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Sherlock Holmes: 40+ Krimis in einem Buch. Arthur Conan Doyle
Читать онлайн.Название Sherlock Holmes: 40+ Krimis in einem Buch
Год выпуска 0
isbn 9788075835031
Автор произведения Arthur Conan Doyle
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
»Ganz gewiß!« rief ich. In ein paar Minuten haben wir sie erreicht.«
In dem Augenblick wollte jedoch unser böses Geschick, daß ein Bugsierdampfer, mit drei Kähnen im Schlepptau, uns in die Quere kam. Nur durch eine rasche Bewegung des Steuers konnten wir den Zusammenstoß vermeiden. Wir mußten den Schlepper umgehen, und als wir wieder in unserer Bahn waren, hatte die ›Aurora‹ an zweihundert Meter Vorsprung gewonnen. Indessen war sie noch immer gut in Sicht; die nebelige, unsichere Dämmerung ging in eine klare, sternhelle Nacht über.
Unsere Dampfkessel thaten ihr Aeußerstes und das gebrechliche Fahrzeug bebte und krachte, während es mit wilder Gewalt vorwärts getrieben wurde. Wir waren an den West-India-Docks vorbei, hatten die lange Krümmung bei Deptford hinter uns und jetzt ging es wieder geradeaus. Der dunkle Fleck vor uns enthüllte sich immer deutlicher als die schlanke ›Aurora‹. Jones richtete unsere Leuchte auf sie, sodaß wir die Gestalten auf ihrem Deck unterscheiden konnten. Ein Mann saß im Hinterteil, einen schwarzen Gegenstand auf den Knieen, über den er sich niederbeugte. Neben ihm lag eine dunkle Masse, welche wie eine Neufundland-Dogge aussah. Der Junge hielt das Steuer, und im roten Schein des Dampfkessels sah ich den alten Smith stehen, bis zum Gürtel nackt und aus allen Kräften Kohlen schaufelnd. Sie mochten sich anfangs gefragt haben, ob wir sie wirklich verfolgten; aber jetzt, da wir unablässig auf ihrer Fährte blieben, konnten sie nicht mehr im Zweifel darüber sein. Bei Greenwich waren wir ungefähr dreihundert Schritt hinter ihnen. Bei Blackwall konnten es nicht mehr als zweihundertundfünfzig sein. Ich habe manches Tier gehetzt, in aller Herren Länder, während meines wechselvollen Lebens, aber niemals hat ein Sport mich in so wilde Aufregung versetzt, als diese wahnsinnige Menschenjagd auf dem Themsefluß. Beständig näherten wir uns ihnen, einen Meter nach dem andern. In der Stille der Nacht konnten wir das Stöhnen und Klappern ihrer Maschine hören. Der Mann auf dem Hinterdeck kauerte am Boden und bewegte die Arme als verrichte er eine Arbeit. Von Zeit zu Zeit sah er auf, wie um mit den Blicken die Entfernung zu messen, die uns noch trennte. Näher und näher kamen wir. Jones schrie, sie möchten anhalten. Jetzt waren wir nur noch vier Bootslängen hinter ihnen, beide Boote flogen in furchtbarer Eile dahin. Bei unserm Anruf sprang der Mann am Steuer in die Höhe, stieß wilde Flüche aus und schüttelte seine geballten Fäuste gegen uns. Er war ein mittelgroßer, kräftiger Mann, und wie er so breitbeinig dastand, sich im Gleichgewicht haltend, konnte ich sehen, daß er an seinem linken Bein vom Knie an einen hölzernen Stelzfuß trug. Als seine schrille, zornige Stimme erschallte, entstand in der dunkeln Masse auf dem Deck eine Bewegung. Es dehnte und streckte sich, bis ein kleiner, schwarzer Mann dastand – der kleinste, den ich jemals gesehen – mit einem großen, unförmlichen Kopf, den eine Menge wirres, zerzaustes Haar bedeckte. Holmes hatte schon seinen Revolver gespannt und ich ergriff schnell den meinigen bei dem Anblick dieses wilden, mißgestalteten Geschöpfs. Er war in eine Art Mantel oder dunkle Decke gehüllt, die nur sein Gesicht frei ließ, aber das Gesicht mußte einen im Schlaf verfolgen. Nie habe ich Züge gesehen, die so sehr den Stempel tierischer Grausamkeit trugen. Seine kleinen Augen glühten und brannten in dunklem Feuer, aus seinen dicken Lippen starrten die Zahne hervor, mit denen er klapperte und uns angrinste in bestialischer Wut.
»Geben Sie Feuer, sobald er die Hand hebt,« sagte Holmes ruhig.
