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      Jetzt waren sie allerdings müde und daher ein bißchen quengelig. Aber das hielt sich in Grenzen. Die Aussicht auf den Erwerb eines Bollerwagens regte die Phantasie der beiden an und ließ sie die Müdigkeit beinahe vergessen.

      Endlich tauchte tatsächlich das niedrige Fischerhäuschen auf, das Roberta für sie alle gemietet hatte. Es lag außerhalb der Stadtgrenze, fast schon in den Dünen, die sich teilweise in beachtlichem Ausmaß dahinter erhoben.

      Der Besitzer hatte mit viel Mühe einen mageren Rasen drumherum gezüchtet, der jedoch regelmäßig von den Schafen abgefressen wurde, wenn der Schäfer sie vom Nord- zum Süddeich trieb. Vor den kleinen Sprossenfenstern blühten Geranien, und neben der grünlackierten Holztür stand eine Palme, die so gar nicht in die Umgebung passen wollte.

      Ein Stück entfernt stand ein weiteres Haus, etwas größer als das, in dem Roberta mit den Zwillingen lebte. Seine roten Fensterläden waren schon bei ihrer Ankunft fest verschlossen gewesen und seitdem nicht ein einziges Mal geöffnet worden. Daher fiel Roberta sofort die Veränderung auf, als sie die nunmehr weit geöffneten Fenster sah.

      Vor dem Grundstück parkte eine Luxuskarosse, deren Kofferraumdeckel aufgeklappt gen Himmel deutete. Keine Frage, da waren Urlauber eingezogen!

      »Eh, da sind ja Leute!« schrie Willy, der das Auto inzwischen ebenfalls entdeckt hatte. »Du, Tante Robbi, meinst du, die haben Kinder?«

      »Woher soll ich das denn wissen?« seufzte Roberta lächelnd. »Ich bin doch keine Hellseherin. Aber wir werden es sicher erfahren, wenn wir nach Hause kommen.«

      Anni, die Schäferhündin, konnte ihre Neugierde nicht länger bezähmen. Sie preschte los und sauste durch die Dünen auf die Limousine zu, um sie ausgiebig zu beschnuppern.

      Jetzt vergaßen auch die Kinder ihre Müdigkeit. Mit lautem India-nergeheul rannten sie der Hündin hinterher und trafen beinahe gleichzeitig mit Anni bei dem schicken Luxuswagen ein.

      Neugierig beäugten sie zu dritt den Inhalt des Kofferraums.

      »Du, die ziehen hier bestimmt für immer ein«, vermutete Julchen, angesichts der vielen Koffer und Taschen, die sich im Wagen türmten.

      »Oder die haben ganz viele Kinder«, überlegte Willy, während er die Blicke intensiv über die Ge-päckstücke schweifen ließ. Nichts deutete auf die Anwesenheit von Kindern hin. Sein Interesse sank etwas, ebenso wie Annis, die nichts Eßbares erschnuppern konnte.

      Nur der Duft eines süßlichen Parfüms stieg ihr in die empfindliche Nase. Pfui, daß sich die Menschen immer mit so einem Stinkzeug einreiben mußten! Ein angegammelter Knochen roch doch zehnmal besser.

      Enttäuscht setzte sich die Hündin neben die Beifahrertür und sah zum Haus, in der Hoffnung, daß ein interessanter Mensch dort herauskommen würde. Obwohl – wenn sie ihrer Nase trauen konnte, dann waren diese neuen Nachbarn ziemliche Langweiler. Aber man sollte die Hoffnung nicht aufgeben.

      *

      »Stephan!« Melinda Bornemann blieb abrupt unter der Tür stehen und starrte zu dem Schäferhund hinüber, der mit gespitzten Ohren neben dem Auto saß. »Stephan, würdest du bitte sofort zu mir kommen!«

      Stephan Hollrieder, ein schlanker, hochgewachsener Endzwanziger runzelte beim Klang ihrer Stimme unwillkürlich die Stirn. Da war etwas in Melindas Ton, das keinen Widerspruch duldete.

      Er kannte diesen Ton. Befand sich Mel in dieser Gemütslage, war sie absolut kompromißlos. Dann tat man besser umgehend, was sie von einem verlangte.

      Er ließ den Koffer, den er gerade mühsam die steile Stiege in den oberen Stock hinaufhievte, einfach auf der Treppenstufe stehen und machte kehrt.

      »Ja, Liebling, bin schon unterwegs!« rief er ins Erdgeschoß, wäh-rend er die Treppe hinuntereilte. »Was ist denn los? Liegt eine tote Möwe im Garten?«

      »Nein.« Melindas sorgfältig geschminktes Gesicht wirkte streng, während sie ihrem Verlobten entgegenblickte. »Ein Hund sitzt neben unserem Auto. Würdest du ihn bitte vertreiben?«

      Bin ich ein Dompteur? hätte Stephan beinahe gefragt, aber er schluckte die Worte hastig hinunter. Melinda war nicht in der Stimmung für Scherze.

