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allein, Mary,‹ gebot Madame Charpentier. Die Tochter verließ das Zimmer und die Mutter berichtete nun in heftiger Erregung: ›Herr Trebber hat drei Wochen lang bei uns im Hause gewohnt. Vorher war er mit seinem Sekretär Stangerson auf Reisen; nach den Zetteln an ihren Koffern zu schließen, kamen sie zuletzt aus Kopenhagen. Stangerson zeigte sich schweigsam und zurückhaltend, Trebber aber benahm sich höchst anstößig. Er war ein gemeiner Mensch von rohen Sitten. Gleich am Abend seiner Ankunft hat er sich sinnlos betrunken und nach zwölf Uhr mittags sah man ihn selten nüchtern. Im Verkehr mit den Zimmermädchen war er widerlich frech und vertraulich, ja sogar meiner Tochter Mary gegenüber erlaubte er sich ein ähnliches Betragen und sprach mehrmals in einer Weise mit ihr, die sie in ihrer Unschuld zum Glück nicht verstand. Einmal war er sogar unverschämt genug, sie in meinem Beisein zu umarmen und zu küssen, so daß sein eigener Sekretär sich ins Mittel legte und ihm seine Frechheit verwies.‹

      »›Aber warum ließen Sie sich das alles gefallen? Sie hätten doch den lästigen Menschen los werden können, sobald Sie wollten.‹

      »›Ich weiß wohl,‹ sagte Madame Charpentier errötend; ›hätte ich ihn nur gleich am ersten Tage aus dem Hause gewiesen. Allein die Versuchung war groß. Sie bezahlten mir zusammen vierzehn Pfund die Woche, und ich hielt es für meine Pflicht, in diesen schlechten Zeiten mir eine solche Einnahme nicht entgehen zu lassen. Ich bin Witwe und mein Sohn in der Marine hat viel Geld gekostet. Nach dem letzten Auftritt zögerte ich aber nicht länger, ihm zu kündigen, das war der Grund seiner Abreise.‹

      »›Nun, und wie wurde es weiter?‹

      »›Mir fiel ein Stein vom Herzen, als ich ihn glücklich fortfahren sah. Mein Sohn ist jetzt auf Urlaub hier; ich habe mich jedoch wohlweislich gehütet, ihm etwas von meinen Unannehmlichkeiten zu sagen, denn er gerät leicht in Harnisch und liebt seine Schwester zärtlich. Meine Freude, jenen lästigen Menschen los zu sein, war leider von kurzer Dauer. Noch war keine Stunde vorbei, so klingelte es heftig und man sagte mir, Drebber sei wieder da, er habe den Zug versäumt. In stark berauschtem Zustand erzwang er sich den Eintritt in das Zimmer, wo ich mit meiner Tochter saß, trat frech vor Mary hin und machte ihr den Vorschlag, mit ihr zu entfliehen. ›Sie sind großjährig,‹ sagte er, ›das Gesetz hat keine Macht über Sie. Ich besitze Geld die Hülle und Fülle. Kümmern Sie sich nicht um die Alte, sondern folgen Sie mir auf der Stelle; Sie sollen wie eine Fürstin leben.‹ Die arme Mary war zu Tode erschrocken und wich vor ihm zurück, er aber ergriff sie am Arm, um sie mit sich fortzuziehen. Ich schrie laut auf vor Angst, und in diesem Augenblick trat mein Sohn Arthur ins Zimmer. Was weiter geschehen ist, weiß ich nicht, ich fühlte mich einer Ohnmacht nahe und hörte nur Verwünschungen und ein verworrenes Getöse. Als ich wieder aufzublicken wagte, stand Arthur, einen Stock in der Hand, lachend an der Thür. ›Der saubere Kumpan wird uns voraussichtlich nicht mehr belästigen,‹ sagte er; ›ich will mich nur noch überzeugen, was aus ihm geworden ist.‹ Mit diesen Worten eilte er die Treppe hinunter. Am nächsten Morgen brachte man uns die Nachricht von Drebbers geheimnisvollem Tode.‹«

      »›Um wieviel Uhr ist Ihr Sohn nach Hause gekommen?‹ fragte ich, als Madame Charpentier mit ihrem Bericht zu Ende war. ›Das weiß ich nicht,‹ stammelte sie; ›er hat sich selbst mit dem Hausschlüssel hereingelassen.‹

      »›Nachdem Sie zu Bett waren?‹

      »›Ja.‹

      »›Wann begaben Sie sich zur Ruhe?‹

      »›Gegen elf Uhr.‹

      »›So blieb Ihr Sohn also wenigstens noch zwei Stunden fort?‹

      »›Ja.‹

      »›Möglicherweise auch vier oder fünf?‹

      »›Ja.‹

      »›Wo war er inzwischen?‹

      »›Ich weiß nicht,‹ flüsterte sie mit bleichen Lippen.

