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Mann, wenn Sie klug und weise sind, so werden Sie eines Tages die beste Pfarre meiner Diözese bekommen, in allernächster Nähe meines Bischofssitzes. Aber Sie müssen klug und weise sein!«

      In seltsamer Stimmung, seine acht Bände unterm Arme, verließ Julian um Mitternacht den bischöflichen Palast. Der Kirchenfürst hatte in seiner Gegenwart den Abbé Pirard auch nicht mit einer Silbe erwähnt. Vor allem war Julian voller Bewunderung der Urbanität des Bischofs. Eine solche Feinheit der äußeren Formen, gepaart mit so würdesamer Natürlichkeit, war ihm etwas gänzlich Neues. Dies kam ihm noch mehr zum Bewußtsein, als er im Gegensatz hierzu wieder vor dem griesgrämigen Abbé Pirard stand, der ihn ungeduldig erwartet hatte.

      » Quid tibi dixerunt? (zu deutsch: Was hat man Ihnen gesagt?)«, rief er ihm laut schon von weitem entgegen.

      Julian begann seine Plauderei mit dem Kirchenfürsten in ziemlich konfuses Lateinisch zu übertragen.

      »Sprechen Sie französisch und wiederholen Sie mir wörtlich, was Seine Hochwürden alles gesagt hat, ohne etwas hinzuzufügen oder wegzulassen!« gebot der Exdirektor in rauhem Ton und in seiner Art, die alles andre denn weltmännisch war.

      »Eine merkwürdige Dedikation von einem Bischof an einen Seminaristen!« brummte Pirard, indem er die prächtigen Tacitusbände durchblätterte, deren Goldschnitt ihm sichtlich mißfiel.

      Es schlug zwei Uhr, als er nach genauer Berichterstattung seinem Lieblingsschüler erlaubte, seine Stube wieder aufzusuchen.

      »Das lateinische Lob da von der Hand Seiner Hochwürden wird Ihnen nach meinem Weggang ein Schutzschild sein. Erit tibi, fili mi, succesor meus tanquam leo quaerens quem devoret.« (Das heißt zu deutsch: Denn mein Nachfolger wird für dich, mein Sohn, ein Löwe sein, der da suchet, wen er verschlinge.)

      Am nächsten Morgen kam Julian das Benehmen seiner Mitschüler nicht wie sonst vor. Er hielt sich desto mehr zurück. »Pirards Entlassung beginnt zu wirken«, dachte er. »Offenbar ist sie bereits allbekannt, und ich gelte ja für seinen Liebling.« Er vermeinte Kränkungen entgegenzugehen; aber er vermochte keine zu erspüren. Im Gegenteil, in keinem Auge aller derer, denen er auf dem Gang durch die Schlafsäle begegnete, fand er eine Spur von Haß. »Was bedeutet das?« fragte er sich. »Das ist gewiß eine Falle. Also Vorsicht!« Da lachte ihn sein kleiner Landsmann aus Verrières an: » Cornelii Taciti Opera omnia! (Des Tacitus sämtliche Werke!)«

      Auf diese lauten Worte hin beglückwünschte man Julian um die Wette zu dem schönen Geschenk Seiner Hochwürden und besonders ob der zweistündigen Unterhaltung, mit der er ausgezeichnet worden war. Man wußte sogar Einzelheiten. Offenbar hatten die Wände Ohren gehabt, als Julian dem Direktor Bericht erstattete.

      Fortan war vom Neid nichts mehr zu merken. Julian ward in der niedrigsten Weise hofiert. Der Abbé Castanède, der ihn noch am Tage vorher unglaublich grob behandelt hatte, nahm ihn am Arm und lud ihn zum Frühstück ein.

      Es war ein verhängnisvolles Element in Julians Charakter, daß ihm die Unverschämtheit der groben Naturen Qual und Leid bereitet hatte. Vor ihrer gemeinen Kriecherei empfand er Ekel und keinerlei Genuß.

      Gegen Mittag nahm Abbé Pirard Abschied von seinen Schülern, nicht ohne eine ernste Ansprache an sie zu halten. »Wollt ihr die Ehren der Welt einheimsen«, predigte er, »wollt ihr alle sozialen Vorteile, den Genuß, zu herrschen und zu gebieten, sich über die Gesetze hinwegzusetzen und gegen jedermann ungestraft zu überheben? Wollt ihr das, oder wollt ihr euer Seelenheil? Auch der Beschränkteste unter euch ist imstande, klar den Scheideweg zu erkennen …«

      Kaum hatte er das Seminar verlassen, als der Frömmlerbund zum Herzen Jesu in der Kapelle ein Tedeum anstimmte. Die Abschiedsworte des ehemaligen Direktors hatte niemand ernst genommen. »Seine Dienstentlassung wurmt ihn tüchtig«, hieß es allgemein. Kein einziger Seminarist glaubte an den freiwilligen Abgang Pirards aus einem Amt, das den Inhaber mit reichen Lieferanten in Beziehung bringt.