      Mißtrauisch äugte Stephan zu dem Hund hinüber. Anni sah aufmerksam zurück.

      »Er ist recht groß«, stellte Ste-phan fest, nachdem er den Schäferhund eine Weile betrachtet hatte. »Aber gefährlich wirkt er eigentlich nicht.«

      »Schäferhunde sind neben diesen schrecklichen Kampfhunden die bissigsten Exemplare unter den Vierbeinern«, dozierte Melinda streng. »Ich traue ihnen nicht. Außerdem mag ich sie nicht. Würdest du jetzt bitte endlich etwas unternehmen?« Sie trat von der Tür zurück und sah ihren Verlobten auffordernd an. »Und vertreibe bitte auch gleich diese Gören, die in unserem Kofferram herumschnüffeln. Wenn ich gewußt hätte, daß es hier in der Nähe Kinder gibt, hätte ich das Haus niemals gemietet.«

      »Vielleicht sind sie ja nur zufällig vorbeigekommen«, murmelte Ste-phan leicht genervt. Er liebte Melinda und bewunderte ihr Durchsetzungsvermögen, aber manchmal ging ihm ihre Admiralsart auf die Nerven. Mußte sie alle Leute wie ihre Angestellten behandeln?

      »Das ist egal«, erwiderte sie kühl. »Sie sollen einfach verschwinden. Und vor allem sollen sie nichts anfassen. Die Koffer haben ein Vermögen gekostet. Ich möchte nicht, daß sie von schmierigen Patschfingern verdorben werden.«

      »Ich sehe, was sich machen läßt«, seufzte Stephan und setzte sich in Bewegung.

      Schon bei den ersten Schritten, die er aus dem Haus heraus in den Garten wagte, erhob sich die Hündin und sah neugierig zu ihm hin-über. Die Kinder hatten Stephan hingegen noch nicht entdeckt. Willy beugte sich gerade in den Kofferraum, um die Adreßschilder an den Gepäckstücken zu entziffern.

      Seine Schwester stand daneben und bewunderte das elegante Leder, aus dem die Koffer und Taschen gearbeitet waren.

      »Das sind bestimmt gaaanz furchtbar reiche Leute«, vermutete Julchen. »Wir haben bloß Koffer aus Plastik.«

      In diesem Moment ertönte ein schriller Pfiff, der Anni auf den Hinterpfoten kehrtmachen und aufmerksam die Ohren spitzen ließ.

      »Julchen, Willy, kommt sofort her!« Roberta hatte den Wagen fast erreicht. Sie kämpfte mit den Schwimmtieren, die sich irgendwie selbständig machen wollten und in den Badetüchern verheddert hatten. »Nehmt eure Nasen aus dem Gepäck der fremden Leute. Das gehört sich nicht.«

      Stephan atmete erleichtert auf, als er sah, daß der Schäferhund seinen Posten aufgab und zu der jungen Frau lief, die gerade des Weges kam. Auch die Kinder gehorchten und liefen zu ihr.

      Melinda rümpfte angewidert die Nase, als sie sah, daß sich Roberta, in Begleitung des Hundes und der Kinder, ihrem Haus näherte.

      Das hatte ihr gerade noch gefehlt! Eine komplette Familie mit Haustieren. Das bedeutete Unruhe ohne Ende.

      »Guten Tag!« Roberta setzte ein freundliches Lächeln auf, während sie auf Stephan zuging, der sich indessen zu seinem Wagen getraut hatte. »Ich bin Roberta Simonas, Ihre Nachbarin. Herzlich willkommen.«

      »Danke.« Stephan musterte sie interessiert. Was er sah, gefiel ihm. Schlanke, wohlproportionierte Figur, lange Beine, ein ausgesprochen hübsches Gesicht mit wunderschön vollen, geschwungenen Lippen, bernsteinfarbenen Augen und langes honigblondes Haar, das Ro-berta zu einem dicken Zopf geflochten und mit einem bunten Tuch verziert hatte.

      Schade, daß die Dame bereits in festen Händen zu sein schien. Aber er war ja auch nicht mehr frei…

      »Hollrieder mein Name«, stellte er sich vor. »Meine Verlobte und ich wollen die kommenden vier Wochen hier verbringen.«

      »Nun, dann wünsche ich Ihnen einen schönen Aufenthalt.« Roberta packte die Gummiente fester und schenkte Stephan ein gewinnendes Lächeln. »Vor allem wünsche ich Ihnen, daß das Wetter hält. Momentan ist es jedenfalls bombastisch.«

      »Uns wäre schon

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