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beug­te sich über ihn.

      »Ma­chen Sie mir nur den Rie­men los, lie­bes Fräu­lein«, bat er, »ein ver­damm­tes Ding! Die gan­ze Zeit habe ich ihn nicht zu fas­sen ge­kriegt.«

      »Sind Sie ver­letzt?« frag­te sie.

      Er schlüpf­te aus dem Rie­men her­aus und be­fühl­te sei­nen ver­dreh­ten Arm.

      »Nein, ge­sund wie ein Fisch! Auch der Arm, Gott sei Dank.«

      Er streck­te die schmut­zi­ge Hand nach ei­ner nied­ri­gen Tan­ne aus und wisch­te sie an den Zwei­gen ab.

      »Also stel­len Sie sich vor, ich stol­pe­re über die­se klei­ne Dreck­wur­zel da, und – bums! – lie­ge ich wie eine Schild­krö­te mit­ten im Dreck und kann den Rie­men nicht zu fas­sen krie­gen. Eine gan­ze Stun­de lie­ge ich schon so da; die an­de­ren zie­hen da un­ten vor­bei, und kei­ner sieht mich. Im­mer­hin, ich hab’ mich aus­ge­ruht.«

      »Wa­rum ha­ben Sie nie­mand ge­ru­fen?«

      »Dass ei­ner zu mir her­auf­klet­tern soll? Die ar­men Teu­fel ha­ben mit sich selbst ge­nug zu tun! Wenn ich mir vor­stel­le, mich lässt ei­ner da her­auf­krab­beln, nur weil er aus­ge­rutscht ist … Aus dem Dreck her­aus­zie­hen würd’ ich ihn schon, aber dann ihm das Fell ver­to­ba­ken und ihn zu­letzt wie­der hin­ein­schmei­ßen. Au­ßer­dem konn­te ich mir ja den­ken, dass schließ­lich auch mal hier je­mand vor­bei­kommt.«

      »Sie pas­sen hier­her! Sie sind der rich­ti­ge Mann für dies Land.«

      »Bin ich auch!« sag­te er, wuch­te­te sei­nen Pa­cken auf die Schul­ter und trab­te los. »Auf je­den Fall hab’ ich mich or­dent­lich aus­ge­ruht.«

      Der Weg ging jetzt steil ab­wärts durch einen Mo­rast zum Flus­sufer. Eine schlan­ke Kie­fer lag als Brücke über dem to­sen­den Schaum. In der Mit­te bog sich der Stamm so tief, dass er das Was­ser be­rühr­te. Wel­len schlu­gen da­ge­gen und setz­ten ihn in zit­tern­de Be­we­gung. Die Stie­fel der Pack­trä­ger hat­ten sei­ne vom Was­ser über­spül­te Ober­flä­che glatt­ge­schlif­fen. Über zwan­zig Me­ter maß die­se schwan­ken­de, ge­fähr­li­che Brücke. Fro­na be­trat sie, fühl­te, wie das Vi­brie­ren un­ter ih­rem Ge­wicht hef­ti­ger wur­de, hör­te das Rau­schen des Was­sers, sah das wil­de To­sen – und schau­der­te zu­rück.

      Sie hock­te sich am Weg nie­der und tat, als wäre sie mit ih­rem Schuh­werk be­schäf­tigt, denn In­dia­ner tra­ten aus dem Wald her­vor. Vier kräf­ti­ge Män­ner schrit­ten vor­an, ih­nen folg­te eine Schar von schwer be­las­te­ten Frau­en mit Kin­dern, und den Schluss mach­te ein Dut­zend Hun­de, de­nen die Zun­ge zum Hal­se her­aus­hing. Auch die Hun­de und so­gar die kleins­ten Kin­der wa­ren be­packt.

      Im Vor­bei­ge­hen mach­te ei­ner der Män­ner eine Be­mer­kung über Fro­na. Sie ver­stand die Wor­te nicht, aber das hel­le Ki­chern, das durch den gan­zen Zug lief, trieb ihr die Scham­rö­te in die Wan­gen.

      Der Füh­rer trat bei­sei­te; dann be­schritt ei­ner nach dem an­de­ren den ge­fähr­li­chen Pfad. Kei­ner durf­te an­tre­ten, ehe der letz­te jen­seits das Ufer er­reicht hat­te. In der Mit­te, wo der Stamm sich bog, wur­de er vom Ge­wicht des Men­schen tief un­ter die Was­ser­flä­che ge­drückt. Es war schwer, den Halt zu wah­ren, wenn der kal­te, rei­ßen­de Strom die Knö­chel über­spül­te. Aber selbst die Klei­nen gin­gen ohne Zö­gern hin­über, nur die Hun­de win­sel­ten und muss­ten ge­trie­ben wer­den. Als der Füh­rer schon den Stamm be­tre­ten hat­te, dreh­te er sich zu Fro­na um:

      »Dort oben ist der Weg für Pfer­de«, sag­te er und wies auf die Berg­wand. »Du gehst bes­ser den Weg für Pfer­de! Das hier ist nichts für dich.«

      Fro­na schüt­tel­te den Kopf und war­te­te, bis er am an­de­ren Ufer stand. Dann setz­te sie den Fuß auf den Baum­stamm und schritt in den wir­beln­den Schaum hin­ein, wäh­rend die Au­gen des frem­den Vol­kes auf ihr ruh­ten. Ihr Herz krümm­te sich vor Angst, aber so viel war sie ih­rem Stolz und ih­rer Ras­se schul­dig.

