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über Lie­fe­rung ei­ner un­be­grenz­ten Men­ge Trink­was­sers und mit ei­nem Ge­trei­de­händ­ler einen eben­sol­chen, was die je­wei­li­ge Lie­fe­rung von klei­nen Quan­ti­tä­ten Ha­fer­mehl an­be­lang­te, und ga­ben täg­lich drei Por­tio­nen Ha­fer­schleim aus und au­ßer­dem zwei­mal wö­chent­lich eine Zwie­bel dazu pro Mahl­zeit und Sonn­tags eine hal­be Sem­mel.

      Im ers­ten Halb­jahr nach Oli­vers An­kunft war das Sys­tem be­reits in vol­lem Gan­ge. Der Raum, in dem die Kna­ben ihr Es­sen be­ka­men, war eine Art Kü­che, und der Koch, von ein paar Frau­en­zim­mern un­ter­stützt, teil­te ih­nen aus ei­nem Kup­fer­kes­sel ihre drei Por­tio­nen Ha­fer zu – einen Napf voll und nicht mehr, aus­ge­nom­men, wie ge­sagt, die Sonn- und Fei­er­ta­ge, wo ein nicht all­zu großes Stück­chen Brot da­zu­kam. Die Näp­fe aus­zu­wa­schen war über­flüs­sig, da die Jun­gen mit ih­ren Löf­feln so­wie­so so lan­ge dar­in her­um­kratz­ten, bis al­les wie­der glän­zend war. Und wenn sie mit ih­rer Tä­tig­keit fer­tig wa­ren, was nie all­zu lan­ge Zeit in An­spruch nahm, da die Löf­fel bei­na­he so groß wa­ren wie die Näp­fe sel­ber, – sa­ßen sie da und starr­ten auf den Kup­fer­kes­sel mit so gie­ri­gen Au­gen, als ob sie am liebs­ten so­gar die Zie­gel­stei­ne, aus de­nen der Herd auf­ge­baut war, ver­schlun­gen hät­ten, und saug­ten da­bei an ih­ren Fin­gern in der Hoff­nung, dort viel­leicht noch ir­gend­wo ein ver­irr­tes Tröpf­chen Ha­fer­schleim auf­zu­le­cken. Kin­der pfle­gen näm­lich einen vor­treff­li­chen Ap­pe­tit zu ha­ben.

      Drei Mo­na­te lang hat­ten Oli­ver und sei­ne Ka­me­ra­den die Qua­len lang­sa­men Hun­ger­to­des durch­ge­macht und wa­ren kaum mehr im­stan­de, die­sen Zu­stand län­ger zu er­tra­gen. Ein für sein Al­ter sehr großer Jun­ge, des­sen Va­ter Koch ge­we­sen war, gab ei­nes Ta­ges sei­nen Ge­fähr­ten zu ver­ste­hen, wenn er nicht bald eine Schüs­sel Ha­fer­schleim pro Tag mehr be­kom­me, so wür­de er sich nicht hel­fen kön­nen und müs­se höchst wahr­schein­lich ei­nes Nachts sei­nen Schlaf­nach­bar auf­fres­sen. Die­ser Viel­fraß hat­te ein wil­des hung­ri­ges Auge, und sei­ne Re­den rie­fen große Angst un­ter sei­nen Ka­me­ra­den her­vor. So be­rat­schlag­ten sie un­ter­ein­an­der, und es wur­de ge­lost, wer von ih­nen nach dem Abendes­sen zum Spei­se­meis­ter ge­hen und noch um einen Napf bit­ten sol­le. Das Los fiel auf Oli­ver.

      Der Abend kam, und die Jun­gen nah­men ihre Plät­ze ein. Der Spei­se­meis­ter stell­te sich in sei­ner wei­ßen Koch­schür­ze an den Kes­sel, der Ha­fer­brei wur­de aus­ge­teilt und ein lan­ges Tisch­ge­bet ge­spro­chen. Als die Mahl­zeit vor­über war, flüs­ter­ten die Jun­gen un­ter­ein­an­der, ga­ben Oli­ver Win­ke, und die ihm Zu­nächst­sit­zen­den stie­ßen ihn mit den Ell­bo­gen an. Der Hun­ger mach­te ihn alle Rück­sich­ten ver­ges­sen. Er stand auf, trat mit Napf und Löf­fel vor den Koch hin und sag­te mit be­ben­der Stim­me:

      »Ich bit­te um Ver­zei­hung, Sir, ich möch­te noch um ein we­nig bit­ten.«

      Der Koch, ein feis­ter rot­ba­cki­ger Mann, wur­de blass wie der Kalk an der Wand. In maß­lo­sem Stau­nen starr­te er ei­ni­ge Se­kun­den den klei­nen Re­bel­len an und muss­te sich am Kes­sel fest­hal­ten, um nicht um­zu­fal­len. Die bei­den Frau­en­zim­mer wa­ren ge­ra­de­zu ge­lähmt vor Ent­set­zen, und auch die Jun­gen konn­ten vor Furcht kein Wort her­vor­brin­gen.

      »Was?« frag­te der Koch end­lich mit schwa­cher Stim­me.

