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Bevölkerung Elsass-Lothringen an das Deutsche Reich abtreten. Der Keim für weitere Auseinandersetzungen, symbolisiert durch das Schlagwort von der »Revanche pour Sedan«, wurde mit diesem Vertrag gelegt.

      Die beiden nächsten Jahrzehnte nutzte Bismarck, um dieses Deutsche Kaiserreich, das wohl saturiert, aber noch nicht konsolidiert war, nach allen Seiten durch ein kompliziertes Netz von Verträgen abzusichern. Grundprinzip wurde, durch Verträge mit Österreich, Russland und Italien, prinzipiell jedoch unter Ausschluss Frankreichs, ein ausbalanciertes Verhältnis zu wahren. Gefährdet war dies immer wieder etwa durch den österreichisch-russischen Gegensatz auf dem Balkan, den Bismarck 1878 auf dem Berliner Kongress nur oberflächlich beruhigen konnte. Der Abschluss des Dreibunds mit Österreich und Italien und der Rückversicherungsvertrag mit Russland sollten ein tragfähiges System bilden. Ob dieses System an Bismarcks Nachfolgern oder an seinen zweifellos großen innenpolitischen Fehlern scheiterte, ist zu diskutieren. Bismarcks Kulturkampf mit der katholischen Kirche, durch deren Internationalität er das Reich gefährdet sah, das Sozialistengesetz von 1879, das die sozialdemokratisch denkende und fühlende Bevölkerung illegalisierte, konnten durch die positive Sozialgesetzgebung nicht ausglichen werden. Die folgende innenpolitische Lähmung und der Ehrgeiz von Wilhelm II. beschleunigten seinen Sturz. Verbittert verließ er das Amt, in den folgenden Jahren immer wieder laut und deutlich Kritik äußernd. Es waren dies die Jahre, in denen die einseitigen Bismarck-Legenden entstanden, die seinem sehr differenzierten Wirken nicht gerecht wurden.

      Bismarck hielt sich für einen Auserwählten, er war ein Mann, der einen Auftrag Gottes erfüllte. Im Grunde war dies eine calvinische Einstellung. Am Ende seiner Laufbahn erwog er sogar kurz einen Staatsstreich, um das Parlament zu beseitigen und das Kaisertum zu festigen. Den Sozialdemokraten wollte er überhaupt das Wahlrecht entziehen.

      1866 hätte er Frankfurt am liebsten gewaltsam eingenommen, hätte die Stadt nicht die Kontribution von 25 Millionen Talern bezahlt, denn die Erinnerungen an die Paulskirche waren noch sehr virulent. In jenen Situationen, in denen er sich Feinde gemacht hatte, die auf Dauer gefährlich werden konnten, zeigte Bismarck Maß und Zurückhaltung.

      Er besaß ein gefährliches, jähzorniges Temperament, mit 16 Jahren soll er einem Reitlehrer ein Auge ausgeschlagen haben, von einem Berliner Gymnasium wurde er relegiert, weil er einen Professor einen bürgerlichen Esel nannte. Als Abgeordneter in Frankfurt hatte er die bürgerliche Intelligenz und Tüchtigkeit kennengelernt, die den ostelbischen Junkern weit überlegen waren. Es war dieses tüchtige Bürgertum, das aus eigener Kraft etwas erreicht hatte, das Bismarck auch weit über seinen Sturz hinaus die Treue hielt. Gleichzeitig spottete er über die »Professorenschwätzer« des Jahres 1848.

      Im Prinzip war Bismarck ein Mensch der Tat, der handelte, der Reden verabscheute, daher waren seine Parlamentsreden auch immer ziemlich sarkastisch.

      Außenpolitisch war er der geniale Politiker, der klar erkannte, was möglich war. Er selbst formulierte dazu einen großartigen Satz: »Der Staatsmann kann nie selbst etwas schaffen, er kann warten und lauschen, bis er den Schritt Gottes durch die Ereignisse hallen hört – dann vorspringen und den Zipfel des Mantels fassen, das ist alles.«

      Innenpolitisch verfehlte er mit seinem Kampf gegen die Sozialdemokratie die Zukunft, konnte auch nicht die Werte einer konstitutionellen Monarchie erkennen. Ein bleibendes Verdienst war das geheime, gleiche und direkte Wahlrecht für den Reichstag.

      In seine Ära fiel der Beginn jenes kabarettreifen (Hauptmann von Köpenick) gehorsamen preußischen Beamtentums. Bismarck ließ gegen freisinnige Beamte Maßnahmen ergreifen, sie wurden versetzt, schikaniert und aus dem Dienst drangsaliert – in dieser Atmosphäre musste das devote Untertanentum blühen.

