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wurde, schmolzen Julians Mißtrauen und leidvoller Stolz, dem nichts gefehlt hatte als eine opfermütige Liebe. Er betete Frau von Rênal an: »Mag sie Aristokratin sein: mich, den Bauernjungen, mich liebt sie doch!« frohlockte er. »Ich bin ihr kein Kammerdiener, betraut mit der Rolle eines Liebhabers.« Seit er dieses Argwohns enthoben war, ergriff ihn echter Liebeswahnsinn mit allen seinen Zweifelsqualen.

      Als sie sah, daß er an ihrer Liebe zweifelte, klagte sie: »Könnte ich dich doch in der Spanne Zeit, die uns beiden noch beschieden, ganz glücklich machen! Nützen wir die Frist aus! Vielleicht gehöre ich dir schon morgen nicht mehr. Straft mich der Himmel an meinen Kindern, so hätte ich nicht die Kraft, dir zuliebe weiterzuleben. Ich könnte den Gedanken nicht von mir abwehren, daß meine Sünde sie gemordet. Ich könnte diesen Schlag nicht überwinden. Selbst wenn ich wollte, könnte ich es nicht. Ich würde den Verstand verlieren.«

      Ihre wilden inneren Kämpfe läuterten Julians Liebe. Sie war nicht mehr bloße Bewunderung ihrer Körperschönheit; sie wandelte sich in seelisches Siegesgefühl. Beider Glück war fortan höherer Art als zuvor. Die Glut, die sie verzehrte, ward immer heißer. Der tollste Liebesrausch ergriff sie. Man hätte sie für das glücklichste Paar halten können. Und doch, die sonnige Heiterkeit, die wolkenlose Seligkeit, der lachende Lebensmut der ersten Liebestage war dahin. Damals hatte Frau von Rênal nur die eine Angst gehabt: Julian könne sie nicht genug lieben. Jetzt hatte ihr Glück den Geschmack des Verbrechens. Selbst in den wonnigsten und friedsamsten Stunden drückte sie manchmal plötzlich die Hände des Geliebten, flüsternd: »Ich bin der Hölle verfallen. Welch schreckliches Los. Aber ich verdiene es.« Und sie schmiegte sich eng an ihn, wie Efeu an die Mauer.

      Umsonst versuchte Julian ihr Seelenfieber zu kühlen. Dankbar zog sie seine Hand an sich und bedeckte sie mit Küssen. Dann sank sie wieder in düstere Versonnenheit. Bisweilen schien sie ruhiger zu werden. Wenigstens kam es Julian so vor. Sie versuchte sich zu beherrschen. Der Geliebte sollte nicht auch leiden.

      In diesem Wechsel von Liebe, Reue und Sinnenlust flogen die Tage mit Windeseile dahin. Julian kam nicht mehr dazu, über alles nachzugrübeln, wie er das früher getan hatte.

      20. Kapitel

      Elise, die Jungfer der Frau von Rênal, wanderte öfters nach Verrières, wo sie in ihrer Erbschaftsangelegenheit einen kleinen Prozeß zu führen hatte. Einmal begegnete ihr Valenod, der nach wie vor schlecht auf Julian zu sprechen war. Sie haßte Sorel, und so äußerten sie einander ihren Groll.

      »Ich darf Ihnen nicht alles sagen, Herr Valenod«, sagte sie unter anderm, »denn ich weiß, in wichtigen Dingen halten die Herrschaften immer zusammen. Es wäre mein Verderb. Gewisse Eröffnungen verzeiht man uns armen Dienstboten nie.«

      Nach solch herkömmlichem Gerede, das Valenod voll Ungeduld und Neugierde rasch beiseite schob, kamen Dinge zutage, die den eitlen Mann empfindlich kränkten. Die weit und breit vornehmste Dame, der er sechs Jahre lang den Hof gemacht hatte, noch dazu dummerweise vor aller Welt, diese stolze Frau, vor deren sichtlicher Verachtung er sich so oft klein vorgekommen war, hatte einen als Hauslehrer verkleideten Bauernburschen zum Liebsten! Noch nicht genug des Hohnes: die Unnahbare betete diesen Menschen an!

      Der Armenamtsvorstand geriet in die übelste Laune.

      »Ja freilich«, erzählte das Mädchen seufzend weiter, »Herr Julian hat diese Eroberung gemacht ohne jede Mühe. Kalt, wie er ist, war er auch mit ihr.«

      Elise war ihrer Sache erst sicher geworden, seit sie auf dem Lande wohnten, aber sie glaubte, das Verhältnis reiche weiter zurück.

      »Jetzt weiß ich auch«, schloß sie ärgerlich, »warum er mich nicht hat heiraten wollen. Und ich Schaf habe die Gnädige auch noch um Rat gefragt und sie gebeten, mit ihm zu reden!«

      Noch am selben Abend erhielt Herr von Rênal zugleich mit seiner Zeitung einen langen anonymen Brief, der ihn ausführlich davon unterrichtete, was in seinem Hause vorging. Julian beobachtete, wie er beim Lesen blaß wurde und ihm einen bösen Blick zuwarf.

      Den ganzen Abend erholte sich der Bürgermeister nicht von seinem Schreck. Vergeblich hofierte ihn Julian, indem er das Gespräch auf die Genealogie der burgundischen Adelsfamilien brachte.

