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DUNKLER FLUSS. Nicholas Bennett
Читать онлайн.Название DUNKLER FLUSS
Год выпуска 0
isbn 9783958350373
Автор произведения Nicholas Bennett
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
»Nette Geschichte, aber worauf wollen Sie hinaus?«
Jetzt schüttelte James den Kopf. »Weiß ich eigentlich gar nicht, aber lassen Sie mich sagen, wer die beiden Jungen waren: Der Ertrinkende war der Sohn von Lord Churchill Winston, der als Erwachsener ein wenig von sich reden machte.«
»Jesus«, wisperte Weaver.
»Nicht ganz«, erwiderte James, »aber trotzdem ein ziemlich wichtiger Typ, nicht wahr?«
»Aber hallo.« Weaver stand auf und streckte sich. »Wie gesagt, eine nette Geschichte.«
»Ich bin noch nicht fertig. Sie sollten wissen, dass sich der andere in seinem Bereich auch sehr gut behauptet hat. Mancher würde sogar behaupten, seine Leistung fürs 20. Jahrhundert sei sogar noch wichtiger gewesen als Churchills.«
»Sie machen Witze.«
»Nein, denn dazu bin ich nicht aufgelegt.« James erhob sich und beugte seinen gewaltigen Oberkörper nach vorn. »Der Wildhüter hieß Fleming, sein Sohn Alexander. Schicksal.«
Weaver schaute zu, wie James zum Gebäude zurückging, und dachte an im Dunkeln ausgestreckte Hände.
– 2 –
Measton Highschool
»Irgendetwas stimmte nicht, Sir.«
Claire hatte dort Platz genommen, wo sie immer saß: in der Nähe des Fensters auf halbem Weg durch die Bankreihe hinter Jack Bermingham und Sonny Ingles. Ersterer warf einen verstohlenen Blick zurück in ihre Richtung, wann immer er konnte. Sie schaute Mr. Davies an – ihr langer Pony reichte ihr bis knapp über ihre Augen – und biss sich dabei auf die Unterlippe. Er war nun schon seit einiger Zeit ihr Lieblingslehrer, was zugegebenermaßen nicht nur daran lag, dass er seine Arbeit gut machte und sie Geschichte mochte. Er gehörte zu den jüngsten Lehrern der Measton High und hatte einen feinen Sinn für Humor. Selbst Sonny und Jack benahmen sich in seinem Unterricht, weil er lustig war und ihnen interessante Dinge beibrachte – nicht zu vergessen, dass er oft sarkastische Spitzen austeilte, fit war, und zwar im übertragenen wie im wortwörtlichen Sinn. Dienstags ging Claire besonders gern in die Schule, da sie ihn in der ersten Doppelstunde in Geschichte hatte und kurz vor der Mittagspause noch einmal in Sozial- und Gesundheitskunde. Heute aber war etwas ganz und gar nicht in Ordnung.
Zehn Minuten waren vergangen, ohne dass Mr. Davies auch nur ein einziges Wort gesagt hatte. Zunächst hatten die Schüler der neunten Klasse weiter miteinander geredet und dabei mit dem unvermeidlichen Aufruf des Lehrers zum Beginn der Stunde gerechnet. Da dieser nicht erfolgt war, stellte sich langsam Stille in der 9B ein, denn man begann nach und nach, Davies' eigenartiges Verhalten zur Kenntnis zu nehmen. Normalerweise deutete ein solcher Start in den Tag auf einen bevorstehenden Anschiss hin, aber das war eigentlich nicht sein Stil. Er sparte sich seine Schelte lieber fürs Ende der Stunde auf und wurde in seinem Unterricht selten laut. Dies zählte mit zu den Gründen dafür, dass sie ihn alle so cool fanden.
Claire wusste, dass dies eine tiefere Bewandtnis haben musste. Sie schaute hinüber auf die andere Seite des Saals, wo der Platz neben Sarah Keenan unbesetzt geblieben war. Patsy galt seit zwei Tagen als vermisst. Sie war mit diesem Clear-Typen verschwunden, der aufs Measton College ging, und so langsam befürchteten die Leute das Schlimmste. Man erwartete, Patsys Mum werde sich bald in den Nachrichten mit einer Bitte an die Öffentlichkeit wenden. Wann immer Eltern im Fernsehen dazu aufriefen, nach ihren verschollenen Kindern zu suchen, sagte Claires Mutter, sie seien schon tot. Ihr Stiefvater hingegen zeigte für gewöhnlich auf den Vater und behauptete: Er war es. So etwas passierte jedoch immer nur anderen Leuten, aber nicht hier in Measton, diesem verschlafenen Nest. Vielleicht hatte Mr. Davies etwas gehört und war zu aufgebracht zum Sprechen, aber diesen Anschein erweckte er nicht. Er sah eher … na ja stoned aus, wie Claire fand. Am Brückenpfeiler in der Nähe von Ross' Wäldchen, hatte sie schon so viele Gleichaltrige bekifft erlebt, dass sie genau wusste, wie es aussah, wenngleich sie selbst bei Weitem zu ängstlich war, um es selbst zu probieren – im Gegensatz zu Patsy, die zu nichts Nein sagte.