      Bismarcks Verhältnis zur Presse war herablassend, er konnte die Journalisten nicht ausstehen, daher ging er auch mit der Pressefreiheit salopp um, schikanierte oder kaufte sie – die geheime Schatulle für die Bezahlung von gehorsamen Journalisten hieß nicht zufällig »Reptilienfonds«. Kluge Gegner im Parlament nannte er diffamierend Rabulisten, das Wort Intellektueller wurde regelrecht zu einem Schimpfwort pervertiert.

      Von Gegensätzen bestimmt war sein Verhältnis zum Militär, Politik und Heeresführung waren in ihren Zielen nicht kompatibel. Kein Wunder, dass ihn mit Moltke eine erbitterte Feindschaft verband. Respekt für den politischen Gegner und ein dementsprechender Umgang, wie etwa in Großbritannien längst üblich, entsprachen nicht dem preußischen Comment. Umgekehrt kam es zu geradezu peinlicher Heldenverehrung und Pilgerfahrten nach Friedrichsruh, dem Alterssitz Bismarcks.

       Werke

      Gedanken und Erinnerungen

      LÉON BLUM

      Der aus dem wohlsituierten jüdischen Bürgertum des Elsass stammende Léon Blum wandte sich schon als Student dem Sozialismus zu. Als sensibler Intellektueller war dies im Grunde eine logische Entwicklung. In seiner Studentenzeit – er studierte Jura in Paris an der Sorbonne – stand er unter dem Einfluss des elsässischen politischen Schriftstellers Maurice Barrès und seinem Ich-Kult. Blum war Ästhet, ja er wirkte fast dandyhaft. Im Quartier Latin war er in anarchistischen Kreisen zu Hause. Die Tradition der französischen Republikaner war ihm Maxime, der Sozialismus eines Jean Jaurès, getragen von demokratischem und humanistischem Geist, wurde ihm Credo. Nach der Ermordung Jaurès trat er gleichsam in die Fußstapfen seines großen Vorbildes.

      Nach seiner Promotion 1894 wirkte Blum zunächst als Literaturkritiker. Auslösendes Moment, sich dem Sozialismus anzuschließen, war für Blum wie für viele Intellektuelle seiner Zeit die Affäre Dreyfus. Der Kampf der Linksliberalen um Gerechtigkeit für den jüdischen Offizier Alfred Dreyfus, der ohne sein Zutun in ein Komplott konservativer Militärs geraten war, entwickelte sich zum Kampf um soziale Gerechtigkeit.

      Blums Engagement galt anfangs der Einigung der verschiedenen sozialistischen Parteien. Darauf zog er sich – bis zum Beginn des Ersten Weltkrieges – fast aus der Politik zurück und widmete sich der Literaturkritik, nur dem Staatsrat gehörte er als Mitglied an.

      Im August 1914 übernahm er die Funktion eines Kabinettschefs von Marcel Sembat, dem Minister für öffentliche Arbeiten im Kabinett Viviani.

      Nach dem Krieg war er es, der das neue Programm der Sozialisten formulierte. Dies war nötig geworden, weil sich 1920 die Kommunisten von den Sozialisten getrennt hatten. Da sie auf dem Parteikongress die Mehrheit erzielt hatten, konnten sie das gesamte Parteivermögen und die Presse übernehmen. Blum leitete nun die Wiedergeburt einer sozialistischen Partei ein. In der Deputiertenkammer wurde er zum Fraktionschef der Sozialisten und damit zum Chef der Opposition gegen Alexandre Millerand und Raymond Poincaré gewählt, außerdem betreute er als Direktor die Zeitung »Le Populaire«. Er trat mit dem Ziel an, seine Partei zur stärksten Fraktion im Abgeordnetenhaus zu machen und damit den Regierungschef stellen zu können. 1924 unterstützte er Edouard Herriots Kabinett des »Cartel des Gauches«, weigerte sich aber, selbst den Regierungen Herriot und Briand anzugehören.

      Bereits 1928 gewannen die Sozialisten 104 Sitze im Parlament, Blum selbst verlor sein Mandat. Ein Jahr später kehrte er aber wieder in die Kammer zurück, wobei er für den Distrikt Narbonne kandidiert hatte.

      Nach 1934 widmete er seine ganze Kraft dem Aufbau der linken Solidarität gegen die rechten Faschisten, denen er ein Programm aus Pazifismus, Verstaatlichung der französischen Industrie und Maßnahmen gegen die überbordende Arbeitslosigkeit entgegenhielt.

      Im Juni 1936 war es endlich so weit, Blum leitete das Kabinett der linken Volksfront, das sich aus Sozialisten, Kommunisten und Radikalen zusammensetzte. Blum war der erste sozialistische und jüdische Regierungschef in der Geschichte Frankreichs. Zunächst konnte diese Regierung, der unter anderen auch die berühmte Wissenschaftlerin und Nobelpreisträgerin Irène Joliot-Curie angehörte, große Erfolge erreichen: In Frankreich wurde die 40-Stunden-Woche eingeführt, mit bezahltem Urlaub und kollektiven Arbeitsverträgen wurden

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