      »Ich bit­te, Herr«, wie­der­hol­te Oli­ver, »ich möch­te noch et­was ha­ben.«

Bild: 043_Oliver_Twist_003.jpg

      Der Koch gab ihm eins mit dem Löf­fel über den Kopf, fass­te ihn dann am Arm und schrie laut nach dem Kirch­spiel­die­ner.

      Die Her­ren Vor­stän­de sa­ßen ge­ra­de zu­sam­men bei ei­ner Be­ra­tung, als Mr. Bum­ble in höchs­ter Er­re­gung ins Zim­mer stürz­te und dem Her­ren auf dem ho­hen Stuhl mel­de­te:

      »Mr. Limbkins, ich bit­te um Ver­zei­hung, Sir, Oli­ver Twist hat mehr zu es­sen ver­langt.«

      Al­les fuhr auf. Ent­set­zen mal­te sich auf al­len Ge­sich­tern.

      »Mehr?« rief Mr. Limbkins. »Kom­men Sie zu sich, Bum­ble! Ant­wor­ten Sie mir klar und deut­lich. Ver­ste­he ich recht? Er hat mehr ge­for­dert als die ihm von der Vor­stand­schaft fest­ge­setz­te Ra­ti­on?«

      »Ja­wohl, Sir.«

      »Der Bur­sche kommt noch an den Gal­gen«, ächz­te der Gent­le­man mit der wei­ßen Wes­te. »Den­ken Sie an mich, der Bur­sche kommt noch an den Gal­gen.«

      Nie­mand wi­der­sprach, und es ent­spann sich eine leb­haf­te Dis­kus­si­on. Auf Be­fehl der Vor­stand­schaft wur­de Oli­ver au­gen­blick­lich ein­ge­sperrt, und am nächs­ten Mor­gen hing ein An­schlag­zet­tel an der Au­ßen­sei­te des To­res des Ar­beits­hau­ses, auf dem eine Be­loh­nung von fünf Pfund aus­ge­setzt war für je­den, der die Ge­mein­de der wei­te­ren Für­sor­ge für Oli­ver Twist ent­hö­be; mit an­de­ren Wor­ten: es wur­den fünf Pfund je­der­mann an­ge­bo­ten, der Oli­ver Twist als Lehr­ling oder Lauf­bur­schen zu sich näh­me.

      »In mei­nem gan­zen Le­ben war ich noch von nichts so fest über­zeugt«, sag­te der Gent­le­man mit der wei­ßen Wes­te, als er am nächs­ten Mor­gen an das Tor klopf­te und den Zet­tel las, »wie ich jetzt da­von über­zeugt bin, dass der Bur­sche noch ein­mal an den Gal­gen kom­men wird.«

      Eine Wo­che lang blieb Oli­ver nach sei­ner Mis­se­tat in dem fins­tern Raum, in den ihn die Her­ren Vor­stän­de hat­ten sper­ren las­sen, in Haft. Hät­te er den ge­hö­ri­gen Re­spekt vor der Pro­phe­zei­ung des Gent­le­mans mit der wei­ßen Wes­te ge­habt, wür­de er sich zwei­fel­los ver­mit­tels ei­nes Ta­schen­tu­ches an ei­nem Ha­ken in der Mau­er auf­ge­hängt ha­ben. Aber dazu fehl­te ihm vor al­lem ein Ta­schen­tuch – ein sol­cher Lu­xus war stren­ge ver­pönt -, und zwei­tens war er noch zu sehr Kind. Er wein­te da­her nur Tag und Nacht und be­deck­te sich mit sei­nen klei­nen Hän­den die Au­gen, um nicht in die Fins­ter­nis star­ren zu müs­sen, oder er kroch in einen Win­kel und ver­such­te zu schla­fen. Aber je­des Mal fuhr er wie­der vor Angst und Ent­set­zen aus sei­nem un­ru­hi­gen Schlum­mer auf und drück­te sich noch dich­ter an die Mau­er, als böte ihm selbst ihre har­te kal­te Flä­che noch ein we­nig Schutz ge­gen die Fins­ter­nis und Ein­sam­keit, die ihn rings um­gab.

      Um ge­recht zu sein, dür­fen wir nicht ver­schwei­gen, dass es ihm an­de­rer­seits an Be­we­gung und geist­li­chem Zu­spruch nicht fehl­te. Was die Lei­bes­übun­gen be­traf, wur­de ihm an­ge­sichts des kal­ten Wet­ters, das ge­ra­de herrsch­te, die Ver­güns­ti­gung zu­teil, sich je­den Mor­gen un­ter der Pum­pe in ei­nem ge­pflas­ter­ten Hof wa­schen zu dür­fen, und zwar in Ge­gen­wart Mr. Bum­bles, der durch wie­der­hol­te An­wen­dung sei­nes Amt­sta­bes even­tu­el­len Er­käl­tun­gen vor­beug­te und be­wirk­te, dass von Zeit zu Zeit ein pri­ckeln­des Ge­fühl Oli­vers Kör­per durch­drang. Was die An­re­gung an­be­lang­te, wur­de er je­den zwei­ten Tag in den Saal ge­führt, wo die Zög­lin­ge ihr Mit­ta­ges­sen ver­zehr­ten, und vor ih­ren Au­gen als war­nen­des Bei­spiel öf­fent­lich aus­ge­peitscht. Hin­sicht­lich re­li­gi­ösen Zu­spruchs wur­de

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