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      John Adams

      Gordon ging langsam an den Leichen vorüber. Sie waren in einer Reihe vor dem Farmhaus abgelegt worden. Blutgetränkte Laken bedeckten die schweren Wunden, die sie durch die Hände eines versprengten Vorstoßtrupps von Jacques' Armee erlitten hatten.

      Zu erleben, dass irgendjemand von seinen Anhängern brutal ermordet wurde, setzte Gordon arg zu, doch dieser Überfall war barbarisch. Sie hatten nicht nur kleine Kinder abgeschlachtet; das erste Team, das aufgetaucht war, hatte sie sogar vergewaltigt.

      Wer tut so etwas?, fragte sich Gordon, während er an die bedauernswerten, unschuldigen Kinder dachte, die solchen Gräueltaten unterworfen wurden. Die Angst, die sie empfunden haben mussten, ihre Hilflosigkeit und ihr äußerstes Entsetzen. Daran zu denken brachte sein Blut zum Kochen. Er hatte sofort geahnt, als ihm Jacques' Invasion gemeldet worden war, dass es zu einer brutalen Auseinandersetzung kommen würde. Jacques war nicht irgendein Widersacher, sondern ein Schlächter.

      Ein kräftiger Wind brauste durchs Tal und wehte ein Laken von einem toten Mädchen.

      Zuerst zuckte Gordon zusammen, als er den nackten, grün und blau geschlagenen Körper sah. Zum Schluss hatte man ihr die Kehle aufgeschlitzt – ein klaffender Schnitt, an dem sie gestorben war. Er wandte sich ab, stockte aber sogleich, drehte sich wieder um und betrachtete sie. Er musste sich ihr Gesicht einprägen. Wenn er sie in Gedanken behielt, würde sie nicht komplett dahinscheiden.

      Er kauerte nieder, zog das Laken wieder über die Leiche und steckte es fest. »Ich werde dich nicht vergessen.«

      »Gordon, wir haben einen gefunden«, rief John von einem kleinen Schuppen her, der auf dem hinteren Teil des Geländes stand.

      Als Gordon ihn hörte, sprang er auf und stapfte zum Hinterhof.

      John und zwei Marines zerrten einen jungen Mann aus dem verwitterten Holzbau. Sie stießen ihn zu Boden.

      »Fickt euch!«, schrie der Fremde trotzig, obwohl er gefasst worden war. Er hatte dickes, langes Haar, das ihm ins Gesicht hing. Er schob es beiseite und spuckte. »Ihr werdet alle sterben, ha.«

      Gordon baute sich vor dem Mann auf, packte ihn beim Schopf, ohne etwas zu sagen, und schleifte ihn vors Haus.

      Der Gefangene schrie laut.

      Gordon schwieg weiter, während er ihn über die hart gefrorene Erde zog.

      »Ihr habt ausgeschissen, Jacques macht euch alle kalt!«, drohte der Mann.

      Als er die nebeneinandergelegten Leichen erreichte, blieb Gordon stehen. Er ließ den Gefangenen los und fragte: »Ihr habt sie umgebracht, warum?«

      Der Mann lachte. »Ja, und?«, erwiderte er.

      Da sah Gordon rot. Er ballte eine Faust und rammte sie ihm mitten ins Gesicht.

      Der Unbekannte kippte rückwärts und fiel auf den Rücken.

      Nun rollten zwei Trucks in die Einfahrt.

      Gordon warf einen Blick über die Schulter, um zu sehen, wer da kam.

      John trat hinzu und sagte: »Sieht nach Elizabeths Sicherheitstrupp aus.«

      »Hm? Was um alles in der Welt will sie hier?«, wunderte sich Gordon. »Das ist keine gesicherte Militärzone.«

      Die Wagen hielten an.

      Die hintere rechte Tür des ersten ging auf. Elizabeth Karen stieg aus und stakste vorsichtig durch den etwa sechs Zoll hohen Schnee, dessen Decke gefroren war.

      Der Mann lachte wieder. »Wetten, dass sie härter zuschlägt als du«, höhnte er.