      »Unter diesen Umständen war ich natürlich nicht länger im Zweifel, was zu thun sei. Ich nahm zwei Polizisten mit, suchte Leutnant Charpentier auf und ließ ihn festnehmen. Als ich seine Schulter berührte und ihn ermahnte, uns ohne Widerstand zu folgen, richtete er sich stolz in die Höhe. ›Man hegt vermutlich Verdacht, ich sei an der Ermordung des schurkischen Drebber beteiligt,‹ waren seine ersten Worte. Sie werden mir zugeben, daß das höchst verdächtig aussah.«

      »Versteht sich,« pflichtete Holmes bei.

      »Er hielt den Stock in der Hand, von dem seine Mutter gesprochen hatte, einen schweren eichenen Knittel.«

      »Wie denken Sie sich denn den Verlauf der Sache?«

      »Nun, er ist Drebber bis zur Brixtonstraße gefolgt. Dort hat sich ein neuer Streit zwischen ihnen entsponnen, Drebber hat mit dem Stock einen Schlag erhalten, wahrscheinlich in die Magenhöhle, der seinen Tod verursachte, ohne eine Spur zu hinterlassen. In der regnerischen Nacht war kein Mensch unterwegs, Charpentier konnte daher die Leiche ungesehen nach dem leeren Hause schaffen. Was aber das Licht betrifft, das vergossene Blut, die Schrift an der Wand und den Ring, so sind das wahrscheinlich alles nur Finten, um die Polizei auf eine falsche Fährte zu locken.«

      »Vortrefflich,« rief Holmes beifällig. »Sie machen wirklich Fortschritte, Gregson; es kann noch etwas aus Ihnen werden.«

      »Ich schmeichle mir, daß ich alles ganz glatt abgewickelt habe,« sagte der Polizist voll Selbstgefühl. »Der junge Mann behauptete zwar steif und fest, er sei Drebber nur eine kurze Strecke weit nachgegangen, dann habe dieser ihn entdeckt und sei in eine Droschke gestiegen, um ihm zu entkommen. Auf dem Heimweg wollte er dann einem früheren Kameraden vom Schiff begegnet sein und einen langen Spaziergang mit ihm gemacht haben. Als ich aber nach der Wohnung dieses Bekannten fragte, wußte er sie nicht anzugeben. Wie gesagt, der Fall ist mir ganz klar; es macht mir nur Spaß, daß Lestrade eine so falsche Spur verfolgt, die zu nichts führen kann. – Aber, wahrhaftig, ich glaube, da ist er selbst.«

      Lestrade war wirklich während unseres Gesprächs die Treppe heraufgekommen und trat jetzt ins Zimmer. Sein für gewöhnlich so selbstbewußtes Wesen war kaum wieder zu erkennen; seine Mienen waren verstört, sein sonst so peinlich sauberer Anzug in Unordnung. Er wollte sich offenbar bei Holmes guten Rat holen; seinen Kollegen da zu finden, hatte er nicht erwartet. Unschlüssig blieb er mitten im Zimmer stehen und drehte seinen Hut krampfhaft in den Händen. »Ein höchst verwickelter, unverständlicher Fall,« sagte er endlich.

      »Meinen Sie, Lestrade?« rief Gregson triumphierend, »das habe ich mir wohl gedacht. Ist es Ihnen denn gelungen, den Aufenthalt des Sekretärs Josef Stangerson zu entdecken?«

      »Den Sekretär Stangerson,« erwiderte Lestrade mit tiefem Ernst, »hat man in Hallidays Privathotel heute früh gegen acht Uhr in seinem Schlafzimmer ermordet gefunden.«

      Zurück

      Lestrades furchtbare Mitteilung kam uns so unerwartet, daß wir einige Zeit brauchten, um uns von dem ersten Schrecken zu erholen. Gregson war von seinem Sitz in die Höhe geschnellt, und ich starrte schweigend auf Sherlock Holmes, der mit düster zusammengezogenen Brauen und fest geschlossenen Lippen dasaß.

      »Stangerson gleichfalls,« murmelte er endlich – »der Fall wird verwickelter.«

      »Und war schon verwickelt genug,« sagte Lestrade und nahm mißmutig am Tische Platz. »Hier wurde wohl Kriegsrat gehalten?«

      »Ist denn – was Sie sagen – aber auch ganz gewiß wahr?« stammelte Gregson.

      »Eben komme ich vom Schauplatz der That,« lautete seines Kollegen Antwort. »Ich war der Erste, welcher entdeckte, was sich zugetragen hatte.«

      Holmes sah ihn erwartungsvoll an. »Wir haben soeben Gregsons Ansicht über den Fall gehört,« äußerte er, »vielleicht wären Sie geneigt, uns nun auch Ihre Erlebnisse und Thaten zu berichten?« »Warum nicht?« versetzte Lestrade; »ich gestehe offen, daß ich der Meinung war, Stangerson müsse bei Drebbers Ermordung die Hand im Spiele

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