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mein­te Frau Böhk. »Sorgt ihr für die Kreb­se, wir set­zen uns hier­her. Bis Son­nen­un­ter­gang kann das Fräu­lein ei­ni­ge Net­ze her­aus­zie­hen, das wird ihr nicht scha­den.«

      Rosa er­rö­te­te vor Freu­de. In letz­ter Zeit dar­an ge­wöhnt, von je­der Fröh­lich­keit der Ju­gend aus­ge­schlos­sen zu wer­den, er­schi­en es ihr jetzt wie ein großes Glück, mit­tun zu dür­fen. Herr Böhk lei­te­te sie sehr lie­bens­wür­dig an. Be­hut­sam muss­te sie an den Bachrand tre­ten, die Netz­stan­ge er­fas­sen und ge­schwind her­aus­zie­hen, dann fie­len die Kreb­se, die sich um den Kö­der ver­sam­melt hat­ten, zap­pelnd in das run­de Netz. Präch­tig war es, die glän­zen­den schwar­zen Tie­re vor­sich­tig zu fas­sen und in den Korb zu tun, wo sie ihre Scha­len an­ein­an­der rie­ben und ein Geräusch mach­ten, als flüs­te­re je­mand. Mar­tha und Gre­the hat­ten sich Schu­he und St­rümp­fe aus­ge­zo­gen, stampf­ten lus­tig im nas­sen Moo­se um­her und kreisch­ten auf, wenn das Was­ser ih­nen kalt an die Bei­ne schlug.

      Die Son­ne ging un­ter. Ihre letz­ten Strah­len ga­ben den Bir­ken­stäm­men ro­si­ge Fleisch­tö­ne, dass es aus­sah, als hiel­ten vie­le knor­ri­ge Arme das zar­te Laub em­por. Eine Schaf­her­de, die fern auf der Wie­se wei­de­te, ward rot an­ge­leuch­tet, und über den gan­zen Him­mel war ein ro­ter Far­ben­topf aus­ge­gos­sen.

      »Wie ge­sot­te­ne Kreb­se sieht al­les aus«, be­merk­te Herr Böhk. Nie­mand lach­te dar­über. Alle hiel­ten sich in dem Licht­ba­de still, das über sie hin­floss.

      »Die Son­ne geht un­ter«, mahn­te Frau Böhk. »Kom­men Sie zu uns, lie­bes Fräu­lein.«

      Rosa setz­te sich zu den Frau­en, ließ sich von der Heb­am­me warm zu­de­cken, lehn­te den Kopf an einen Baum­stamm und schau­te zu. Ihr war wohl. Al­les Trü­be und Schwe­re muss vor­über­ge­hen – und dann bleibt noch im­mer das schö­ne Ding – Le­ben – üb­rig – noch Raum für man­ches Glück.

      Schnell zog die Dun­kel­heit her­an. Der Him­mel wur­de bleich und glä­sern. In den Bir­ken­zwei­gen hing hie und da ein Stern. Der Bach dampf­te; über die Wie­se er­goß sich der Ne­bel weiß wie Milch. Wei­ter un­ten am Bach ward ein Feu­er an­ge­steckt, Stim­men schall­ten her­über. »Dort kreb­sen die vom ›Ro­ten Hir­sch‹«, sag­te die Leb. Auf der an­de­ren Sei­te ward Pfer­de­ge­trap­pel laut. Die Pfer­de des Orts wur­den auf die Wei­de ge­trie­ben. Sie zer­streu­ten sich über die Wie­se; man ver­nahm ihr Schnau­fen, und zu­wei­len klatsch­te es, wenn ein Pferd auf eine sump­fi­ge Stel­le ge­ra­ten war. In der Fer­ne spiel­te eine Har­mo­ni­ka einen Tanz; der Ton kam nä­her – jetzt war er ganz nah, und zwei dunkle Ge­stal­ten tauch­ten am Ba­che auf.

      »Der Schmied- und der Schrei­ner­ge­sell«, er­klär­te Frau Böhk. Sie war heu­te mil­de ge­stimmt und ließ al­les ge­sche­hen.

      Am Ba­che wur­de es jetzt leb­haft; sie lach­ten dort, schri­en auf, die Net­ze plät­scher­ten im Was­ser, die Har­mo­ni­ka sang mit ih­rer durch­drin­gen­den Stim­me da­zwi­schen, dann plötz­lich wur­de es still.

      Die Frau­en hat­ten sich über den Eß­korb her­ge­macht, aßen und spra­chen halb­laut mit­ein­an­der. »Die Wurst ist gut. Von vo­ri­gem Herbst, nicht wahr?« frag­te die Leb. »Ich neh­me auf sol­che Par­ti­en nichts mit, des Schlep­pens we­gen, wis­sen Sie. Nur mei­ne Fla­sche.«

      »Was ha­ben Sie denn Gu­tes in der Fla­sche?«

      »Se­hen Sie hier. Kirsch­geist ist das – für den Ma­gen. So et­was muss ich im­mer bei mir ha­ben, das frischt das Herz auf.«

      »Ja – ja«, er­wi­der­te Frau Böhk; dann tran­ken sie bei­de.

