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Jetzt schlug er dieses zu, und der dumpfe Ton, der dabei durchs Zimmer ging, füllte mich mit einem tiefen Grausen. Mein Vater trat zur Wanduhr, und ich sah, wie er die Gewichte vorsichtig abnahm, und hörte die Worte: ›Jetzt ist endlich das Ende da! alle Erscheinungen haben sich schon zu Millionenmalen wiederholt, die Welt ist reif zum Untergang, die jüngste Stunde ist vor der Tür.‹ Ich kann es nicht beschreiben, wie diese, ruhig hingesprochenen, fast tonlosen Worte mein Innerstes erschütterten; ich krümmte mich auf meinem Lager zusammen, meine Glieder bebten, Frost durchrieselte mein Gebein. Also jetzt – jetzt, rief ich bei mir – jetzt ist die letzte Stunde da! Als ich mich aufrichten wollte, bemerkte ich den Kirchendiener, welcher die Schlüssel des Gotteshauses abgab, die mein Vater, samt den abgelösten Gewichten, tönend in eine Ecke des Gemachs hinwarf. Die Leute aus dem Dorfe kamen mit Laternen, um in der Finsternis des Morgens den Weg zur Kirche zu finden; als die verschlossene Türe sie nicht einließ, schüttelten sie die Häupter, und ich sah mit Entsetzen in ihre blassen Gesichter. Man brachte eine Leiche, und mein Vater trat ans Fenster und rief: ›Stellt, guten Leute, Euren Toten nur hierher, in mein Vorzimmer, es lohnt nicht, ihn zu beerdigen, denn bald werden doch alle Toten auferstehn.‹ Die Knechte gingen, und ich hörte, wie der Sarg mit dumpfem Geräusch im Vorzimmer hingestellt wurde. Jetzt lehnte sich mein Vater weit zum Fenster hinaus, und schnitt mit einem langen, blitzenden Messer die Sonne und den Mond, die blaßrot am Horizont standen, vom Himmel ab, und zog sie, wie alberne, bunte Bilder, ins Zimmer hinein. Ich erschrak bis zum Tode; jetzt war das kleine Licht, welches in unsrer Stube brannte, das einzige der weiten, kalten, dunkeln Schöpfung; ein mitternächtlicher Sturm wehte ins Zimmer, und drohte, es zu verlöschen; ich sah, wie mein Vater heftig zitterte. Er blickte mich starr an, und schien in Erwartung eines mächtigen Ereignisses dazustehn. Jetzt verlöschte ein Windstoß das Licht, und in dem Augenblick hörte ich, wie die Leiche im Nebenzimmer in ihrem Sarge sich aufrichtete. Der Schreck, der mich befiel, war so mächtig, daß ich erwachte, und lange nicht zur Besinnung kommen konnte. Wie groß war mein Entzücken, als ich die Sonne am Himmel stehen sah, wie sie ihre freundlichsten Strahlen zu mir aufs Lager sandte: nie hat mich ihr Anblick so erwärmt und beseligt.«

      Die Freunde hörten diese Erzählung ruhig an, und nur Eduard erwiderte: »Was mich betrifft, so stelle ich mir einen Weltuntergang weit großartiger vor; viel lieber will ich mit einem zerplatzenden Feuerball in die Ewigkeit hineinfliegen, als an einem kalten Wintermorgen verkümmern.« – »Sie haben Recht,« nahm der Abt das Wort, »auch mir geht es so; ist nun einmal unser armer Leib dazu ersehen, an jenem merkwürdigen Tage zu erfrieren oder zu verbrennen, so will ich doch das letztere gewählt haben. Das Feuer ist an und für sich schon Leben und Poesie, aus einer tüchtigen Winterkälte kann ich aber, trotz alles Grübelns und Deutens, keine nur einigermaßen dichterische Bedeutung herausfinden.« – »Jeder muß auf seine Weise untergehn können,« rief Robert, »so wie Jeder auf seine Weise in den Himmel steigt; ich will nun einmal auf keine andre Art abhanden kommen. Mir ist jenes Erstarren das finsterste Bild der Vernichtung; alles, alles schwindet – jeder die Seele wärmende Gedanke flieht – das Meer des Lebens erstarrt langsam, bis es endlich in seinen Grundtiefen bezwungen da liegt. Ich kann mir denken, daß in diesem fürchterlichen Zustande der Gedanke an eine durch Feuer erzeugte Pein noch ein Labsal ist, daß die Seele dürstet nach Verzweiflung, ja, daß die kälteste Resignation für sie noch zu warm ist, um sie zu fassen.« – »Abscheulich,« rief der Herzog, »und doch wahr! Ist denn unsre Zeit mit ihren Wirkungen etwas anders, als ein langsames, bis zum Herzen vorrückendes Erstarren?« Er warf sich auf einen Sessel und stützte sein Haupt auf die Rechte. Jokonde ging unruhig hin und her; es war ihr unlieb, daß das Gespräch eine Wendung genommen hatte, welche die heitre Stimmung des Geliebten, mit welcher er heute Abend erschienen war, zu vernichten drohte. Sie wurde noch unzufriedener, als Robert sich jetzt erhob um Abschied zu nehmen, da eine kleine Reise, die er vorhabe, sich nicht länger aufschieben lasse; der Abt begleitete ihn. »So verläßt mich denn alles,« rief der verstimmte Fürst; »ich soll es lernen, wie elend und traurig es ist, allein im Leben dazustehn.« Jokonde schmiegte sich an feine Brust; sie hatte den jungen Eduard gebeten, die Harfe zu ergreifen und ein erheiterndes Liedchen vorzutragen. Massiello war auch fortgeschlichen, unter dem Vorwand, er wäre zu einer Leichenbestattung gebeten, von der er unmöglich ausbleiben könne. So blieb der Herzog mit Jokonde und Eduard allein. Eine lange Pause herrschte, der Fürst hatte sich am Kamin hingeworfen, sein Blick verfolgte die züngelnden Flammen, Eduard lehnte an der Harfe, auf welcher er, wie im Traume, einzelne Akkorde anschlug; auf einer Fußbank beim Herzog, das Köpfchen an seine Knie gelehnt, lag Jokonde. Am Himmel stand der Mond und glänzte im Fluge hinter flatternden Fetzen des zerrissenen Mantels der Nacht hervor, der Herbstwind warf die nackten Zweige des Baumes am Fenster an einander und zog in hohlen Tönen im Kamine auf und ab. »Das Leben ist so arm,« rief der Herzog, »und doch vermag eine liebliche Schwärmerei es reich zu machen!« – Eduard sang das Lied vom König von Thule. – »Ja, ja,« seufzte der Fürst, »so möcht' ich enden! Jokonde, prüfe Dich, Du gutes Mädchen, könntest Du wohl eben so handeln, wie jene Buhle?« – »Noch mehr, noch mehr für Dich!« rief sie, und ihr Lockenkopf hob sich, die Züge ihres engelschönen Angesichts im Ausdruck der reinsten Zärtlichkeit zu enthüllen. Es lag auf ihrem Antlitz die sinnliche Andacht eines Raphaelischen Engels, der vor einer Heiligen kniet; der Herzog zog sie entzückt an sich, sein Auge flammte, und Eduards Lied jubelte in hellen Tönen auf. »Du mein Geliebter, Du mein angebetener König,« lächelte das liebliche Kind weiter, »Du schönster unter den Männern, nicht wahr, Du bezahlst doch morgen meine Schulden? Neun hundert Gulden, mein Geliebter!« Der Herzog nickte ihr zu, wand sich aber aus ihrer Umarmung plötzlich los, schlug die Falten seines Mantels schnell übers Gesicht, stand auf und warf einen zornigen Blick Eduarden zu, der sein begeistertes Lied eben mit einigen schreiend albernen Noten abspringen lies. Beide verließen das Gemach und Jokonde blieb ohne Antwort, verstimmt und verwundert am Kamine stehen.

