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      Wir standen endlich einander gegenüber; der Theologe machte ein grimmiges Gesicht und blickte mit einem Hohn auf mich, der mich nur noch mehr in dem Vorsatz bestärkte, ihn tüchtig zu zeichnen.

      Wir legten uns nach alter Fechterweise aus, die Klingen waren gebunden, die Sekundanten schrien »los«, und unsere Schläger schwirrten in der Luft und fielen rasselnd auf die Körbe. Ich verhielt mich meistens parierend gegen die wirklich schönen und mit großer Kunst ausgeführten Angriffe des Gegners, denn mein Ruhm war größer, wenn ich mich von Anfang nur verteidigte, und erst im vierten, fünften Gang ihm eine Schlappe gab.

      Allgemeine Bewunderung folgte jedem Gang; man hatte noch nie so kühn und schnell angreifen, noch nie mit so vieler Ruhe und Kaltblütigkeit sich verteidigen sehen. Meine Fechtkunst wurde von den ältesten »Häusern« bis in den Himmel erhoben und man war nun gespannt und begierig, bis ich selbst angreifen würde; doch wagte es keiner, mich dazu aufzumuntern.

      Vier Gänge waren vorüber, ohne daß irgendwo ein Hieb blutig gewesen wäre. Ehe ich zum fünften aufmarschierte, zeigte ich meinen Kameraden die Stelle auf der rechten Wange, wohin ich meinen Theologen treffen wolle. Dieser mochte es mir ansehen, daß ich jetzt selbst angreifen werde, er legte sich so gedeckt als möglich aus und hütete sich, selbst einen Angriff zu machen. Ich begann mit einer herrlichen Finte, der ein allgemeines Ah! folgte, schlug dann einige regelmäßige Hiebe, und klapp! saß ihm mein Schläger in der Wange.

      Der gute Theologe wußte nicht, wie ihm geschah, mein Sekundant und Zeuge sprangen mit einem Zollstab hinzu, maßen die Wunde und sagten mit feierlicher Stimme: » Es ist mehr als ein Zoll, klafft und blutet, also Ansch–ß«; das hieß soviel als: weil ich dem guten Jungen ein zollanges Loch ins Fleisch gemacht hatte, war seiner Ehre genug geschehen.

      Jetzt stürzten meine Freunde herzu, die ältesten faßten meine Hände, die jüngeren betrachteten ehrfurchtsvoll die Waffe, mit welcher die in der Geschichte einzige und unerhörte Tat geschehen war; denn wer, seit des großen Renommisten Zeiten durfte sich rühmen, vorher die Stelle, die er treffen wollte, angezeigt und mit so vieler Genauigkeit getroffen zu haben?

      Ernsten Blickes trat der Sekundant meines Gegners herein und bot mir in dessen Namen Versöhnung an. Ich ging zu dem Verwundeten, dem man gerade mit Nadel und Faden seine Wunde zunähte und versöhnte mich mit ihm.

      »Ich bin Ihnen Dank schuldig«, sagte er zu mir, »daß Sie mich so gezeichnet haben. Ich wurde, ganz gegen meinen Willen, gezwungen, Theologie zu studieren; mein Vater ist Landpfarrer, meine Mutter eine fromme Frau, die ihren Sohn gerne einmal im Chorrock sehen möchte. Sie haben mit einem Mal entschieden, denn mit einer Schmarre vom Ohr bis zum Mund, darf ich keine Kanzel mehr besteigen.«

      Die Burschen sahen teilnehmend auf den wackern Theologen, der wohl mit geheimer Wehmut an den Schmerz des alten Pastors, an den Jammer der frommen Mama denken mochte, wenn die Nachricht von diesem Unfall anlangte; ich aber hielt es für das größte Glück des Jünglings, durch eine so kurze Operation der Welt wieder geschenkt zu sein. Ich fragte ihn, was er jetzt anzufangen gedenke, und er gestand offen, daß der Stand eines Kavalleristen oder eines Schauspielers ihn von jeher am meisten angezogen hätte.

      Ich hätte ihm um den Hals fallen mögen für diesen vernünftigen Gedanken, denn gerade unter diesen beiden Ständen zähle ich die meisten Freunde und Anhänger; ich riet ihm daher aufs ernstlichste, dem Trieb der Natur zu folgen, indem ich ihm die besten Empfehlungsbriefe an bedeutende Generale und an die vorzüglichsten Bühnen versprach.

      Dem ganzen Personale aber, das dem merkwürdigen Duell angewohnt hatte, gab ich einen trefflichen Schmaus, wobei auch mein Gegner und seine Gesellen nicht vergessen wurden. Dem ehemaligen Theologen zahlte ich nachher in der Stille seine Schulden, und versah ihn, als er genesen war, mit Geld und Briefen, die ihm eine fröhliche, glänzende Laufbahn eröffneten.

      Meine geheime Wohltätigkeit war so wenig, als der glänzende Ausgang meiner Affaire ein Geheimnis geblieben. Man sah mich von jetzt wie ein höheres Wesen an, und ich kannte manche junge Dame, die sogar über meine großmütigen Sentiments Tränen vergoß.