      *

      Sie traf einen Mann, der wei­nend am We­grand saß. Er hat­te einen Schuh aus­ge­zo­gen; sein Fuß war ge­schwol­len und wund­ge­lau­fen. Rings um ihn lag sein schlecht ver­schnür­tes Ge­päck zer­streut.

      »Kann ich Ih­nen hel­fen?« frag­te sie.

      »Mir kann kei­ner mehr hel­fen. Der Rücken ist bei­na­he ge­bro­chen, die Füße sind ka­putt.« Er heul­te laut: »Mei­ne Ka­me­ra­den ha­ben mich im Stich ge­las­sen und sind wei­ter­ge­zo­gen. Aber ich kom­m’ kei­nen Schritt mehr von der Stel­le. Ach, mei­ne Frau, mei­ne Kin­der! Ich hab’ sie in den Staa­ten ge­las­sen … nie wer­de ich sie wie­der­se­hen. Ich muss ster­ben, was soll ich sonst nur tun? Was soll ich nur tun?«

      »Wa­rum ha­ben Ihre Ka­me­ra­den Sie ver­las­sen?«

      »Weil ich nicht so stark bin wie sie. Weil ich nicht so schlep­pen kann wie sie. Aus­ge­lacht ha­ben sie mich und sind wei­ter­ge­gan­gen.«

      »Aber Sie sind stark und jung, Sie wie­gen min­des­tens Ihre hun­dert­fünf­zig Pfund und ha­ben kein Fett am Leib.«

      »Hun­dert­fünf­und­fünf­zig.«

      »Hat Ih­nen je was ge­fehlt?«

      »Nein.«

      »Und Ihre Ka­me­ra­den? – Sind das alte Gold­grä­ber?«

      »So we­nig wie ich. Wir ha­ben im sel­ben Ge­schäft ge­ar­bei­tet. Wir ken­nen uns seit Jah­ren! Und da ge­hen sie hin und las­sen mich ein­fach im Dreck lie­gen, da­mit ich kre­pie­re.«

      »Mein lie­ber Mann«, sag­te Fro­na streng, »Sie könn­ten ge­nau das­sel­be leis­ten, aber Sie sind weich­lich, Sie ha­ben Mit­leid mit sich selbst. Sie kön­nen nicht mit, weil Sie nicht wol­len. Das ist kein Land für Sie. Hier braucht man an­de­re Män­ner! Die Kno­chen ha­ben nichts zu sa­gen, auf das Herz komm­t’s an, und das ha­ben Sie nicht. Ver­kau­fen Sie Ihren Kram, und fah­ren Sie nach Hau­se zu Ihren Kin­dern. Hier kön­nen wir Sie nicht brau­chen, hier ge­hen Sie ein, und was hat Ihre Fa­mi­lie dann? Ma­chen Sie, dass Sie in drei Wo­chen wie­der zu Hau­se sind, und schla­gen Sie sich die Gold­grä­be­rei aus dem Kopf! Le­ben Sie wohl.«

      Die Mit­tags­son­ne brann­te auf das Fels­ge­wirr nie­der, das die »Stei­ner­ne Waa­ge« heißt. Zu bei­den Sei­ten er­ho­ben sich vom Eis ge­furch­te Er­drif­fe nackt und in ih­rer Nackt­heit stark. An der Wand des stur­mum­braus­ten Chil­coot-Fel­sens kroch eine Rei­he von Män­nern em­por, eine dün­ne, end­lo­se Ket­te. Vom Ran­de des ver­krüp­pel­ten Wal­des un­ten zog sie sich wie ein schwar­zer Strich über die blen­den­de Eis­flä­che, be­weg­te sich im Schneck­en­tem­po die stei­le Bö­schung hin­an, wur­de im­mer schwä­cher und dün­ner, bis sie wie eine Ko­lon­ne von Amei­sen jen­seits des Pas­ses ver­schwand.

      Wäh­rend Fro­na am Wege kau­er­te und ihr Früh­stück ver­zehr­te, hüll­te sich der Chil­coot in wal­len­de Ne­bel und wir­beln­de Wol­ken. Dann brach ein Un­wet­ter, von Ha­gel kra­chend, auf die müh­se­lig vor­drän­gen­den Zwer­ge ein. Das Ta­ges­licht er­losch, aber Fro­na wuss­te: im­mer wei­ter, im­mer wei­ter zog sich dort oben die lan­ge Rei­he von Amei­sen hin, an den Berg ge­klam­mert, un­er­müd­lich, im­mer tiefer in die Wol­ken hin­ein. Der ewi­ge Wil­le zum Sieg die­ser Men­schen durch­beb­te sie. Jetzt trat auch sie in die Rei­he ein, die aus dem Sturm hin­ter ihr auf­tauch­te und im Sturm vor ihr ver­schwand.

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