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wollen wir nicht länger verweilen, ich bin müde und bedarf der Ruhe.“

      Er war kaum verschwunden, als sich Lady Roysdons gelangweilte Miene jäh veränderte. Sie lauschte einige Augenblicke, um sicher zu sein, daß er nicht schon wieder zurückkehrte. Dann durchquerte sie leichtfüßig den Raum und kletterte durch das offene Fenster in den Garten, was ihr in dem dünnen Tüllkleid mühelos gelang. Nachdem sie sich unten orientiert hatte, lief sie über den Rasen auf ein paar Lichter zu, die hinter den Büschen flackerten. Wie sie richtig vermutet hatte, gehörten sie zu den wartenden Kutschen, unter denen sie ihre eigene ohne Schwierigkeit fand.

      Hancocks, der Kutscher - seit vielen Jahren im Dienste der Familie ihres Mannes - saß dösend auf dem Bock. Jake, ein junger Mann, den sie erst in Brighton als Reitknecht engagiert hatte, unterhielt sich mit einigen Kollegen.

      Lady Roysdons Erscheinen löste zunächst einige Überraschung aus, doch Jake faßte sich schnell, griff nach seinem Hut mit Kokarde, der achtlos auf dem Boden lag, setzte ihn auf und erkundigte sich.

      „Sie wünschen zu fahren, Mylady?“

      Auf ihre bejahende Antwort hin beeilte er sich, ihr die Kutschentür zu öffnen und eine Pelzdecke über die Knie zu breiten.

      „Nach Hause, Mylady?“

      „Nach Hause“, bestätigte sie, „und Hancocks soll die Hauptstraße meiden. Es gibt da, glaube ich, noch eine andere Straße über die Downs.“

      Die Tür wurde geschlossen, die Pferde setzten sich in Bewegung. Die Kutsche rollte an der langen Reihe - wartender Wagen vorbei.

      Nach einer Viertelmeile verließen sie die Brighton Road und bogen in eine schmale, staubige Straße ein. Lady Roysdon hatte gute Gründe, diese Route zu wählen. Die vier Pferde des Grafen hätten ihr eigenes Gespann leicht einholen können, sie traute ihm durchaus zu, daß er sie anhalten und darauf bestehen würde, daß sie zu ihm in den Wagen stieg, mochte sie wollen oder nicht. Auf engem Raum allein würde es schwer sein, sich den Grafen vom Leibe zu halten. Die Straße über die Downs war länger und holpriger, versprach aber mehr Sicherheit und das war alles, was zählte.

      Sie machte es sich in einer Ecke der gutgepolsterten Kutsche bequem und ließ die Pelzdecke auf den Boden rutschen. Nachdem sie das Fenster heruntergedreht hatte, umfächelte die vom Meer kommende Brise ihre Wangen und vertrieb die Beklemmungen, die sie befallen hatten, als sie den Grafen im Ballsaal vorgefunden hatte.

      Es war ihr nicht klar, was sie in Bezug auf seine Person tun sollte. Anders als vor zwei Jahren wußte sie jetzt, daß sie ihn niemals heiraten würde, selbst wenn sie morgen schon frei wäre. Er hatte etwas an sich, was sie abstieß, obwohl er sie amüsierte. Und weil er sie amüsierte, hatte sie ihn den anderen Männern vorgezogen, die auf jede nur mögliche Art versucht hatten, sie davon zu überzeugen, daß eheliche Treue für eine Frau von Welt nur ein Witz und keine Tugend wäre. Wenn dann alle Schmeicheleien und Bitten erfolglos blieben, machten sich die meisten Galane auf die Suche nach leichter zu erobernden Opfern, doch der Graf war geblieben.

      Lady Roysdon beschloß, sich ihn vom Halse zu schaffen, obwohl das nicht leicht sein würde. Daß sie ihn an den Rand des Wahnsinns getrieben hatte, war keine Übertreibung, wie sie sehr wohl wußte. Nie zuvor in seinen sechsunddreißig Lebensjahren war ihm etwas versagt geblieben, was er begehrt hatte. Deshalb war sie für ihn zu einer Art Besessenheit geworden. Er wollte um jeden Preis erreichen, daß sie sich ihm als Sieger ergab. Lady Roysdon konnte sich selbst nicht erklären, warum sie ihre Ansicht über ihn in der letzten Zeit so sehr geändert hatte. Er war für sie nicht mehr der gleiche Mann, dem sie ihre Freundschaft geschenkt hatte, als sie nach London kam. Plötzlich wirkten seine engstehenden Augen bedrohlich und der dünnlippige Mund hart und grausam. Natürlich hatte sie auch früher schon Geschichten über ihn gehört. Es gab in der Gesellschaft niemanden, über den nicht geringschätzig gesprochen wurde, nur pflegte sie selten zu glauben, was sie hörte. Was den Grafen anging, so wurde sie langsam mißtrauisch. Gleichzeitig stellte sich ein Gefühl ein, als ob er sie in ein unsichtbares Netz einspannte, aus dem sie nicht entfliehen konnte.

