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Hochstir­ni­ge pfiff wie­der, lang, ge­dehnt, lei­se und böse.

      Der Säug­ling sag­te: »Aha, jetzt ha­ben wir schon den zwei­ten Plap­pe­rer am Tisch. Ver­liebt, was? Ich dach­te mir so was schon im­mer. Kom­men Sie, Gri­go­leit, die Zel­le ist auf­ge­löst. Es gibt kei­ne Zel­le mehr. Und das nennt ihr Dis­zi­plin, ihr Wei­ber­her­zen!«

      »Nein, nein!«, rief das Mäd­chen. »Hö­ren Sie nicht auf ihn! Es ist wahr, er liebt mich. Aber ich lie­be ihn nicht. Ich will heu­te Abend mit euch ge­hen …«

      »Nichts!«, sag­te der Säug­ling jetzt wirk­lich zor­nig. »Seht ihr denn nicht, dass ihr gar nichts mehr tun könnt, da er …« Er mach­te eine Kopf­be­we­gung zu dem Dunklen hin. »Ach was!«, sag­te er dann kurz. »Es ist aus­ge­spielt! Komm, Gri­go­leit!«

      Der Hochstir­ni­ge stand schon. Ge­mein­sam wand­ten sie sich dem Aus­gang zu. Plötz­lich aber lag eine Hand auf dem Arm des Säug­lings. Er sah in das glat­te, ein we­nig ge­dun­se­ne Ge­sicht ei­nes braun Uni­for­mier­ten.

      »Ei­nen Au­gen­blick, bit­te! Was ha­ben Sie da eben ge­sagt von der Auf­lö­sung der Zel­le? Es wür­de mich doch sehr in­ter­es­sie­ren …«

      Der Säug­ling riss bru­tal sei­nen Arm frei. »Las­sen Sie mich zu­frie­den!«, sag­te er sehr laut. »Wenn Sie wis­sen wol­len, was wir ge­re­det ha­ben, fra­gen Sie die jun­ge Dame dort! Ges­tern ist ihr Ver­lob­ter erst ge­fal­len, heu­te hat sie schon wie­der einen an­de­ren auf dem Korn! Ver­damm­ter Wei­ber­kram!«

      Er hat­te im­mer mehr dem Aus­gang zu­ge­drängt, den Gri­go­leit schon er­reicht hat­te. Jetzt ging auch er hin­aus. Der Fet­te sah ihm einen Au­gen­blick nach. Dann wand­te er sich dem Tisch zu, an dem das Mäd­chen und der Dunkle noch im­mer mit blas­sen Ge­sich­tern sa­ßen. Das be­ru­hig­te ihn. Vi­el­leicht habe ich doch kei­nen Feh­ler be­gan­gen, als ich ihn lau­fen ließ. Er hat mich über­rum­pelt. Aber …

      Er sag­te höf­lich: »Ge­stat­ten Sie, dass ich mich einen Au­gen­blick zu Ih­nen set­ze und ein paar Fra­gen stel­le?«

      Tru­del Bau­mann ant­wor­te­te: »Ich kann Ih­nen nichts an­de­res sa­gen, als was der Herr eben er­zählt hat. Ich habe ges­tern die Nach­richt vom Tode mei­nes Ver­lob­ten be­kom­men, und heu­te möch­te die­ser Herr sich mit mir ver­lo­ben.«

      Ihre Stim­me klang fest und si­cher. Jetzt, wo die Ge­fahr an ih­rem Tisch saß, wa­ren Angst und Un­ru­he ver­flo­gen.

      »Wür­den Sie et­was da­ge­gen ha­ben, den Na­men Ihres ge­fal­le­nen Ver­lob­ten zu nen­nen? Und sei­ne For­ma­ti­on?« Sie tat es. »Und nun Ihr Name? Ihre Adres­se? Ihre Ar­beits­stel­le? Ha­ben Sie viel­leicht ir­gend­ei­nen Aus­weis bei sich? Ich dan­ke! Und nun Sie, mein Herr.«

      »Ich ar­bei­te in dem­sel­ben Be­trieb. Ich hei­ße Karl Her­ge­sell. Hier mein Ar­beits­buch.«

      »Und die bei­den an­de­ren Her­ren?«

      »Wir ken­nen sie gar nicht. Sie ha­ben sich an un­sern Tisch ge­setzt und plötz­lich in un­sern Streit ge­mischt.«

      »Und warum strit­ten Sie?«

      »Ich will ihn nicht.«

      »Wa­rum war dann die­ser Herr so em­pört über Sie, wenn Sie ihn nicht wol­len?«

      »Was weiß ich? Vi­el­leicht glaub­te er mei­nen Wor­ten nicht. Es är­ger­te ihn auch, dass ich mit ihm tanz­te.«

