Скачать книгу

Julian ging wie ein junger Abbé, nur daß er keine Soutane trug.

      Frau von Rênal bemerkte, daß er mehr als früher mit Elise sprach. Es geschah aus Anlaß seiner höchst ärmlichen Garderobe. Er besaß so wenig Leibwäsche, daß er genötigt war, sie in einem fort zur Waschfrau zu schicken. Zu diesen kleinen Besorgungen hatte er Elise nötig. Frau von Rênal, die so übergroße Armut nicht vermutet hatte, war gerührt. Am liebsten hätte sie ihn beschenkt, aber das getraute sie sich nicht. Diese leise Gegenstimme machte sie in ihrer Beziehung zu Julian zum ersten Male vor sich selber stutzig. Bis dahin hatte sie nichts als reine, seelische Freude an ihm gehabt. Der Name Julian war ihr sozusagen eine Bezeichnung des Glückes gewesen.

      Die Kenntnis von seiner Armut lastete auf ihr, und so bat sie ihren Mann, ihm Wäsche zu schenken.

      »Unsinn!« brummte er. »Wozu sollen wir einem Menschen, mit dem wir völlig zufrieden sind und der seine Sache gut macht, etwas schenken? Das wäre doch nur nötig, wenn er zu wünschen übrigließe, um ihn anzustacheln.«

      Diese Auffassung empörte Frau von Rênal. Vor Julians Ankunft hatte sie derlei gar nicht wahrgenommen. Jedesmal, wenn sie jetzt das äußerst adrette, dabei so schlichte Äußere des jungen Mannes musterte, fragte sie sich: »Wie bringt er dies bei seinen geringen Mitteln nur zuwege?«

      Allmählich empfand sie Mitleid bei allem, was an Julian mangelhaft war. Nichts berührte sie dabei unangenehm.

      Luise von Rênal war eine jener Frauen der Provinz, die einem in den ersten vierzehn Tagen, wenn man sie kaum kennengelernt hat, leicht beschränkt vorkommen. Sie besaß durchaus keine Lebenserfahrung und hatte kein Bedürfnis, viel zu reden. Im unbewußten Streben nach Glück, das allen Lebewesen innewohnt, lebte ihre feinsinnige und hochmütige Seele still über dem Tun und Treiben der groben Naturen, unter die sie das Schicksal verschlagen hatte.

      Sie wäre durch ihren natürlichen regen Verstand aufgefallen, wenn sie die geringste geistige Erziehung genossen hätte. Aber als reiches junges Mädchen war sie bei den Betschwestern des Sacré-Cœur erzogen worden, wo man ihr vor allem einen wilden Haß gegen alles Jesuitenfeindliche beigebracht hatte. Allerdings war sie klug genug, alles im Kloster Erlernte für dummes Zeug zu halten und alsbald wieder zu vergessen. Da aber in diese Lücke nichts trat, wußte sie eigentlich rein gar nichts. Die zu frühen Schmeicheleien, mit denen sie als Erbin eines großen Vermögens umworben ward, und ihr beträchtlicher Hang zu leidenschaftlicher Frömmigkeit hatten sie veranlaßt, sich ganz in ihr Innenleben zu verkriechen. Scheinbar unterwarf sie sich zwar völlig dem Willen ihres Gatten, weshalb sie zum nicht geringen Stolze des Herrn von Rênal von den Ehemännern zu Verrières ihren Frauen als Muster hingestellt wurde, in Wirklichkeit war aber ihre Seele eine Hochburg der Unnahbarkeit. Manche ob ihres Stolzes verschriene Prinzessin schenkt dem Treiben ihres Hofstaates ungleich mehr Beachtung als diese so sanfte, sichtlich bescheidene Frau den Worten und Werken ihres Mannes gönnte. Bis zu Julians Ankunft hatte sie wirklichen Anteil nur an ihren Kindern. Ihr Gesundheitszustand, ihre kleinen Leiden und Freuden beschäftigten allein ihr empfängliches Gemüt, das noch nichts auf der Welt geliebt hatte denn Gott ehedem im Herz-Jesu-Kloster zu Besançon.

      Ohne daß sie sich herabgelassen hätte, es jemandem anzuvertrauen, versetzte sie der Fieberanfall, den einer der Knaben bekam, in einen Leidenszustand, der fast so war, als sei das Kind gestorben. In den ersten Jahren ihrer Ehe, als sie noch den Drang hatte, sich mitzuteilen, hatte sie derlei Sorgen ihrem Manne eingestanden, aber immer nur ein rohes Gelächter, ein Achselzucken, dazu irgendeine triviale Redensart über die Torheit der Weiber geerntet. Bei solchen Scherzen, zumal wenn sie sich auf die Krankheiten der Kinder bezogen, hatte sich ihr Herz jedesmal wie unter einem Faustschlag zusammengekrampft. Und das nach dem verführerischen Honigseim des Jesuitenklosters! Der Schmerz war ihr Erzieher. Zu stolz, ihr Leid auch nur ihrer Freundin, Frau Derville, zu klagen, bildete sie sich ein, alle Männer wären wie der ihre. Roheit und brutale Unempfindlichkeit gegen alles, was nicht Geld, Vorrang oder Auszeichnung hieß, blinde Wut gegen jedwede andre Meinung, hielt sie für Dinge, die zum Manne ebenso unvermeidlich gehören wie Stiefel und Filzhut.

