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die auf eigenartigen Bahnen von der Romantik aus dem Jugendstil zusteuerten. Die unzähligen »Kleinmeister«, die treuherzigen Landschaftsmaler und Sittenschilderer verbannt man ebenso wie die Salonmaler mit ihren Riesenleinwänden gerne ins Souterrain der Kunstgeschichtsschreibung. Ein paar Repräsentanten aus der Schar derer, die nicht so recht in den Mainstream passen wollen, kommen mit einem blauen Auge davon und dürfen die »Niederungen« verlassen.

      Wo findet da ein Name wie der Constables Platz? Dem modernen Auge erscheinen seine Bilder keineswegs sofort als revolutionär. Zu viel verbindet sie mit der niederländischen Landschaftsmalerei des Barock, auch mit einem Claude Lorrain, den Constable überaus schätzte. Darin traf er sich mit einer ganzen Reihe englischer Landschafter des 18. Jahrhunderts beziehungsweise seiner eigenen Generation, etwa mit einem Richard Wilson oder einem Alexander Cozens.

      Freilich, sie alle – und das ergänzte ihre traditionelle Seite um einen neuen Aspekt –, verwandelten in Ölbildern und nicht zuletzt in Aquarellen die objektiven Gegebenheiten des Naturvorbildes in eine Phänomenwelt des erlebenden Subjekts. Genannt seien nur John Robert Cozens, Thomas Girtin, dann John Crome, Richard Parkes Bonington oder John Sell Cotman. Ihr Ausgangspunkt war die topographische Wirklichkeit, die sie jedoch in eine von Licht und Atmosphäre beherrschte malerische Textur tauchten. Im Unterschied zu den Lichtvisionen Claude Lorrains aus dem 17. Jahrhundert, die für viele von ihnen bewunderte Exempla abgaben, verzichteten sie auf eine metaphysische Interpretation derartiger Phänomene, vielmehr kennzeichneten sie diese als Ergebnis physikalischer Gesetze und als Resultat subjektiven Erlebens. Demgemäß öffneten sich von hier aus gleichermaßen die Wege zu einer eher romantischen wie zu einer eher realistischen Landschaftsmalerei. Constable bevorzugte Letztere.

      Über sein Prinzip der Farbzerlegung berichtet Delacroix in seinem Tagebuch vom 25. September 1846: »Constable sagte, dass die Überlegenheit des Grüns seiner Wiesen daher käme, dass es aus einer Vielzahl verschiedener Grüns zusammengesetzt sei. Die mangelnde Intensität des Grüns bei den normalen Landschaften gründete gerade darin, dass sie es gewöhnlich durch einen einzigen Ton darstellten. Was er hier über das Grün der Wiesen sagte, kann auf alle anderen Farben angewandt werden.« Und der englische Maler selbst äußerte sich folgendermaßen: »In meinen Bildern versuche ich, das Licht, den Tau, den Wind, das Blühen und Wärme oder Kälte darzustellen – nichts von dem ist bisher je von einem Maler gezeigt worden.«13

      Kommen wir zu unserer Eingangsproblematik zurück. Die Geschichte der Kunst verläuft keineswegs auf Einbahnstraßen der Entwicklung, solchen auf ein vorgegebenes Ziel hin. Wohl aber wirft sie immer wieder gleichlautende formale und semantische Fragen auf, an deren »Beantwortung« oft Jahrzehnte, gar Jahrhunderte »arbeiten« – und dies nicht selten parallel zu gänzlich anderen Fragenkomplexen und deren künstlerischen Lösungsangeboten. Wenn Constable in seinen Bildern das Sujet zum Anlass nimmt, vor allem die veränderlichen Phänomene der Natur einzufangen und dazu die Gegenstandsgrenzen partiell schon in Licht und Farbe aufzulösen, feinste Tonabstufungen mit unerhörter Sensibilität vorzutragen und die Komposition dem Betrachter wie einen Zufallsausschnitt zu unterbreiten, dann stellt er sich künstlerische Aufgaben, und dann bietet er bereits Resultate, die in der Tat eine »Versuchsanordnung« initiieren, der sich die Impressionisten wieder konfrontieren und zu noch experimentelleren Formergebnissen fortführen werden.

      12 Venning, Barry: Constable. Sein Leben und seine Meisterwerke. New York 2004

      13 Zitiert nach: Badt, Kurt: Eugène Delacroix. Werke und Ideale. Drei Abhandlungen. Köln 1965, S. 73

      JEAN-AUGUSTE-DOMINIQUE INGRES

      (* MONTAUBAN 29. 8. 1780, † PARIS 14. 1. 1867)

      Mit der italienischen Renaissance und einem von ihr ausgelösten künstlerischen Selbstbewusstsein sondergleichen gingen auch viele kunsttheoretische Diskurse parallel. Ihr Grundanliegen bestand darin, im Rahmen einer normativen Ästhetik die Überlegenheit der einen Gattung über die andere, beziehungsweise innerhalb der Malerei den Vorrang eines bestimmten Gestaltungsmittels, gemessen an seinem Kontrapart, zu »beweisen«. Repräsentanten der toskanischen oder stadtrömischen Malerei wurden im 16. Jahrhundert entsprechend gegen den größten Meister der venezianischen Malerei, gegen Tizian, ausgespielt – und umgekehrt. Tizians aus der orchestralen Fülle der Farbmaterie lebende Manier, so sahen es die Kunstkritiker, war gegen die Florentiner disegno-Lehre gerichtet. Die predigte nämlich die Prädominanz der »wahrhaften« Linie und des zeichnerischen Entwurfs im Vergleich zur vorgeblich »ungeistig-sinnlichen« und »lügnerischen« Farbe (colore), sie verfocht damit die Überlegenheit der eigenen Kunstrichtung über die in Venedig gepflegte.