      »Na schön!«, sag­te der Ge­dun­se­ne, klapp­te das No­tiz­buch zu und sah da­bei von ei­nem zum an­de­ren. Sie sa­hen wirk­lich eher ver­strit­te­nen Lie­ben­den als er­tapp­ten Ver­bre­chern ähn­lich. Schon die Art, wie sie ängst­lich ver­mie­den, ein­an­der an­zu­se­hen … Und da­bei la­gen ihre Hän­de fast be­rüh­rungs­nah auf der Tisch­plat­te. »Na schön. Ihre An­ga­ben wer­den na­tür­lich nach­ge­prüft wer­den, aber ich den­ke doch … Je­den­falls noch eine bes­se­re Fort­set­zung die­ses Abends …«

      »Nicht ich!«, sag­te das jun­ge Mäd­chen. »Nicht ich!« Sie stand gleich­zei­tig mit dem an­de­ren auf. »Ich gehe nach Haus.«

      »Ich brin­ge dich.«

      »Nein, dan­ke, ich gehe lie­ber al­lein.«

      »Tru­del!«, bat er. »Lass mich doch noch zwei Wor­te mit dir re­den!«

      Die Uni­form sah lä­chelnd von ei­nem zum an­de­ren. Sie wa­ren wirk­lich Ver­lieb­te. Eine flüch­ti­ge Nach­prü­fung der An­ga­ben wür­de ge­nü­gen.

      Plötz­lich hat­te sie sich ent­schlos­sen: »Nun gut, aber nur zwei Mi­nu­ten!«

      Sie gin­gen. End­lich wa­ren sie aus die­sem ent­setz­li­chen Saal, aus die­ser At­mo­sphä­re von Ge­gen­sätz­lich­keit und Hass her­aus. Sie sa­hen sich um.

      »Sie sind fort.«

      »Wir wer­den sie nicht wie­der­se­hen.«

      »Und du kannst le­ben. Nein, jetzt musst du le­ben, Tru­del! Ein un­über­leg­ter Schritt von dir wür­de die an­de­ren in Ge­fahr brin­gen, vie­le an­de­re – den­ke im­mer dar­an, Tru­del!«

      »Ja«, sag­te sie, »jetzt muss ich le­ben.« Und mit ei­nem ra­schen Ent­schluss: »Lebe wohl, Karl!«

      Ei­nen Au­gen­blick lehn­te sie an sei­ner Brust, ihr Mund streif­te den sei­nen. Ehe er sich noch ent­schlos­sen hat­te, lief sie schräg über die Fahr­bahn auf eine hal­ten­de Elek­tri­sche zu. Der Wa­gen fuhr an.

      Er mach­te eine Be­we­gung, als woll­te er ihr nach­lau­fen. Aber er be­sann sich.

      Ich wer­de sie dann und wann im Be­trieb se­hen, dach­te er. Ein gan­zes Le­ben liegt vor uns. Ich habe Zeit. Jetzt weiß ich doch, dass sie mich liebt.

      1 Die Stur­m­ab­tei­lung war die pa­ra­mi­li­tä­ri­sche Kamp­f­or­ga­ni­sa­ti­on der NSDAP wäh­rend der Wei­ma­rer Re­pu­blik und spiel­te als Ord­ner­trup­pe eine ent­schei­den­de Rol­le beim Auf­stieg der Na­tio­nal­so­zia­lis­ten <<<

      2 Die Or­ga­ni­sa­ti­on Todt war eine pa­ra­mi­li­tä­ri­sche Bau­trup­pe im na­tio­nal­so­zia­lis­ti­schen Deutsch­land, die den Na­men ih­res Füh­rers Fritz Todt trug. <<<

      3 Der Reichs­ar­beits­dienst (RAD) war eine Or­ga­ni­sa­ti­on im na­tio­nal­so­zia­lis­ti­schen Deut­schen Reich, die ab 1935 jun­ge Män­ner (spä­ter auch Frau­en) zu ei­ner sechs­mo­na­ti­gen Ar­beits­pflicht her­an­zog. <<<

      4 Der Bund Deut­scher Mä­del war in der Zeit des Na­tio­nal­so­zia­lis­mus der weib­li­che Zweig der Hit­ler­ju­gend. <<<

      14. Sonnabend: Unruhe bei Quangels

      Auch den gan­zen Frei­tag hat­ten die Ehe­leu­te Quan­gel kein Wort mit­ein­an­der ge­spro­chen – drei Tage Schwei­gen un­ter ih­nen, nicht ein­mal Bie­ten der Ta­ges­zei­ten, das war in ih­rer gan­zen Ehe noch nicht vor­ge­kom­men. So wort­karg Quan­gel auch ge­we­sen war, er hat­te doch hin und wie­der einen Satz ge­spro­chen, et­was über einen Ar­bei­ter in der Werk­statt oder we­nigs­tens über das Wet­ter oder

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