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oder nicht? Das ist der Kern der Fra­ge.«

      Als Wat­son zu er­zäh­len ver­such­te, wie Pat­sy sich durch das Sto­ßen mit dem Kopf das Ge­sicht ver­letzt hat­te, wur­de er ab­ge­wie­sen und ver­höhnt.

      »Sind Sie sich klar über die Hei­lig­keit des Ei­des, den Sie ab­ge­legt ha­ben, und dass Sie hier, auf dem Zeu­gen­stand, nur die Wahr­heit sa­gen dür­fen?« frag­te der Rich­ter. »Was Sie jetzt er­zählt ha­ben, ist ein Mär­chen. Es ist nicht wahr­schein­lich, dass ein Mann sich auf die­se Wei­se ver­let­zen soll, dass er ge­gen Ihren Kopf schlägt. Sie sind ein ver­nünf­ti­ger Mensch. Ist das un­wahr­schein­lich oder nicht?« »Im Zorn sind die Men­schen un­ver­nünf­tig«, ant­wor­te­te Wat­son sanft. Die­se Ant­wort kränk­te Rich­ter Wit­berg tief und er­füll­te ihn mit ge­rech­tem Zorn.

      »Wel­ches recht ha­ben Sie, das zu sa­gen?« rief er. »Es ist eine ganz über­flüs­si­ge Be­mer­kung. Sie hat nichts mit dem vor­lie­gen­den Fall zu tun. Sie be­fin­den sich hier als Zeu­ge, und es han­delt sich um Tat­sa­chen. Das Ge­richt wünscht kei­ne Mei­nungs­äu­ße­run­gen von Ih­nen zu hö­ren.«

      »Ich habe nur Ihre Fra­ge be­ant­wor­tet, Herr Rich­ter«, ant­wor­te­te Wat­son be­schei­den.

      »Das ha­ben Sie durch­aus nicht«, keif­te der Rich­ter, »und ich möch­te Sie war­nen, Ver­ehr­tes­ter, und Ih­nen sa­gen, dass Sie sich durch eine sol­che Un­ver­schämt­heit ein re­spekt­wid­ri­ges Be­neh­men zu­schul­den kom­men las­sen. Und ich möch­te Sie wis­sen las­sen, dass wir hier in die­sem klei­nen Ge­richts­lo­kal Ge­setz und Höf­lich­keit zu wah­ren wis­sen. Ich schä­me mich für Sie.«

      Und als der nächs­te spitz­fin­di­ge Zank zwi­schen Rechts­an­walt und Staats­an­walt sei­nen Be­richt über die Vor­gän­ge im »Ven­dô­me« un­ter­brach, sah Wat­son ohne Bit­ter­keit, auf­ge­räumt und nie­der­ge­schla­gen zu­gleich, wie die große po­li­ti­sche Or­ga­ni­sa­ti­on sich vor ihm er­hob, die­se große und doch so klein­li­che Ban­de, die das Land re­giert, die un­ge­straf­te, scham­lo­se Schwin­del­ver­wal­tung in tau­send Städ­ten, hin­ter der das spin­nen­ar­ti­ge Un­ge­zie­fer der Räu­ber steht. Hier sah er einen Er­folg ih­rer Tä­tig­keit – ein Ge­richt und einen Rich­ter, die von der ge­hei­men po­li­ti­schen Or­ga­ni­sa­ti­on ge­zwun­gen wur­den, für einen Knei­pen­wirt zu ar­bei­ten, weil der Knei­pen­wirt Ein­fluss auf eine An­zahl von Wäh­ler­stim­men hat­te.

      Als der Streit sei­nen Hö­he­punkt er­reicht hat­te, lach­te er ein­mal laut auf, was ihm einen dro­hen­den Blick von Rich­ter Wit­berg ein­brach­te. Schlim­mer, tau­send­mal schlim­mer wa­ren die­se pol­tern­den An­wäl­te und die­ser pol­tern­de Rich­ter als die gröbs­ten Steu­er­män­ner auf den ärgs­ten Höl­len­schif­fen, die nicht nur schimpf­ten, son­dern sich selbst auch gut zu de­cken ver­stan­den. Die­se ge­mei­nen Lum­pen­ker­le such­ten ih­rer­seits Schutz hin­ter der Ma­je­stät des Ge­set­zes. Sie schlu­gen, aber man durf­te nicht wie­der­schla­gen, denn hin­ter ih­nen stan­den Ge­fäng­nis­zel­len und die Stä­be stump­fer Po­li­zis­ten. Aber er war doch nicht bit­ter. Dank sei­nem Sinn für Hu­mor ver­gaß er die gro­be Un­ge­rech­tig­keit und Schlei­mig­keit der gan­zen Sa­che über ih­rer un­be­ding­ten Lä­cher­lich­keit.

      End­lich glück­te es ihm trotz al­ler bru­ta­len Un­ter­bre­chun­gen, einen kla­ren und ein­fa­chen Be­richt des Ge­sche­he­nen zu er­stat­ten, und in ei­nem krie­ge­ri­schen Kreuz­ver­hör wur­de sei­ne Dar­stel­lung in kei­nem we­sent­li­chen Punkt ent­kräf­tet. Sie war weit ver­schie­den von den mein­ei­di­gen Dar­stel­lun­gen Pat­sys und sei­ner bei­den Zeu­gen.