      Zum erstenmal wünschte sie sich, einen Mann zu kennen, an den sie sich um Rat und Hilfe wenden konnte. Bisher hatte der Graf sie zwar gelegentlich in die Klemme gebracht, sie jedoch auch jedesmal wieder herausgeholt. Er hatte sie - falls notwendig - beraten, und da er ein wichtiges Mitglied der Gesellschaft und zudem ein erfahrener Mann war, war ihr sein Rat im großen Ganzen zum Vorteil ausgeschlagen.

      Tief in Gedanken versunken bemerkte Lady Roysdon nicht, wohin sie fuhr. Sie erwachte erst aus ihren Betrachtungen, als die Kutsche plötzlich sehr abrupt zum Stehen kam. Sie blickte aus dem Fenster und stellte fest, daß sie sich mitten im Wald befanden. Jetzt tauchte eine hochgewachsene Gestalt auf und öffnete die Tür.

      „Würden Mylady wohl die Güte haben, auszusteigen“, befahl eine Männerstimme. Im ersten Augenblick glaubte sie schon, der Graf habe sie trotz ihrer Vorsichtsmaßnahmen eingeholt, bis sie im Licht des Mondes und der Wagenlaternen mit ungläubiger Miene entdeckte, daß der Mann maskiert war. Er war also ein Straßenräuber. Er hielt eine Pistole in der Hand. Eigentlich hätte sie schreien müssen, doch ihr Stolz verbot ihr, auch nur eine Spur von Schwäche zu zeigen. Langsam und würdevoll stieg sie aus der Kutsche.

      Der Mond schien so hell, daß sie einen zweiten Räuber erkannte, der mit seiner Pistole Hancocks und Jake in Schach hielt. Der Mann, der sie zum Aussteigen aufgefordert hatte, war groß und breitschultrig. Seine Augen konnte sie hinter der Maske, die den oberen Teil des Gesichtes bedeckte, nicht sehen. Um seine Lippen spielte jedoch unverkennbar ein leises Lächeln.

      „Was wollen Sie von mir?“ fragte sie, „oder ist das eine überflüssige Frage?“

      „Eine überflüssige, Mylady“, bestätigte er. „Darf ich Ihnen versichern, daß Sie so schön sind, daß Sie der unnötigen Zierde, die Ihre Smaragde darstellen, gar nicht bedürfen.“

      „Auf Ihre Komplimente kann ich verzichten“, erwiderte sie eisig.

      „Dann muß ich mich wohl mit den Smaragden begnügen, wenn sie auch neben der Schönheit ihrer Trägerin verblassen.“

      Sie trug ein trotzig erhobenes Kinn zur Schau, löste aber das Kollier und reichte es ihm. Ohne den Blick von ihr zu wenden, ließ er es nachlässig in einen Leinenbeutel fallen, den er in der Hand hielt.

      Er war anders angezogen, als sie von einem Straßenräuber erwartet hätte. In seiner Kleidung, die aus einer gut sitzenden Jacke, eng anliegenden Hosen und glänzend polierten Lederstiefeln bestand, unterschied er sich nicht von denen, denen sie täglich in der feinen Gesellschaft begegnete. Auf dem Kopf saß schräg ein hoher Hut, seine frische, weiße Krawatte war so kunstvoll gebunden, daß er dem Grafen damit förmlich Konkurrenz machte.

      Lady Roysdon dachte unwillkürlich daran, daß es amüsant sein müßte, die beiden Männer sich gegenüber stehen zu sehen, wie es der Fall gewesen wäre, wenn der Graf sie nach Hause geleitet hätte. Andererseits hätte sie sich dann nicht auf dieser Straße befunden; sie konnte für ihr Mißgeschick nur sich selbst die Schuld zuschieben.

      „Meine Sammlung wäre nicht vollständig ohne die Ohrringe von den muschelgleichen Ohren von Mylady, den Armreifen von ihren Handgelenken und dem Ring von ihrem Finger“, stellte der Wegelagerer fest.

      Da ihr nichts anderes übrig blieb, händigte ihm Lady Roysdon die geforderten Schmuckstücke aus. Als sie ihm den Ring reichte, fing sich das Mondlicht im Stein eines zweiten Ringes, den sie am vierten Finger der linken Hand trug.

      „Nein“, rief sie, da sie bemerkte, daß sein Blick darauf fiel.

      „Nein?“ wiederholte er überrascht. „Und warum nicht? Ich kann nicht glauben, daß Sie sich mit etwas schmücken, was nicht von Wert ist.“

      „Er ist gefühlsmäßig von Wert für mich, weil er meiner Mutter gehörte. Er ist das einzige, was mir von ihr geblieben ist.“

      Sie sah ihn forschend an, um festzustellen, ob er ihr glaubte. Von einem Schmuckstück zu sprechen und ihm einen gefühlsmäßigen Wert zu geben, würde ein Bandit selten von den Lippen derer

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