      Als man um Mitternacht den Salon verließ, brachte es Julian zuwege, seiner Freundin zuzuraunen: »Wir wollen uns heute nacht nicht besuchen. Dein Mann hat Verdacht geschöpft. Ich möchte darauf schwören: das Schriftstück, das er heute unter Stöhnen gelesen hat, ist ein anonymer Brief!«

      Es war beider Glück, daß er sich in sein Zimmer einriegelte. Frau von Rênal bildete sich wahnwitzigerweise ein, Julians Warnung sei nur ein Vorwand, ihren Besuch abzuwehren. Sie verlor vollständig den Kopf und schlich sich zur gewohnten Stunde an seine Tür. Als er Geräusch auf dem Gange hörte, löschte er rasch seine Lampe aus. Er hörte, wie man sich draußen bemühte, die Tür zu öffnen. War das die Geliebte oder ihr eifersüchtig gewordener Gatte?

      Am nächsten Morgen ganz zeitig brachte die Köchin, die Julian wohlgesinnt war, ihm ein Buch; auf dessen Deckel ein paar italienische Worte gekritzelt standen:

      Guardate alla pagina 130.

      Julian bekam einen heftigen Schreck ob dieser Unvorsichtigkeit. Er schlug die Seite 130 auf und fand daselbst einen tränennassen Brief, der mit einer Stecknadel befestigt war. Er wimmelte von Verstößen gegen die Rechtschreibung. Sonst handhabte Frau von Rênal sie tadellos. Diese Nebensache rührte Julian, und er vergaß darüber beinahe den fürchterlichen Leichtsinn der Schreiberin.

      Der Brief lautete:

      »Warum hast Du mich diese Nacht nicht haben wollen? Manchmal glaube ich, der Grund Deiner Seele sei mir verschlossen. Deine Blicke erschrecken mich. Ich fürchte mich vor Dir. Allmächtiger, am Ende hast Du mich nie geliebt! Dann mag mein Mann unsre Liebesgeschichte nur entdecken und mich auf dem Gute für ewig einsperren, fern von meinen Kindern. Vielleicht will Gott es so. Ich würde bald sterben, und Du wärest ein Unmensch.

      Liebst Du mich nicht? Bist Du meiner Torheit, meiner Gewissensbisse überdrüssig? Böser! Willst Du mich zugrunde richten? Ich mache es Dir leicht. Geh, zeige diesen Brief allen Leuten von Verrières oder auch bloß Herrn Valenod! Sage ihm, daß ich Dich liebe. Oder besser – denn das wäre eine Banalität – sag ihm, daß ich Dich anbete, daß das Leben für mich erst mit dem Tage begonnen hat, da ich Dich sah, daß ich mir das Glück, das ich Dir danke, in meinen tollsten Mädchenträumereien nicht herrlicher ausgedacht habe. Sage ihm, daß ich Dir mein Leben geopfert habe, daß ich Dir meine Seele und Seligkeit opfre. Du weißt ja, daß ich Dir noch viel mehr opfre.

      Aber versteht dieser Mann denn, was ein Opfer ist? Sage ihm, um ihn zu reizen, daß ich aller Niedertracht der Welt trotze, daß es auf der ganzen Erde für mich nur ein Unglück gibt: die Untreue des einzigen Menschen, dem zuliebe ich überhaupt noch lebe. Das Leben zu verlieren, es als Opfer dahinzugehen, das ist für mich Glück. Dann brauche ich mich nicht mehr um meine Kinder zu bangen.

      Zweifle nicht, Geliebtester: wenn es ein anonymer Brief war, so kommt er von diesem erbärmlichen Gesellen, der mich sechs Jahre lang mit seiner Polterstimme, seinen Stallwitzen, seiner Geckenhaftigkeit und der ewigen Aufzählung seiner eigenen Vorzüge verfolgt hat.

      Aber ist denn ein solcher Brief wirklich gekommen? Du Schlimmer, das wollte ich vor allem mit Dir erörtern. Doch nein, Du hast ganz recht. Wenn ich Dich heute in meine Arme geschlossen hätte, vielleicht zum letztenmal, so hätte ich nimmermehr so ruhig überlegen können wie jetzt, wo ich einsam und allein bin. Von Stund an wird unser Glück Fesseln tragen. Wird Dir das leid tun? Höchstens an den Tagen, da Dich keines der Bücher Deines Freundes Fouqué in Beschlag nimmt.

      Ich bringe das Opfer. Gleichgültig, ob es ein anonymer Brief war oder nicht: morgen werde ich meinem Manne mitteilen, ich hätte einen anonymen Brief bekommen. Es sei unverzüglich nötig, Dich unter irgendeinem anständigen Vorwande zu Deinen Eltern zurückzuschicken.

      Ach, Geliebtester, wir werden vierzehn Tage voneinander getrennt sein, vielleicht gar vier Wochen! Aber ich lasse Dir Gerechtigkeit widerfahren: Du wirst ebenso leiden wie ich. Wie dem auch sei, das ist das einzige Mittel, dem anonymen Brief die Spitze abzubrechen. Übrigens ist es nicht der erste, den mein Mann bekommt, insbesondre nicht der erste, der mich verdächtigt.

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