      Pat­sys An­walt und der Staats­an­walt über­lie­ßen die An­ge­le­gen­heit dem Ge­richt zur wei­te­ren Be­hand­lung, ohne sich noch ein­mal zu äu­ßern. Wat­son pro­tes­tier­te, wur­de aber durch den Staats­an­walt zum Schwei­gen ge­bracht, der ihm mit­teil­te, dass er der öf­fent­li­che An­klä­ger wäre und schon wüss­te, wie er sich als sol­cher zu ver­hal­ten hät­te.

      »Pat­sy Horan hat er­klärt, dass er in Le­bens­ge­fahr und ge­zwun­gen war, sich zu ver­tei­di­gen.« So be­gann das Ur­teil, das Rich­ter Wit­berg fäll­te. »Herr Wat­son hat ge­nau das­sel­be er­klärt. Bei­de ha­ben ge­schwo­ren, dass der Geg­ner als ers­ter schlug, je­der hat ge­schwo­ren, dass der an­de­re ihn ohne Grund über­fal­len hat. Es ist ein Grund­satz des Ge­set­zes, dass der Zwei­fel dem An­ge­klag­ten zu­gu­te kommt. Es gibt in die­ser Sa­che gu­ten Grund zum Zwei­fel. Des­halb wird in der Sa­che ge­gen Car­ter Wat­son be­sag­tem Car­ter Wat­son der Zwei­fel zu­gu­te ge­hal­ten, und er ist frei­zu­spre­chen. Eben­so steht es in der Sa­che ge­gen Pat­sy Horan. Auch ihm wird der Zwei­fel zu­gu­te ge­hal­ten, und er ist frei­zu­spre­chen. Mein Rat ist da­her, dass bei­de An­ge­klag­ten sich die Hän­de ge­ben und sich ver­glei­chen.«

      Die ers­te Über­schrift, auf die Wat­sons Blick an die­sem Nach­mit­tag in den Zei­tun­gen fiel, war: »Car­ter Wat­son frei­ge­spro­chen.« In ei­ner zwei­ten Zei­tung stand: »Car­ter Wat­son straf­los aus­ge­gan­gen.« Den Vo­gel aber schoss eine Zei­tung ab, die so be­gann: »Car­ter Wat­son ein gu­ter Kerl.« Im Text las er, dass Rich­ter Wit­berg bei­den Geg­nern ge­ra­ten hät­te, sich die Hand zu ge­ben, was sie auch so­fort ge­tan hat­ten. Fer­ner las er:

      »›Wol­len wir nicht einen dar­auf trin­ken?‹ sag­te Pat­sy Horan.

      ›Ja­wohl, das wol­len wir‹, sag­te Car­ter Wat­son. Und Arm in Arm wan­der­ten sie in die nächs­te Gast­wirt­schaft.«

      IV

      Die gan­ze Ge­schich­te ließ durch­aus kei­ne Bit­ter­keit in Wat­son zu­rück. Es war eine Er­fah­rung ganz neu­er Art, die er ge­macht hat­te, und sie gab ihm die Idee zu ei­nem neu­en Buch.

      Ein Jahr dar­auf stieg er ei­nes Som­mer­mor­gens auf sei­nem Land­sitz vom Pfer­de und klet­ter­te eine klei­ne Schlucht hin­an, um sich ei­ni­ge Berg­far­ne an­zu­se­hen, die er im vo­ri­gen Win­ter ge­pflanzt hat­te. Als er die Schlucht hin­ter sich ge­las­sen hat­te, ge­lang­te er auf eine sei­ner von Blu­men über­sä­ten Wie­sen, ein herr­li­ches, ein­sa­mes Plätz­chen, das durch nied­ri­ge Ber­ge und Baum­grup­pen von der Welt ab­ge­son­dert war. Und hier traf er einen Mann, der of­fen­bar von dem Som­mer­ho­tel in dem un­ge­fähr eine Mei­le von hier lie­gen­den Städt­chen kam und sich auf ei­nem Spa­zier­gang be­fand. Sie stie­ßen auf­ein­an­der und er­kann­ten sich ge­gen­sei­tig. Es war Rich­ter Wit­berg. Im üb­ri­gen war es aus­ge­spro­che­ner Haus­frie­dens­bruch, denn Wat­son hat­te an der Gren­ze sei­nes Be­sit­zes Schil­der mit der Auf­schrift »Zu­tritt ver­bo­ten« auf­ge­stellt, wenn er dies Ver­bot auch nie streng hand­hab­te. Rich­ter Wit­berg reich­te ihm die Hand, aber Wat­son nahm sie nicht.

      »Es war eine schmut­zi­ge Sa­che, nicht wahr, Herr Rich­ter«, mein­te er. »Ach ja, ich sehe Ihre Hand gut, aber ich ma­che mir nichts dar­aus, sie zu drücken. Die Zei­tun­gen schrie­ben, dass ich Pat­sy Horan nach der Ge­richts­ver­hand­lung die Hand ge­ge­ben hät­te. Sie wis­sen, dass ich es nicht tat, aber ich kann Ih­nen ver­si­chern, dass ich tau­send­mal lie­ber ihm und sei­nen schuf­ti­gen Freun­den die Hand drücken wür­de als Ih­nen.«

      Rich­ter Wit­berg war un­an­ge­nehm be­rührt und ver­wirrt, er räus­per­te sich, stot­ter­te und ver­such­te et­was zu sa­gen, und da hat­te Wat­son, der da­stand und ihn an­sah, plötz­lich einen Ein­fall.

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