Wir waren nur noch eine Bootslänge entfernt, fast berührten wir unsere Beute. Ich sehe die beiden noch vor mir im Lichte unserer Laterne, den weißen Mann mit dem Stelzfuß, wie er seine Flüche zu uns herüberschleuderte, und den teuflischen Zwerg, mit den großen, gelben, knirschenden Zähnen und dem scheußlichen Gesicht. Es war gut, daß wir ihn so deutlich sehen konnten, denn jetzt zog er unter seiner Umhüllung ein kurzes, rundes Stück Holz hervor, wie ein Schullineal und setzte es an die Lippen. Unsere Pistolen gingen gleichzeitig los. Er taumelte, warf die Arme in die Höhe, gab einen keuchenden Ton von sich und fiel über Bord in den Strom. Noch einmal sah ich den Blick seiner giftigen, drohenden Augen inmitten des weißen Wasserschaums. Im selben Augenblick warf sich der Stelzfuß auf das Steuerruder, drückte es nieder und sein Boot flog dem südlichen Ufer zu. Wir schossen daran vorbei, wendeten jedoch sofort um. Es war schon dicht am Lande, gerade an einer recht wilden und wüsten Stelle, wo das Mondlicht auf weiten Sumpfstrecken glitzerte, mit Pfützen stehenden Wassers und Schichten einer faulenden Vegetation. Mit einem dumpfen Stoß lief das Boot auf das sumpfige Ufer, das Vorderteil in der Luft, die Hinterseite im Wasser. Der Flüchtling sprang heraus; aber sein Stelzfuß sank augenblicklich der ganzen Länge nach in den durchweichten Boden. Vergeblich all seine Anstrengung sich zu befreien; nicht einen Schritt konnte er vor-oder rückwärts machen. Er brüllte vor ohnmächtiger Wut und stieß verzweifelt mit dem andern Fuß in den Schlamm; aber sein Ringen bohrte den hölzernen Stumpf nur noch tiefer in den zähen Ufergrund. Als wir neben der ›Aurora‹ beilegten, war er so fest eingeankert, daß wir nur mit Hilfe eines Taus, welches ihm über die Schultern geworfen wurde, imstande waren, ihn wie einen Riesenfisch über unsern Schiffsrand zu heben und zu ziehen. Die beiden Smith, Vater und Sohn, saßen mürrisch in ihrem Boot, doch kamen sie ganz demütig zu uns an Bord, als es ihnen befohlen wurde. Die ›Aurora‹ selbst machten wir flott und befestigten sie hinten an unserm Boot. Eine starke, eiserne Kiste indischer Arbeit stand auf dem Deck. Das war ohne Frage dieselbe, die den verhängnisvollen Schatz der Scholtos enthielt. Der Schlüssel fehlte, aber sie war von beträchtlichem Gewicht, so brachten wir sie denn vorsichtig in unsere kleine Kajüte. Während wir langsam stromaufwärts dampften, wendeten wir unsere Leuchte nach allen Seiten, aber nirgends war eine Spur von dem Insulaner zu entdecken. Die Gebeine dieses, an unsern Ufern so fremdartigen Gastes, liegen wohl tief auf dem Boden der Themse in irgend einem dunkeln Morast.
»Sehen Sie da,« sagte Holmes, auf das hölzerne Gangbrett deutend. »Wir haben unsere Pistolen gerade noch rechtzeitig abgefeuert.« Und wirklich – dicht hinter der Stelle, auf der wir gestanden hatten, steckte einer der mörderischen Dorne, die wir so gut kannten. Er mußte in dem Augenblick zwischen uns hindurch geschwirrt sein, als wir losschossen.
Holmes lächelte nur und zuckte die Achseln, aber ich gestehe, daß mir schauderte bei dem Gedanken an den gräßlichen Tod, dem wir in dieser Nacht nur knapp entgangen waren.
11. Der große Agra-Schatz.
Unser Gefangener saß in der Kajüte, dem eisernen Kasten gegenüber, den zu erlangen er so viel gethan und so lange gewartet hatte. Es war ein sonnverbrannter Bursche mit ein Paar frechen Augen. Ein Netzwerk von Linien und Furchen zog sich über sein ganzes, mahagonifarbenes Gesicht, das von einem harten Leben in freier Luft zeugte. Das auffallend vorstehende, bärtige Kinn bezeichnete ihn als einen Menschen, der nicht leicht von einmal gefaßten Vorsätzen abzubringen war. Er mochte ungefähr fünfzig Jahr alt sein, denn seine schwarzen, krausen Haare waren stark mit grau gemischt. Sein Gesicht war in der Ruhe nicht abstoßend, obgleich die dichten Brauen und das trotzige Kinn, ihm im Zorn einen gräßlichen Ausdruck geben konnten, wie ich kürzlich gesehen hatte. Die gefesselten Hände im Schoß, den Kopf auf die Brust gesenkt, saß er da und blickte mit den scharfen, funkelnden Augen unverwandt nach der Kiste, welche der Anlaß aller seiner Missethaten gewesen war. Es schien mir, als spräche mehr Kummer als Aerger aus seinen starren, verschlossenen Mienen. Einmal bemerkte ich sogar einen Schimmer von Humor in seinen Augen, als er zu mir aufblickte.
»Hören Sie, Jonathan Small,« sagte Holmes, indem er sich eine Zigarre anzündete, »es thut mir leid, daß es dazu hat kommen müssen.«
»Mir auch, Herr,« erwiderte er frei heraus. »Doch glaube ich nicht, daß man mich wegen der Geschichte hängen kann. Ich schwöre Ihnen hoch und heilig, daß ich keine Hand gegen Herrn Scholto aufgehoben habe. Es war der kleine Höllenhund Tonga, der einen von seinen verfluchten Pfeilen auf ihn schoß. Meine Schuld ist’s nicht, Herr, im Gegenteil, mir hat’s so viel Kummer gemacht, als wenn es mein Blutsverwandter gewesen wäre. Ich schlug den kleinen Teufel tüchtig mit dem Tauende dafür, aber es war einmal geschehen, und ich konnt’s nicht wieder ungeschehen machen.«
»Da habt Ihr eine Zigarre, Small,« sagte Holmes; »thut auch einen Zug aus meiner Flasche,