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nächsten Tischnachbarn bekannt gemacht hatte, zum Maître de plaisir hergab. Er veranstaltete Feste, Ausflüge in die herrliche Gegend und erwarb sich den innigen Dank eines jeden. Hatte er aber schon durch die sinnreiche Auswahl des Vergnügens sich alle Herzen gewonnen, so war dies noch mehr der Fall, wenn er die Konversation führte.

      Jenes ergötzliche Märchen von dem Hörnchen des Oberon schien ins Leben getreten zu sein; denn Natas durfte nur die Lippen öffnen, so fühlte jeder zuerst die lieblichsten Saiten seines Herzens angeschlagen, auf leichten Schwingen schwirrte dann das Gespräch um die Tafel, mutwilliger wurden die Scherze, kühner die Blicke der Männer, schalkhafter das Kichern der Damen, und endlich rauschte die Rede in so fessellosen Strömen, daß man nachher wenig mehr davon wußte, als daß man sich »göttlich« amüsiert habe.

      Und dennoch war der Zauberer, der diese Lust heraufbeschwor, weit entfernt, je ins Rohe, Gemeine hinüberzuspielen. Er griff irgendeinen Gegenstand, eine Tagesneuigkeit auf, erzählte Anekdoten, spielte das Gespräch geschickt weiter, wußte jedem seine tiefste Eigentümlichkeit zu entlocken und ergötzte durch seinen lebhaften Witz, durch seine warme Darstellung, die durch alle Schattierungen von dem tiefsten Gefühl der Wehmut, bis hinauf an jene Ausbrüche der Laune streifte, welche in dem sinnlichsten, reizendsten Kostüm auf der feinen Grenze des Anstandes gaukeln.

      Manchmal schien es zwar, es möchte weniger gefährlich gewesen sein, wenn er dem Heiligen, das er antastete, geradezu Hohn gesprochen, das Zarte, das er benagte, geradezu zerrissen hätte; jener zarte, geheimnisvolle Schleier, mit welchem er dies oder jenes verhüllte, reizte nur zu dem lüsternen Gedanken, tiefer zu blicken, und das üppige Spiel der Phantasie gewann in manchem Köpfchen unsrer schönen Damen nur noch mehr Raum; aber man konnte ihm nicht zürnen, nicht widersprechen; seine glänzenden Eigenschaften rissen unwiderstehlich hin, sie umhüllten die Vernunft mit süßem Zauber, und seine kühnen Hypothesen schlichen sich als Wahrheit in das unbewachte Herz.

      Zweites Kapitel

      Der schauerliche Abend

       Inhaltsverzeichnis

      So hatte der geniale Fremdling mich und noch zwölf bis fünfzehn Herren und Damen in einen tollen Strudel der Freude gerissen. Beinahe alle waren ohne Zweck in diesem Haus, und doch wagte keiner, den Gedanken an die Abreise sich auch nur entfernt vorzustellen. Im Gegenteil, wenn wir morgens lange ausgeschlafen, mittags lange getafelt, abends lange gespielt und nachts lange getrunken, geschwatzt und gelacht hatten, schien der Zauber, der uns an dies Haus band, nur eine neue Kette um den Fuß geschlungen zu haben.

      Doch es sollte anders werden, vielleicht zu unserem Heil. An dem sechsten Tage unseres Freudenreiches, einem Sonntag, war unser Herr v. Natas im ganzen Gasthof nicht zu finden. Die Kellner entschuldigten ihn mit einer kleinen Reise; er werde vor Sonnenuntergang nicht kommen, aber zum Tee, zur Nachttafel unfehlbar da sein.

      Wir waren schon so an den Unentbehrlichen gewöhnt, daß uns diese Nachricht ganz betreten machte, es war uns, als würden uns die Flügel zusammengebunden und man befehle uns zu fliegen.

      Das Gespräch kam, wie natürlich, auf den Abwesenden und auf seine auffallende, glänzende Erscheinung. Sonderbar war es, daß es mir nicht aus dem Sinne kommen wollte, ich habe ihn, nur unter einer andern Gestalt, schon früher einmal auf meinem Lebenswege begegnet; so abgeschmackt auch der Gedanke war, so unwiderstehlich drängte er sich mir immer wieder auf. Aus früheren Jahren her erinnerte ich mich nämlich eines Mannes, der in seinem Wesen, in seinem Blick hauptsächlich, große Ähnlichkeit mit ihm hatte. Jener war ein fremder Arzt, besuchte nur hie und da meine Vaterstadt, und lebte dort immer von Anfang sehr still, hatte aber bald einen Kreis von Anbetern um sich versammelt. Die Erinnerung an jenen Menschen war mir übrigens fatal, denn man behauptete, daß, sooft er uns besucht habe, immer ein bedeutendes Unglück erfolgt sei, aber dennoch konnte ich den Gedanken nicht loswerden, Natas habe die größte Ähnlichkeit mit ihm, ja es sei eine und dieselbe Person.