      Die Mediziner aber ließen mir durch eine Deputation einen prachtvollen Schläger überreichen, weil ich mich, wie sie sich ausdrückten, » für den guten Geruch ihrer Anatomie geschlagen habe«.

      Die Welt bleibt unter allen Gestalten die nämliche, die sie von Anfang war. Dem Bösen, selbst dem Unvernünftigen huldigt sie gerne, wenn es sich nur in einem glänzenden Gewande zeigt; die gute, ehrliche Tugend mit ihren rauhen Manieren und ihrem ungeschliffenen, rohen Aussehen wird höchstens Achtung, niemals Beifall erlangen.

      Neuntes Kapitel

      Satans Rache am Dr. Schnatterer

       Inhaltsverzeichnis

      Als ich sah, wie weit die Philosophie und Theologie in ….en hinter meinen Vorstellungen, die ich mir zuvor gemacht hatte, zurückbleibe, legte ich mich mit Eifer auf Ästhetik, Rhetorik, namentlich aber auf die schöne Literatur. Man wende mir nicht ein, ich habe auf diese Art meine Zeit unnütz angewendet. Ich besuchte ja jene berühmte Schule nicht, um ein Brotstudium zu treiben, das einmal einen Mann mit Weib und Kind ernähren könnte, sondern das »dic-cur-hic« das ich recht oft in meine Seele zurückrief, sagte mir immer, ich solle suchen, von jeder Wissenschaft einen kleinen Hieb zu bekommen, mich aber so sehr als möglich in jenen Künsten zu vervollkommnen, die heutzutage einem Mann von Bildung unentbehrlich sind.

      Bei Gelegenheit eine Stelle aus einem Dichter zu zitieren, über die Schönheit eines Gemäldes kunstgerecht mitzusprechen, eine Statue nach allen Regeln für erbärmlich zu erklären, für die Männer einige theologische Literatur, einige juridische Phrasen, einige neue medizinische Entdeckungen, einige exorbitante philosophische Behauptungen in petto zu haben, hielt ich für unumgänglich notwendig, um mich mit Anstand in der modernen Welt bewegen zu können, und ohne mir selbst ein Kompliment machen zu wollen, darf ich sagen, ich habe in den paar Monaten in ….en hinlänglich gelernt.

      Ich habe mir nach dem Beispiel meiner großen Vorbilder im Memoirenschreiben vorgenommen, auch die geringfügigsten Ereignisse aufzuführen, wenn sie lehrreich oder merkwürdig sind, wenn sie Stoff zum Nachdenken oder zum Lachen enthalten. Ich darf daher nicht versäumen, meine Rache am Doktor Schnatterer zu erzählen.

      Besagter Doktor hatte die löbliche Gewohnheit, Sonntag nachmittags mit noch mehreren andern Professoren in ein Wirtshaus ein halbes Stündchen vor der Stadt zu spazieren. Dort pflegte man, um die steifgesessenen Glieder wieder auszurenken, Kegel zu schieben und allerlei sonstigen Kurzweil zu treiben, wie es sich für ehrbare Männer geziemt; man spielte wohl auch bei verschlossenen Türen ein Whistchen oder Piquet, und trank manchmal ein Gläschen über Durst, was wenigstens die böse Welt daraus ersehen wollte, daß sich die Herren abends in der Chaise des Wirtes zur Stadt bringen ließen.

      Der ehrwürdige Theologe aber pflegte immer lang vor Sonnenuntergang heimzukehren, man sagt, weil die Frau Doktorin ihm keine längere Frist erlaubt hatte; er ging dann bedächtlichen Schrittes seinen Weg, vermied aber die breite Chaussee und schlug den Wiesenpfad ein, der dreißig Schritte seitwärts neben jener hinlief; der Grund war, weil der breite Weg am schönen Sonntagabend mit Fußgängern besäet war, der Doktor aber die höhere Röte seines Gesichtes und den etwas unsichern Gang nicht den Augen der Welt zeigen wollte.

      So erklärten sich die Bösen den einsamen Gang Schnatterers; die Frommen aber blieben stehen, schauten ihm nach und sprachen: »Siehe, er geht nicht auf dem breiten Weg der Gottlosen, der fromme Herr Doktor, sondern den schmalen Pfad, welcher zum Leben führt.«

      Auf diese Gewohnheit des Doktors hatte ich meinen Racheplan gebaut. Ich paßte ihm an einem schönen Sonntagabend, der alle Welt ins Freie gelockt hatte, auf, und er trat noch bei guter Tageszeit aus dem Wirtshaus. Mit demütigem Bückling nahte ich mich ihm, und fragte, ob ich ihn auf seinem Heimweg begleiten dürfe, der Abend scheine mir in seiner gelehrten Nähe noch einmal so schön.

      Der Herr Doktor schien einen kordialen Hieb zu haben; er legte zutraulich meinen

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