      Viele Jahre waren vergangen, und noch immer hatte sich Frau von Rênal nicht an die Geldjäger gewöhnt, in deren Mitte sie leben mußte. Deshalb machte der Bauernjunge Julian Eindruck auf sie. Sie fand sich seiner edlen und stolzen Seele wahlverwandt. Daß sie eine solche gefunden, war ihr ein süßer, unerwarteter und erhabener Genuß. Daß er gänzlich ungebildet war, verzieh sie ihm sofort. Dies erschien ihr sogar reizvoll. Ebenso sah sie ihm seine ungeschliffenen Manieren nach, und es gelang ihr, sie zu glätten. Es dünkte sie der Mühe wert, ihm zuzuhören, mochte er auch von alltäglichen Dingen reden, wie einmal von einem armen Hunde, der beim Laufen über die Straße von einem im Trabe daherkommenden Bauernwagen überfahren worden war. Ihr Mann hätte roh gelacht, wenn er dergleichen mit angesehen hätte, während Julians schöne, schwarze, feingeschwungene Brauen vor Schmerz vibrierten. Sie beobachtete es und sagte sich, daß kaum jemand mehr Menschlichkeit und Edelmut hegen könne als dieser angehende Geistliche. Die Zuneigung und die Bewunderung, die solche Tugenden in hochherzigen Seelen erwecken, fühlte sie zum ersten Male in ihrem Leben vor Julian.

      In Paris hätten Julians Beziehungen zu Frau von Rênal eine einfache und rasche Entwicklung gehabt. In den Großstädten ist die Literatur die Verführerin zur Liebschaft. Dem jungen Hauslehrer und seiner scheuen Herrin wäre aus dem oder jenem Roman die Erleuchtung gekommen, und selbst Operettencouplets hätten den beiden die Augen geöffnet. Romangestalten hätten ihnen die Worte vorgesprochen und ihnen die Wege gezeigt. Früher oder später hätte ein solches Vorbild Julian zur Nachahmung gereizt. Er wäre diesem Ideale unbedingt gefolgt, wenn auch vielleicht ohne jeden Genuß, vielleicht sogar mit Widerstreben.

      In südlicherer Gegend, etwa am Aveyron oder in den Pyrenäen, hätte die Glut der Sonne das kleinste Ereignis folgenschwer gemacht. In kühleren Himmelsstrichen verkehrt ein junger Mann, dessen sentimentaler Ehrgeiz über die mit Geld zu erlangende Befriedigung kleiner Gelüste nicht hinausgeht, tagtäglich mit einer dreißigjährigen Frau, die wirklich tugendhaft ist und in der Erziehung ihrer Kinder aufgeht, ohne daß es ihm beikommt, wie ein Romanheld zu handeln. Überdies entwickeln sich in ländlichen Gegenden die Dinge langsam und allmählich, aber natürlicher.

      Wenn Frau von Rênal über die Armut des jungen Hauslehrers nachdachte, traten ihr zuweilen Tränen der Rührung in die Augen. Eines Tages, als sie so weinte, ward sie von Julian überrascht.

      »Ist Ihnen ein Leid widerfahren, gnädige Frau?«

      »Nein, mein Lieber«, antwortete sie ihm. »Rufen Sie die Kinder! Wir wollen ausgehen.«

      Sie nahm seinen Arm und stützte sich darauf in einer Weise, bei der Julian ganz sonderbar zumute ward. Es war das erstemal, daß sie ihn Mein Lieber nannte. Gegen Ende des Spazierganges bemerkte er, daß sie ein hochrotes Gesicht hatte. Sie verlangsamte ihre Schritte.

      »Es wird Ihnen nicht unbekannt sein«, begann sie, ohne ihn anzublicken, »daß ich die einzige Erbin einer sehr reichen Tante bin, die in Besançon wohnt. Sie überhäuft mich mit Geschenken … Meine Söhne machen … wirklich erstaunliche Fortschritte … und deshalb möchte ich Sie bitten… ein kleines Geschenk anzunehmen… ein Zeichen meiner Dankbarkeit… nur ein paar Goldstücke,.. für die Sie sich neue Wäsche anschaffen könnten … Aber …«

      Sie wurde noch röter und blieb in ihrer Rede stecken.

      »Gnädige Frau …«, erwiderte Julian.

      »Aber mein Mann braucht nichts davon zu wissen …«, fuhr sie fort, den Blick zu Boden gesenkt.

      Julian blieb stehen und richtete sich kerzengerade in die Höhe. Seine Augen blitzten vor Zorn.

      »Ich bin ein armer Schlucker, gnädige Frau, aber kein Lump! Über den Unterschied haben Sie nicht recht nachgedacht. Ich stände tiefer als ein Lakai, wenn ich Herrn von Rênal etwas verheimlichen wollte, was mein Geld anbeträfe.«

      Frau von Rênal fühlte sich tief beschämt.

      Julian fuhr fort: »Der Herr Bürgermeister hat mir fünfmal je sechsunddreißig Franken gegeben, seit ich in seinem Hause bin. Ich kann ihm mein Ausgabebuch jederzeit vorlegen. Ihm wie jedem andern. Selbst Herrn Valenod, meinem Feinde.«

      Frau von Rênal blieb blaß und

Скачать книгу