      Ich erzählte meinen Tischnachbarn den unablässig mich verfolgenden Gedanken und die unangenehme Vergleichung eines mir so grausenhaften Wesens, wie der Fremde in meiner Vaterstadt war, mit unserm Freunde, der so ganz meine Achtung und Liebe sich erworben hatte; aber noch unglaublicher klingt es vielleicht, wenn ich versichere, daß meine Nachbarn ganz den nämlichen Gedanken hatten; auch sie glaubten unter einer ganz andern Gestalt unsern geistreichen Gesellschafter gesehen zu haben.

      »Sie könnten einem ganz bange machen«, sagte die Baronin von Thingen, die nicht weit von mir saß. »Sie wollen unsern guten Natas am Ende zum Ewigen Juden oder, Gott weiß, zu was sonst noch machen!«

      Ein kleiner ältlicher Herr, Professor in T., der seit einigen Tagen sich auch an unsere Gesellschaft angeschlossen, und immer stillvergnügt, hie und da etwas weinselig, mitlebte, hatte während unserer »vergleichenden Anatomie«, wie er es nannte, still vor sich hin gelächelt und mit kunstfertiger Schnelligkeit seine ovale Dose zwischen den Fingern umgedreht, daß sie wie ein Rad anzusehen war.

      »Ich kann mit meiner Bemerkung nicht mehr länger hinter dem Berge halten«, brach er endlich los, »wenn Sie erlauben, Gnädigste, so halte ich ihn nicht gerade für den Ewigen Juden, aber doch für einen ganz absonderlichen Menschen. Solange er zugegen war, wollte wohl hie und da der Gedanke in mir aufblitzen, ›Den hast du schon gesehen, wo war es doch?‹ aber wie durch Zauber krochen diese Erinnerungen zurück, wenn er mich mit dem schwarzen umherspringenden Auge erfaßte.«

      »So war es mir gerade auch, mir auch, mir auch«, riefen wir alle verwundert.

      »Hm! he, hm!« lachte der Professor. »Jetzt fällt es mir aber von den Augen wie Schuppen, daß es niemand ist als der, den ich schon vor zwölf Jahren in Stuttgart gesehen habe.«

      »Wie, Sie haben ihn gesehen und in welchen Verhältnissen?« fragte Frau v. Thingen eifrig, und errötete bald über den allzu großen Eifer, den sie verraten hatte.

      Der Professor nahm eine Prise, klopfte den Jabot aus und begann: »Es mögen nun ungefähr zwölf Jahre sein, als ich wegen eines Prozesses einige Monate in Stuttgart zubrachte. Ich wohnte in einem der ersten Gasthöfe und speiste auch dort gewöhnlich in großer Gesellschaft an der Wirtstafel. Einmal kam ich nach einigen Tagen, in welchen ich das Zimmer hatte hüten müssen, zum erstenmal wieder zu Tisch. Man sprach sehr eifrig über einen gewissen Herrn Barighi, der seit einiger Zeit die Mittagsgäste durch seinen lebhaften Witz, durch seine Gewandtheit in allen Sprachen entzücke; in seinem Lob waren alle einstimmig, nur über seinen Charakter war man nicht recht einig, denn die einen machten ihn zum Diplomaten, die andern zu einem Sprachmeister, die dritten zu einem hohen Verbannten, wieder andere zu einem Spion. Die Türe ging auf, man war still, beinahe verlegen, den Streit so laut geführt zu haben; ich merkte, daß der Besprochene sich eingefunden habe und sah –«

      »Nun? ich bitte Sie! denselben, der uns« – »denselben, der uns seit einigen Tagen so trefflich unterhält. Dies wäre übrigens gerade nichts Übernatürliches, aber hören Sie weiter: zwei Tage schon hatte uns Herr Barighi, so nannte sich der Fremde, durch seine geistreiche Unterhaltung die Tafel gewürzt, als uns einmal der Wirt des Gasthofs unterbrach: ›Meine Herren‹, sagte der Höfliche, ›bereiten Sie sich auf eine köstliche Unterhaltung, die Ihnen morgen zuteil werden wird, vor; der Herr Oberjustizrat Hasentreffer zog heute aus, und zieht morgen ein.‹

      Wir fragten, was dies zu bedeuten habe, und ein alter grauer Hauptmann, der schon seit vielen Jahren den obersten Platz in diesem Gasthof behauptete, teilte uns den Schwank mit: gerade dem Speisesaal gegenüber wohnt ein alter Junggeselle, einsam in einem großen öden Haus; er ist Oberjustizrat außer Dienst, lebt von einer anständigen Pension, und soll überdies ein enormes Vermögen besitzen.

      Derselbe ist aber ein kompletter Narr und hat ganz eigene Gewohnheiten, wie z. B. daß er sich selbst oft große Gesellschaft gibt, wobei es immer flott hergeht. Er läßt zwölf Couverts aus dem Wirtshaus kommen, feine Weine hat er im Keller, und einer oder der andere unsrer Marqueurs hat die Ehre zu servieren. Man denkt vielleicht, er hat allerlei hungrige oder durstige Menschen bei sich? Mitnichten! alte, gelbe Stammbuchblätter, auf jedem ein großes Kreuz, liegen

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