen, – Polizei! Wir bleiben inzwischen hier.“

      Der Fremde trat schweigend an die Gruppe heran. Sein trockenes, wirres Haar bedeckte die Hälfte einer niedrigen Stirn und verlieh dem langen, gelblichen Gesicht einen Ausdruck von Trotz und Beschränktheit. Der Unterkiefer hing schlaff herab; es sah aus, als könnte er ihn nicht bewegen. Der Mann stieß seine schmutzigen Hände geballt in die Rocktasche, zog die Achseln hoch und betrachtete mit fast tierischen, rücksichtslosen Blicken die beiden Damen, welche unverborgen weinten, während sie den entstellten Körper am Boden mit ihren Schals und Taschentüchern zudeckten. Mit zusammengezogenen Brauen, finster und streng, verfolgte der Offizier dabei das Benehmen des Landstreichers, wohl nach einem Zeichen von Mitleid oder Erschütterung spähend.

      „So eilen Sie doch! Schnell, schnell!“

      Der Mann wandte sich dem ernsten, sichtlich entrüsteten Herrn zu und lallte, wie betrunken, mit blöder Stimme: „Schenken Sie mir was.“

      Die Augenbrauen des anderen zogen sich noch mehr zusammen. „Ja doch, gewiß, Sie werden bezahlt. Laufen Sie nur! Haben Sie denn gar kein Herz? Laufen Sie! Marsch!“

      Der Bummler blieb stehen und hielt dem Sprecher die flache Hand hin. In diesem Augenblick ward ein Radfahrer sichtbar. Sofort schwenkte der Offizier seine Mütze, zur Eile treibend, aber an seinen hochgehobenen Arm klammerte sich jetzt der Landstreicher, indem er hartnäckig, beinahe wie drohend, wiederholte: „Schenken Sie was.“

      Die ältere Dame warf ihm eine Börse vor die Füße. Gleichzeitig traf ihn eine Reitgerte in hartem Schlag, daß er zurücktaumelte und aufstöhnend die Hände an den Hals preßte.

      Der Radfahrer sprang indes vom Sattel. Als er sich den Mund zuhielt und mit der Zunge schnalzte, sah und hörte es sich an wie tiefes, aufrichtiges Entsetzen. Darauf zog er in unwillkürlicher Pietät seine Mütze und wartete wortlos, mit fragenden Augen auf eine Erklärung. Und als er diese und höflich befehlende Instruktion erhalten hatte, bestieg er mit rührender Eilfertigkeit seine Maschine und fuhr dem nächsten Orte zu.

      In entgegengesetzter Richtung wankte der Landstreicher davon. Er hatte die Hände überm Nacken gefaltet, und als er sie sinken ließ, entblößte er einen blutunterlaufenen Striemen am Hals. – Aber er lachte von Zeit zu Zeit leise vor sich hin. Sein Kopf war zur Brust geneigt. Der Unterkiefer hing schlaff herab, und die Augen waren bis auf einen kleinen Spalt geschlossen.

      Er wankte dahin und lachte von Zeit zu Zeit leise vor sich hin. Dann betrat er den Wiesenrand, um sich vor einer Telegraphenstange niederzulassen, die er mit Armen und Beinen umschlang. So blieb er still sitzen. Man hätte meinen können, er wäre an der Stange heruntergerutscht; man hätte auch meinen können, er küßte sie wie eine Geliebte, denn er hatte den offenen Mund fest auf das tönende Holz gedrückt. So verharrte er stumm.

      Es zogen ein paar Studenten vorbei, die über ihn lachten und weitergehend einander von eigenen Heldentaten erzählten, die sie im Rausche vollbracht hatten. Es kamen Leute vorüber, die sich entrüstet abwandten und von der Torheit Erwachsener sprachen. Ein Dichter blieb stehen. Dieser Mann, dachte er, hört einem Holzpfahl zu – – ein berauschter Obdachloser, der Stimme des Weltverkehrs lauschend. Das fand der Dichter schön, freute sich und wollte den Andächtigen nicht stören. Wieder andere Menschen näherten sich; die versuchten den Bummler aufzuwecken, wähnend, er schliefe. Sie entdeckten, daß er tot war.

      Männer wurden gerufen, welche feststellten, daß er einen Pfandschein aus Hamburg und ein Messer mit der Inschrift „Chikago 107“ bei sich trug. Andere Männer konstatierten, daß er verhungert, daß er aus Mangel an Nahrung gestorben war, und wieder andere legten ihn in einen ganz neuen, gegen Schnee und Regen schützenden Sarg und begruben ihn.

      Es blieb die Frage übrig: Wer ist der Mann? – Eine Frage, die wie etwas Spinnenartiges kaum bemerkbare Beine und Fühler weit hinaus ins Land reckte, feine Fäden verknüpfte und staubige Akten durchirrte. –

      In das Haus eines strengen, rechtschaffenen, geachteten und reichen Gutsbesitzers drang derweilen tiefes Herzeleid. Die einzige Tochter, die er mit ebensoviel Fürsorge als Erfolg erzogen hatte, war das Opfer

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