      Draußen war eben der erste Schnee gefallen, der Himmel hatte sich umzogen und lag wie ein kaltes, enges Gefängnis-Gewölbe über der Erde, nur von dem matten, trüben Mond, wie von der zurückgelassenen Laterne des Gefangnen-Wärters, erleuchtet. Der Sturm hatte sich gelegt. Die Straße, wo die letzten Häuser aufhörten und das weite, öde Meer sich ausdehnte, lag in Schnee und Nebel gehüllt, kein Luftzug rührte sich, alles war tot und stille. Da kam die Straße daher ein einsamer Wagen, mühsam von einem alten Gaul geschleppt, der von den dumpfen Tönen des Fuhrmanns von Zeit zu Zeit angespornt wurde, hinten drein gingen zwei Männer, hängenden Hauptes, in weite Mäntel geschlagen. Auf dem Wagen, als er näher kam, bemerkte man, etwas erhöht, einen kleinen Sarg mit einer Kinderleiche. Der Herzog und Eduard standen bei diesem Anblicke tief ergriffen stille, und bemühten sich, den wunderlichen Zug aufzuhalten; endlich gelang es ihnen, einem der schwarzen Begleiter Antwort abzugewinnen, er schlug den Mantel vom Antlitz, und der Herzog erkannte den alten Fleackwouth, neben ihm stand Massiello. »He, was treibt Ihr hier, Leute?« fragte der Fürst, »was ist es mit dem Kinde; ist es etwa eines von deinen vielen, Massiello, die Du jetzt mit dem ersten Schnee abzuschütteln gedenkst?« Der Alte sah den Herzog mit einem schmerzlichen, fast weinerlichen Ernst an und sagte hohl: »O, ich bitte Euch – nur jetzt keine Scherze, nur jetzt nicht; haltet mich auch nicht auf, denn ich trage jetzt meine Jugend zu Grabe, und dieser treffliche Mann hier folgt mit mir der schönen Leiche.« – »Ja, ja,« rief Massiello, »so ist's, laßt uns gehn, damit wir anlangen, ehe der Kirchhofwächter die Thore seiner Stadt schließt, und wir keinen anständigen Gasthof zur Verwesung mehr offen finden.« Der Herzog sah den Alten starr an, ein Schauer schien ihn zu durchfrösteln, er sah in die neblichte Nacht hinaus, dann auf den stillen, gespenstigen Zug und auf die blasse Kinderleiche, und stöhnte: »Seine Jugend begräbt er! Ja wohl, ja wohl ist es dann erst Zeit, daß das ganze alberne Fastnachtsspiel des Lebens zu Ende gehe?« Eduard hatte sich indes an die Leiche gemacht und rief: »O, seht Prinz, ein Kinderkopf aus Wachs geformt, mit weißen Tüchern sauber umwickelt, und diese Puppe läßt der Alte wahrhaftig als Leiche vor sich hin tragen!« – »Laßt ihn, laßt ihn!« gebot der Herzog leise und kurz. Der Zug setzte sich wieder in Bewegung, und Massiello sang mit lauter, kreischender Stimme ein Lied aus einer Kinderfibel nach einer frommen Melodie, so daß die Töne aus dem fallenden Schneegestöber hervortönten, als der Zug schon längst den Blicken entschwunden war. »So,« rief der Herzog, indem er, in seinen Mantel geschlagen, von einer trüb leuchtenden Laterne beschienen, einsam dastand, »so trägt jeder am Ende seine Jugend heim; einmal im Leben muß dies trübselige Leichenfest

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