      Der Abbé Pirard nahm Quartier im besten Gasthofe der Stadt, wo er noch zwei Tage verblieb,, angeblich um Geschäfte zu erledigen. Er hatte keine. Der Bischof lud ihn zum Mittagessen ein. Um den Großvikar zu ärgern, bemühte er sich, seinen Gast in das hellste Licht zu setzen. Als man beim Nachtisch war, lief von Paris die merkwürdige Kunde ein, der Abbé Pirard habe die herrliche Pfarre von N *, drei Meilen vor Paris, erhalten. Der gutmütige Bischof beglückwünschte ihn aufrichtig. Er sah in der ganzen Geschichte einen feinen Schachzug, der ihn in die beste Laune brachte und ihm eine hohe Meinung vom Machiavellismus des Abbé einflößte. Er stellte ihm eine vorzügliche lateinische Konduite aus, wobei er dem Großvikar, der Einwände versuchte, Stillschweigen gebot.

      Abends, in einem der vornehmen Häuser der Stadt, wo er eingeladen war, verlieh der Kirchenfürst seiner Bewunderung freimütig Ausdruck. Das war eine bedeutsame Neuigkeit. Man erging sich in allen möglichen Vermutungen über eine so außergewöhnliche Hervorhebung. Schon sah man den Abbé Pirard als Bischof, Besondere Schlauköpfe glaubten, der Marquis von La Mole werde demnächst Minister, und gestatteten sich an diesem Abend ein leises Lächeln über die Wichtigtuerei, die der Abbé von Frilair nicht lassen konnte.

      Am nächsten Vormittag lief man dem Abbé Pirard förmlich auf der Straße nach. Die Kaufleute traten an ihre Ladentüren. Pirard begab sich auf das Gericht, wo er zum ersten Male, seit er mit dem Prozeß des Marquis zu tun hatte, höflich empfangen wurde. Der strenge Jansenist, dem nichts entging, war empört über alles das.

      Nachdem er lange mit den Anwälten des Marquis gearbeitet hatte, fuhr er ab nach Paris. Beim Abschiednehmen von ein paar guten Bekannten hatte er die Schwäche, zu bekennen, daß er sich während der fünfzehnjährigen Leitung des Seminars genau hundertfünfundsiebzig Taler gespart habe. Da umarmten ihn die Freunde unter Tränen. Hinterher sagten sie zueinander: »Diese Flunkerei hätte sich der gute Abbé sparen können. Sie ist wirklich zu lächerlich.«

      Die von Geldgier blinden Durchschnittskreaturen vermochten nicht zu begreifen, daß Pirard die Kraft zu dem zehnjährigen Kampfe gegen die jesuitischen Geheimbündler just aus seiner Ehrlichkeit geschöpft hatte.

      30. Kapitel

      Der Marquis von La Mole empfing den Abbé Pirard ohne die gewisse Umständlichkeit des Grandseigneurs, die bei aller Höflichkeit dem Kenner doch die Unnahbarkeit verrät. Dazu nahm er sich gar nicht die Zeit. Seine großen Pläne waren so weit gediehen, daß er es nun eilig hatte. Seit einem halben Jahre intrigierte er, um König wie Volk auf ein bestimmt zusammengesetztes Ministerium hinzudrängen. Als Gegenleistung erhoffte er den Herzogstitel.

      Vergebens forderte der Marquis seit Jahren von seinem Rechtsvertreter in Besançon ein ausführliches und klares Gutachten über den Stand seines in der Freigrafschaft geführten Prozesses. Er hatte einen berühmten Advokaten. Aber auch ein solcher kann nicht klar über Dinge berichten, die ihm selber unklar sind.

      Das kleine Blatt Papier, das ihm der Abbé überreichte, brachte die Aufklärung mit einem Male.

      »Mein verehrter Abbé«, sagte der Marquis zu ihm, nachdem er in kaum fünf Minuten sämtliche Höflichkeitsdinge und persönlichen Fragen erledigt hatte, »inmitten meines sogenannten Glückes gebricht es mir an Zeit, mich ernstlich mit ein paar Kleinigkeiten zu beschäftigen, die immerhin nicht so ganz unwichtig sind: mit meiner Familie und meinen Geschäften. Ich sorge im großen ganzen für das Gedeihen meines Hauses. Es ließe sich mehr tun. Ich sorge für mein Vergnügen. Das ist unbedingt die Hauptsache … in meinen Augen wenigstens.«

      Diese letzten vier Worte setzte er hinzu, als er den verwunderten Blick des Abbé wahrnahm, der bei aller Lebensklugheit in der Tat erstaunt war, einen alten Mann so offen und ehrlich von seinem Vergnügen reden zu hören. Sodann fuhr der hohe Herr fort:

      »Ohne Zweifel wird in Paris gearbeitet. Aber die Arbeit wohnt im Dachstübchen. Jedesmal wenn ich mir jemanden heranziehe, nimmt er alsbald eine Wohnung im ersten Stock, und seine Frau richtet sich Empfangstage ein. Dann ist es vorbei mit der Arbeit. Der Betreffende geht nur noch darauf aus, ein Mann der Welt zu sein oder zu scheinen. Sobald die Leute ihr Brot haben, frönen sie ihrer Eitelkeit.

      Um zur Sache zu kommen: ich habe für jeden meiner Prozesse einen besonderen Anwalt. Diese Leute schinden sich für mich zu Tode. Erst vorgestern ist mir einer an der Lungenschwindsucht

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