      Die intellektuelle und praktische Auseinandersetzung zwischen Linie und Farbe als dem jeweils vornehmsten Darstellungsmittel setzte sich in der Folgezeit ungebrochen fort. Im 17. Jahrhundert kulminierte der »Konflikt« exemplarisch in den Namen des Peter Paul Rubens, des großen Farbvirtuosen, und des Nicolas Poussin, des seine Bilder aus dem Primat der Linie und des Konturs her aufbauenden Barockklassizisten. Und auch das 19. Jahrhundert trug einen gleichgearteten Diskurs aus, der erneut zwei Protagonisten der Kunstgeschichte für sich beanspruchte: den Koloristen Eugène Delacroix und den linienseligen Klassizisten Jean-Auguste-Dominique Ingres!

      Je nach dem Standpunkt, den seine Kritiker innerhalb dieser konträren Ausgangslage einnahmen, schwankte das Urteil über Ingres zwischen rückhaltloser Bewunderung und verächtlicher Ablehnung. Auch in sich war ein derartiges Urteil in der Regel zwiespältig. Während nämlich Ingres’ Zeichenkunst praktisch auf ungeteilte Zustimmung stieß – und dies bis heute –, fand seine Malerei zunächst recht wenige Anhänger.

      Auch das gegenwärtige Kunsturteil tut sich oft schwer angesichts seiner mythologischen oder religiösen Großkompositionen und seiner lasziv und doch so emailhaft »glatt« hingelagerten Odalisken, diesem idealisierten und zugleich so voyeuristischen Harems-Orientalismus. Nicht von ungefähr hat Ingres’ bekanntes Türkisches Bad von 1859–1863 (Paris, Musée du Louvre) Tondo-Format bekommen: Das Bild, »dessen Auftraggeber der Prinz Napoleon war, wurde aus seiner ursprünglich quadratischen Form zu einem Rundbild beschnitten: Die Ursache war […] die schamlose Pose der Tänzerin rechts, die sich auf einer Skizze […] so wolllüstig räkelt, dass der Künstler die unteren Partien ihres Körpers wegschneiden musste […].«14

      Einige wenige Autoren zeigen sich freilich auch hinsichtlich solcher Kompositionen von Ingres’ Wiedergabe des Stofflichen, seinen eigenartig tiefenlosen Bildräumen und der oft rätselhaften, der Intensität eines Stilllebens gleichenden Ruhe in eigentlich erzählerischen Kompositionen tief beeindruckt. Jetzt, da die Dominanz des Kolorits und die lebhafte Buntfarbigkeit des Impressionismus nicht länger als die »Entelechie« des 19. Jahrhunderts bewertet wird, schlägt das Pendel in die andere Richtung aus. Ingres gilt nicht nur als Erneuerer des klassischen Schönheitsideals und folglich als ein Hauptmeister des Klassizismus, sondern als ein, aus der Warte der Moderne gesehen, »progressiver« Gestalter komplexer Flächenwerte. Seine geniale Reduzierung des Repertoires auf das Wesentliche, die innere Logik seines Bildgefüges, seine kühle Schönlinigkeit und sensualistische Überzeugungskraft werden zu Recht vor allem an seinen zahlreichen Bildnissen vornehmer Damen und Herren hervorgehoben, die zum Wertvollsten europäischer Porträtkunst überhaupt zählen (die Ingres selbst allerdings nur als notwendiges Übel betrachtete, um den Lebensunterhalt zu verdienen).

      Ingres, der fanatische Verfechter des »disegno«, des Zeichnerischen, des Linienprimats (ein früherer Hauptmeister dieses Prinzips, Raffael, war Ingres’ bewundertes Vorbild), füllte seine Gemälde mit verblüffend vielen anatomischen Fehlern. Das ist bezeichnend – nicht für fehlendes Können, sondern für ein souveränes Verwalten der Wirklichkeit, das sich hinter der scheinbar so buchhalterischen Akuratesse und der geglätteten kühlen Farbhaut seiner Malweise verbirgt: Zugunsten angestrebter Idealität im Gesamteindruck ist dieser Künstler jederzeit bereit, Abstriche an der Realität im Detail zu machen. Das verbindende idealisierende »Band« bleibt ja stets existent: nämlich die biegsam-geschmeidige, zugleich feste und sensible Linie und die wohlkalkulierte Aufteilung der Bildfläche.

      Und genau diese Qualitäten waren es, die Ingres einen überraschend großen Einfluss

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