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vor Schmerz aufschrie, wagte er einen kurzen Blick zurück; der ältere Polizist war getaumelt und hatte seinen Partner ebenfalls niedergerissen. Jetzt sah man nur noch zappelnde Glieder in Uniform. Die Jungs würden es tatsächlich schaffen, doch noch zu entkommen.

      Dann trat jedoch der Mann im Anzug von British Rail hinter dem Gebüsch hervor und schnappte sich Grant. Davey kam schlitternd zum Stehen und beobachtete, wie der Junge in der Luft um sich trat und dem Schaffner einen Gummistiefel in die Weichteile rammte. Der Mann drehte sich zwar rechtzeitig zur Seite, verlor aber vorübergehend das Gleichgewicht. Er stellte sich zwischen die Schienen und schüttelte grinsend den Kopf.

      »Hier kommst du nicht weiter«, sagte er. Grant drehte sich nach ihren Verfolgern um, und sah dann wieder zum Schaffner. Davey schaute zu seinem Freund auf. Er hatte Angst und wollte am liebsten weinen, schließlich war er erst fünf. Grants Blick schnellte nach links und dann lächelte er – ein Zucken eher, bei dem sich der Leberfleck an seiner Oberlippe kräuselte. In diesem kurzen Augenblick bewunderte Davey den älteren Knaben in einer Art von Heldenverehrung, die es nur unter kleinen Jungen gab. Sein ganzes Leben lang würde er sich daran erinnern, wie sein Freund unbeugsam vor der Kulisse der Eisenbahnbrücke und entlegenen Berge stand, darüber ein Himmel so strahlend blau, wie er es noch nie zuvor gesehen hatte. In dieser Situation hätte er alles für Grant getan und wusste deshalb, was zu tun war, als dieser mit den Lippen das Wort Laufsteg formte.

      Die beiden Jungen stürzten gleichzeitig zur Seite der Brücke – der ältere zuerst – und schwangen sich energisch auf die Leiter über dem Fluss, einer Furche voll mit unbewegtem, grünbraunen Wasser fünfzig Fuß tiefer. Binnen weniger Sekunden waren sie unter der Brücke.

      Die beiden Polizisten wechselten besorgte Blicke. Der Schaffner ging auf sie zu. Er nahm Zigaretten aus seiner Tasche und bot ihnen welche an. Diese rauchten sie dann gemeinsam.

      »Dort unten ist es nicht sicher«, sagte er. »Hätte schon vor Jahren für sanierungsbedürftig erklärt werden müssen.«

      Der ältere Beamte spuckte nachdenklich auf das Gleis, der jüngere sprach wieder in sein Funkgerät.

      »Sehen Sie.« Sein Kollege zeigte auf die Spucke, die jetzt auf dem erhitzten Metall zu zittern begann. »Der nächste Zug kommt!«

      Nun griff auch er zu seinem Funkgerät.

      – 5 –

      Wieso kamen die nicht zu ihnen herunter? Das hätte Davey gern gewusst. Grant hatte ihm gesagt, sie wären Angsthasen – entweder das, oder sie waren zu groß, um sich über den Laufsteg zu zwängen. Jetzt wollte Davey nichts weiter, als wieder nach Hause zurückzukehren und mit seinen kleinen Soldaten zu spielen, begleitet vom einträchtigen Plätschern des Baches – der Trockenperiode wegen, war er im Moment kaum mehr als ein Rinnsal – am Fuß des Gartens, statt sich unter der Brücke hoch über dem schlammigen Wasser des Meas an rostige Stangen und am Geländer festzuklammern. Nicht hinunterschauen, hatte Grant ihm befohlen, aber das musste man einfach tun, es ging gar nicht anders. Mit jedem Blick hinab drehte sich die Welt wie nach einer Fahrt mit dem Karussell auf dem Rummelplatz, doch das hatte immer Spaß gemacht. Diese Sache hier nicht.

      Er umschlang eine senkrechte Strebe und drückte seine Wange gegen die vor Korrosion raue Eisenstange, während seine Füße noch so eben nebeneinander auf das schmale Trittbrett passten, das anscheinend die letzte Sprosse einer schlichten Leiter war. Über ihm tat sich ein Dschungel auf, eiserne Stämme mit Stützträgern als Ästen, Muttern und Schrauben statt Laub: Genau das war die Brücke.

      »Jungs«, rief eine Stimme von oben. »Haltet euch fest, nicht bewegen.«

      Grant zeigte mit zwei Fingern in die Richtung, aus der die Aufforderung gekommen war. »Die wollen uns verarschen«, sagte er. »Komm weiter.« Er machte sich wieder auf den Weg und näherte sich nun bereits der Mitte des Laufstegs.