Davies saß hinter seinem Pult und starrte weiterhin zum Fenster hinaus. Außerdem war er unrasiert. In der Regel kam er makellos gekleidet und mit glattem Gesicht, doch heute wirkte er struppig und ungepflegt. Hätte Claire ehrlich sein müssen, wäre sie nicht umhingekommen, ihn darauf hinzuweisen, dass er sich dringend waschen musste. Sie hatte einen muffigen Geruch aufgeschnappt, als sie an seinem Tisch vorbeigegangen war, und sich dabei daran erinnert gefühlt, wie der Boden ihrer Sporttasche roch, wenn sie ihr nasses Handtuch und die verschwitzten Klamotten, erst sonntagabends herausnahm. Womöglich, dachte sie, war er einfach noch nicht richtig gesund, schließlich hatte er sich am Vortag krankgemeldet.
Claire wollte ihn fragen, ob er sich unwohl fühlte, hielt es aber für unangemessen. Sogar Sonny rutschte unruhig auf seinem Stuhl herum. Auch er spürte es, denn andernfalls hätte er Davies mit den üblichen Fragen über seine Taucherleidenschaft gelöchert. Sonny verstand es bestens, Lehrer in Gespräche über Themen zu verwickeln, die nichts mit der Schule zu tun hatten, saß aber heute schweigend auf seinem Platz.
Sie ertappte sich dabei, dass sie wieder an die Vermisste dachte. Patsy war ein Flittchen und stand mit ihren dicken Brüsten im krassen Widerspruch zu Claires knabenhafter Figur. Sie und ihre Freundinnen erachteten Patsy als Schulmatratze und Schlampe, obwohl das Mädchen eigentlich recht umgänglich war, wenn man allein mit ihr sprach, also ohne, dass jemand anderes zuhörte. In ihren wenigen Unterhaltungen, die man als solche hatte bezeichnen können, war Patsys familiärer Hintergrund auf klischeehaft einfache Weise zutage getreten: Ihr Vater trank und prügelte, ihre Mutter trank und weinte. Irgendwo dazwischen existierten Patsy und ihr kleiner Bruder.
Als sie in betretener Stille auf ihrem angestammten Platz saß, während das ungewohnt mürrische Benehmen ihres Lieblingslehrer auf die Klasse übersprang, wurde ihr zum ersten Mal der Zusammenhang zwischen Patsys Alltags und ihrer offensichtlichen Bereitwilligkeit klar, etwas mit jedem Jungen anzufangen, der nur ein bisschen freundlich zu ihr war. Sie glaubte nicht, dass das Mädchen ansonsten allzu viel Freundliches erlebte.
Jetzt da sie verschwunden war, wollten jeder, wie Claire mit Verdruss feststellte, gut Freund mit ihr gewesen sein. Die Leute aus der hochnäsigen Benetton-Gang – die Gruppe wurde so genannt, weil zwei daraus Samstagsjobs bei dem Konzern hatten, und Mann, die hielten sich vielleicht für was Besseres! – liefen mit langen Gesichtern herum und taten so, als habe Patsy schon immer zu ihnen gehört. Helen Walsh, die stets aufgedonnerte Anführerin der Clique, hatte am Vortag beim Lunch sogar geweint und die Aufmerksamkeit, die ihr durch eine Schar betroffener Mitschüler zuteilgeworden war – Nicken und Kopfschütteln in gespielter Anteilnahme – offensichtlich gehasst. Heuchler, dachte Claire wütend, während sie den Blick durch die Klasse schweifen ließ.
Sie wurde in ihren Gedanken unterbrochen, als sich Mr. Davies plötzlich hinter dem Pult erhob. Dann trat er wie ein Mann, auf dessen Schultern die Bürde der ganzen Menschheit lastete, vor die Tafel und griff zu einem Stück Kreide. Die Klasse schlug erwartungsvoll ihre Arbeitshefte auf. Der Lehrer wandte seinen Schülern den Rücken zu und schien kurz abzuwägen, was er an die Tafel schreiben sollte.
Nun durfte sich die Klasse wohl entspannen und die Normalität kehrte wieder ein. Die Ruhe und das Schweigen waren den Kids unnatürlich vorgekommen. Als Davies begleitet von einem Quietschen das Datum schrieb, sahen seine Buchstaben ein wenig unsicher aus, so als zittere seine Hand ein bisschen. Dann hielt er inne und drehte sich langsam zu seinen Schützlingen um.
Er grinste. Claire spürte, dass sie unbeabsichtigt erschauderte. Davies' Gesicht war zu einem anzüglichen Grinsen verzerrt, bei dem er die Zähne zeigte, doch da er dabei die Mundwinkel herunterzog und so ausdruckslos aussah, wirkte es insgesamt eher fratzenhaft. Als er sich wieder der Tafel zuwandte, war Claire froh dieses Grinsen nicht länger sehen zu müssen. Sie bemerkte, dass sich ihr Unbehagen in den Mienen ihrer Mitschüler widerspiegelte, und schaute zu, wie Davies im gleichen zitterigen Schriftbild fortfuhr.
Ich bin …
Was sollte