      Gordon blickte abfällig zu ihm hinab. Dann widmete er sich Elizabeth. »Was wollen Sie hier?«

      Sie war nicht groß – keinen Meter siebzig – und sehr dünn, wog vermutlich nicht mehr als sechzig Kilo. Allerdings ließ sie sich durch ihr zierliches Äußeres nicht davon abhalten, ihren Einfluss vehement geltend zu machen. Von Beginn an waren sich Gordon und sie nicht ganz grün gewesen. Nicht nur ihre Regierungsstile, auch ihre Grundsätze waren grundverschieden. Sie hatte ideologisch auf Charles Chenoweths Seite gestanden, wenn auch nicht zu seiner Gruppe gehört. Um die Lage zu entspannen und eine Einigung zu erwirken, hatte Michael Rutledge Gordon überredet, unterschiedliche Meinungen im Rat zuzulassen. Dies gefiel Gordon zwar nicht, doch politische Feinheiten überließ er Michael. Binnen weniger Wochen war es Elizabeth gelungen, zur Vorsitzenden gewählt zu werden, indem sie einen von Michaels Freunden davon überzeugt hatte, für sie zu stimmen. Das wunderte Gordon nicht, und nun saß Michael mit einer Minderheit im Rat. Von jenem Tag an hatte sich die Versammlung bei jedem von Gordons Vorschlägen quergestellt. Er war jedoch keine typische Führungsperson und nicht so sehr auf Regeln oder Verhandeln bedacht, weshalb er weiterhin pragmatisch blieb und seinen Willen durchsetzte, um zügig voranschreiten zu können.

      Elizabeth näherte sich ihm nun mit ausdruckslosem Gesicht.

      Gordon sah sie an und wiederholte: »Was wollen Sie? Hier ist es nicht sicher.«

      »Das könnte ich Sie genauso fragen. Sie sind der Präsident, und wir dürfen das Leben unseres Anführers nicht gefährden.«

      »Tja, ich bin kein Schreibtischhengst. Ich ziehe es vor, von der Front aus zu führen.«

      Sie trat an ihm vorbei und besah die Leichen. »Ich habe erfahren, dass sie massakriert wurden, und wollte mich mit eigenen Augen davon überzeugen.«

      Gordon war ihr Besuch nicht geheuer. Er stellte sich neben sie und sagte: »Sie haben sogar die Kinder vergewaltigt.«

      »Oh nein«, stöhnte sie und hielt sich eine behandschuhte Hand vor den Mund.

      »Und das war nicht das letzte Mal!«, schrie der Gefangene.

      Elizabeth schaute zu ihm hinunter auf den Boden. Ein wenig Blut rann aus einer aufgeplatzten Lippe an seinem Kinn hinunter. »Ist er …«

      »Ja, er gehört zu den Dreckschweinen, die das getan haben«, bestätigte Gordon.

      »Warum? Warum tut jemand so etwas?«, fragte Elizabeth. Sie wandte sich von den Leichen ab. »Das ist Krieg«, schloss sie. »Das ist Mord.«

      »Sie irren sich«, widersprach Gordon. »Ja, das ist Krieg, aber deshalb müssen wir sie so schnell wie möglich vernichten und dazu alle Mittel aufwenden, die wir haben. Andernfalls erleben wir nämlich noch mehr davon, bloß auf breiterer Ebene.«

      »Was machen wir mit diesem Mann?«, wollte Elizabeth wissen.

      »Zuerst werde ich ihn vernehmen, dann …«

      »Ich sage kein Wort, fick dich!«, schrie der Gefangene.

      Elizabeth marschierte auf ihn zu und blieb nur wenige Fuß vor ihm stehen. Sie starrte ihn böse an und fragte: »Warum haben Sie das getan?«

      »Weil das hier unser Land ist«, antwortete er. »Wir tun, was wir wollen.«

      Sie antwortete mit scharfem Ton: »Sie sind Abschaum!«

      »Wir haben noch einen!«, rief ein Marine von einem Feld an der Rückseite des Hauses.

      Alle blickten auf und sahen einen einzelnen Mann, der über das verschneite Terrain lief, so schnell er konnte.

      Ein Gewehrschuss fiel.

      Der Schütze traf den Hintern des Mannes, sodass dieser zu Boden stürzte.

      Mehrere Soldaten holten ihn ein und brachten ihn zurück.

      Er verhielt sich genauso trotzig wie sein Mitstreiter und brüllte unflätig.

      »Ihr seid alle tot – tot, verstanden?«, schrie er.

      Elizabeth stellte ihm eine ähnliche Frage wie dem ersten Mann: »Warum haben Sie das

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