      Davey konnte sich nicht mehr bewegen. Er schmiegte sich noch fester an die Eisenstange, kniff die Augen zusammen und schüttelte vehement den Kopf.

      »Schon gut, Davey«, raunte Grant ihm zu und klang dabei fast tröstend. »Ich lasse nicht zu, dass dir etwas geschieht.« Die Art, wie Grant seinen Namen ausgesprochen hatte, ermutigte Davey. Er öffnete die Augen und schaute vorsichtig hinunter, löste sich aber sofort wieder vom Anblick des Gefälles zum Fluss, indem er seinen Kopf hastig hochriss. Dann holte er tief Luft und nahm Grants ausgestreckte Hand.

      »Stell einen Fuß auf die Stufe dort.« Er zeigte sie ihm. »Dann ziehe ich dich zu mir.«

      Davey machte einen Schritt ins Leere unter ihm, sein anderer Fuß rutschte plötzlich ab, und sein Sichtfeld geriet in Schieflage. Er würde fallen!

      Grant packte sein Handgelenk und zog ihn hoch auf die nächste Ebene des Laufstegs.

      Nach einer Minute Verschnaufen, während Grant seine Glieder von jenen des Jüngeren trennen musste, begannen sie, sich an dem Gewirr aus Metall entlangzubewegen, wobei sie schwach wahrnahmen, dass etwas in der Ferne leise donnerte. Endlich erreichten sie den mittleren Punkt unter der Brücke, wie Grant glaubte. Dort rückten sie dicht zusammen und hielten sich am Gestänge fest. Die Männer riefen von oben aufgeregt etwas, doch ihre Worte waren nicht zu verstehen, man hörte nur, dass sie zusehends wütender wurden.

      »Was sollen wir jetzt machen?«, fragte Davey.

      »Warten, bis sie sich verziehen«, antwortete Grant lapidar.

      »Und wenn sie sich nicht verziehen?«

      »Sie werden.« Grant klang überzeugt. »Denkst du, die warten den ganzen Tag auf uns?«

      »Weiß nicht.«

      »Natürlich nicht – und Hilfe werden sie auch nicht holen. Denn wenn sie das tun, sehen sie wirklich dämlich aus. Man wird sie auslachen, wenn sie erzählen, dass sie von zwei kleinen Jungen ausgetrickst worden sind.«

      Davey dachte darüber nach. Grant hatte vermutlich recht. Außerdem kannte er sich wegen seines Daddys mit der Polizei aus, wenngleich dieser sie für gewöhnlich Bullen nannte. Davey kam es so vor, als nähere sich das Donnern aus der Ferne immer mehr.

      »Die hauen ab oder tun so, als ob, damit wir hochkommen, und versuchen dann, uns auf Ross' Feldern zu schnappen. Kriegen werden sie uns aber nicht, weil …« Er hielt abrupt inne und starrte auf das Metall in seinen Händen. Davey tat es ihm gleich. Es vibrierte, und zwar schon seit einer ganzen Weile. Unterschwellig war es ein recht angenehmes Gefühl. Davey schaute Grant nach einer Erklärung suchend an. Zum ersten Mal, soweit er sich an seine Erlebnisse mit ihm erinnern konnte, sah sein Freund ängstlich aus.

      Deshalb bekam auch Davey Angst.

      »W-was ist los?«, fragte er den Tränen nahe.

      Grant schaute über Daveys Schulter in die Richtung, aus der sie gekommen waren.

      »Ein Zug nähert sich.«

      Davey sah ihn verständnislos an. Ist doch gut so, hätte er gern gesagt. Schließlich waren sie hier unten sicher. Aber dann begriff er es: Er vergegenwärtigte sich die Erschütterungen durch die Lok in unmittelbarer Nähe und dachte dann an die Metallsplitter, die am Flussufer heruntergekommen waren, als Grant den Laufsteg mit seinem Stein getroffen hatte. Er erinnerte sich noch genau an den Eindruck, die Erde selbst hätte gebebt, als der Zug vorbeigerast war.

      »Wir werden hinunterfallen, oder?«, fragte Davey im Flüsterton.

      Da blitzten Grants Augen verärgert auf.

      »Nein, werden wir nicht. Los jetzt, geh dorthin zurück, wo wir hergekommen sind.«

      Nachdem sie sich mühsam auf dem schmalen Gang umgedreht hatten, sahen sie, dass der junge Polizist an der Leiter am anderen Ende hing.

      »Nicht bewegen, Freunde.« Seine Stimme hallte über den Laufsteg. »Da kommt ein Zug, haltet euch bloß fest.« Davey fand, er hörte sich besorgt an. Wenn Erwachsene so klangen, gefiel ihm das gar nicht. Es machte ihm Angst!

      »Nein, hier entlang«, drängte ihn Grant und drehte sich zum anderen Ufer um.

      Davey

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