      »Dass es mit der Bäcke­rin so schnell zu Ende ge­hen wür­de, habe ich nicht ge­dacht«, hub die Leb wie­der an. »Eine hüb­sche, leich­te Ge­burt, und dann kommt so ein Fie­ber, und aus ist’s.«

      »Ja, da kann nie­mand hel­fen«, be­stä­tig­te die Heb­am­me. »Und in letz­ter Zeit hab ich Un­glück mit dem Kind­bett­fie­ber. Der drit­te Fall in die­sem Jahr. Al­les geht gut, und eh man sich’s ver­sieht, ist die Per­son tot! Wahr­haf­ti­ger Gott, die­ses Jahr hab ich Un­glück.«

      »Wann wird die Bäcke­rin be­stat­tet?«

      »In zwei Ta­gen; aber der Bä­cker wird kei­ne großen Um­stän­de ma­chen.«

      »Hö­ren Sie, die Be­er­di­gung beim Krä­mer war nicht schlecht.«

      »Es ging an.«

      »Oh, nicht schlecht! Die Schweins­sulz war so­gar recht gut; und für’s Her­rich­ten der Lei­che hat er mir auch ziem­lich no­bel ge­zahlt.«

      Rosa hör­te zu. Die Bäcke­rin war also tot. Die­se Nach­richt ging an­fangs an ihr vor­über, wie so vie­le der Kran­ken­ge­schich­ten, die Frau Böhk zu er­zäh­len pfleg­te. Plötz­lich je­doch kam ihr der Ge­dan­ke: Wie? Da­ran stirbt man? Es ist ein un­glück­li­ches Jahr, sagt die Frau Böhk. Und ich? Ein wun­der­li­ches, nie emp­fun­de­nes Ge­fühl der To­des­furcht er­griff Rosa. Das Wort »Tod«, die­ses alte Wort, das sie un­zäh­li­ge Mal aus­ge­spro­chen hat­te, klang heu­te be­deu­tungs­voll und fremd, nun, da es zu ihr ge­hör­te.

      Die Dun­kel­heit, die feuch­te Käl­te, die von den Zwei­gen nie­der­fiel, be­drück­ten Rosa. Der star­ke Duft der Bir­ken er­in­ner­te sie an die Kir­che, die man für einen To­ten mit Mai­en schmückt. Und doch – sie muss­te hier blei­ben. Eine un­ver­stan­de­ne Scham­haf­tig­keit ließ sie fürch­ten, die an­de­ren könn­ten ihre Angst be­mer­ken.

      Schräg durch die Bir­ken­zwei­ge drang ein Licht wie der Schein ei­ner Lam­pe, der durch Vor­hän­ge auf die Stra­ße fällt. Das Licht stieg und wuchs. Der Mond war hin­ter den Wol­ken des Ho­ri­zonts her­vor­ge­kom­men, und als er hoch am Him­mel stand, ver­brei­te­te er eine große, mil­de Klar­heit. Die Pap­peln stan­den ganz in sil­ber. Auf der Land­stra­ße un­ter­schied man deut­lich einen Wa­gen, mit zwei Pfer­den be­spannt. Er roll­te da­hin wie ein zier­li­ches schwar­zes Spiel­zeug, an dem eine Glo­cke un­abläs­sig läu­te­te.

      »Der Mond ist schon da«, mein­te Frau Böhk, »da muss es spät sein. Gott, mein Fräu­lein hat ganz kal­te Hän­de! Ge­schwind nach Hau­se! Wo sind nur die an­dern?«

      Frau Leb hielt nach­denk­lich ein Stück Wurst in der Hand, sag­te: »Der Mond ist schön rund«, und blick­te em­por, den Kopf leicht zur Sei­te nei­gend, wie ein Hund, der ins Ka­min­feu­er schaut.

      »Hu – hu – nach Hau­se!« rief Frau Böhk in die Nacht hin­aus.

      »Wir kom­men«, ant­wor­te­te es hin­ter den Er­len.

      »Gut, gut!« sag­te Frau Böhk, »sie mö­gen die Net­ze neh­men. Wir ge­hen vor­aus.«

      Auf dem Heim­weg wa­ren die Frau­en sehr an­ge­regt und spra­chen eif­rig mit­ein­an­der. Rosa ging still ne­ben ih­nen her. Die schwar­zen Ge­dan­ken wa­ren fort, und große Mü­dig­keit las­te­te auf ihr.

      Die an­de­ren ka­men nach. Man hör­te sie sin­gen. Als Rosa sich um­schau­te, sah sie im hel­len Mond­schein ein je­des der Mäd­chen eng an einen Bur­schen ge­schmiegt ein­her­ge­hen. Herr Böhk spiel­te die Har­mo­ni­ka; Hans trot­tel­te nach.

      In der Nacht hat­te Rosa einen pein­vol­len Traum. Sie lag in ih­rer Kam­mer, träum­te ihr, die Leb stand vor ihr und sag­te: »Die vier­te, die uns stirbt.« Und mit der Un­fehl­bar­keit, mit der im Traum das Er­war­te­te ein­trifft, be­gann das Ster­ben schon: Eine kal­te Schwe­re

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