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ob sie sich ihren Lebensunterhalt nicht selbst verdienen konnte. Oder ob sie es wagen dürfte, ihren Verwandten zu schreiben und sie zu bitten, bei ihnen leben zu dürfen.

      Diona hatte das Gefühl, er wollte sie nicht bei sich haben, würde sie aber andererseits am Weggehen hindern.

      „Ich bin dein Vormund, und du tust, was ich sage.“

      Das war einer seiner Lieblingssätze. Offensichtlich wollte er der Tochter seines Bruders nur ihre Abhängigkeit beweisen.

      Diona liebte das Landleben, wie es ihre Eltern geliebt hatten, die das aufregende Leben Londons nie vermißten, wenngleich sie dort auch immer wieder ihren gesellschaftlichen Pflichten nachkommen mußten.

      Ihre Mutter hatte einmal davon gesprochen, Diona bei Hofe vorzustellen, sie auf Bälle und Empfänge mitzunehmen und sie nach Beendigung ihrer Schulausbildung zur Debütantin zu machen, doch ihr Vater war sechs Monate vor ihrem achtzehnten Geburtstag gestorben. Nun näherte Diona sich schon dem neunzehnten Geburtstag, ohne jemals einen Ball besucht oder London gesehen zu haben.

      Als Diona noch ein Kind gewesen war, hatte es in der Grafschaft natürlich Partys gegeben, zu denen ihre Mutter sie mitgenommen hatte. Als Diona jedoch älter wurde, genoß sie es viel mehr, ihrem Vater bei den Pferderennen zuzusehen oder im Winter zu jagen. Dort traf sie jedes Mal eine Menge Leute, auch solche, die dem Landadel angehörten.

      Ihr Vater war von den Yeoman-Farmern bewundert worden. Sie nannten Diona die „hübsche kleine Miss Grantley“, zogen vor ihr den Hut und luden sie auf ihren Hof zu frischem Brot ein, das ihre Frauen gebacken hatten, bestrichen mit goldgelber Butter, die aus der Sahne frischer Kuhmilch hergestellt war.

      Doch so freundlich die Bauern auch waren, sie waren nicht die Freunde, die ihre Mutter sich für Diona gewünscht hatte.

      „Ich möchte, daß du den gleichen Erfolg hast wie ich, als ich Debütantin war“, sagte Mrs. Grantley. „Ich bin nicht eingebildet, wenn ich dir verrate, daß ich sehr verehrt worden bin und daß eine ganze Anzahl von sehr charmanten und reichen jungen Männern meinen Vater gefragt haben, ob sie mir den Hof machen dürften.“

      „Heißt das, daß sie dich heiraten wollten, Mama?“

      „Ja, aber ich wollte sie nicht heiraten“, hatte ihre Mutter erwidert. „Ich wartete, obwohl ich nicht wußte worauf, bis ich deinen Vater kennenlernte.“

      „Und dann?“

      „Dann verliebte ich mich in ihn. Er war der schönste und aufregendste Mann, den ich je gesehen hatte.“ Mrs. Grantley hatte geseufzt, bevor sie hinzugefügt hatte: „Ich wünschte, du hättest ihn in seiner Uniform sehen können. Jedes Mädchenherz hat bei seinem Anblick schneller geschlagen.“

      „Und hat er sich auch in dich verliebt?“ hatte Diona gefragt.

      „Auf den ersten Blick“, hatte ihre Mutter erwidert. „Und ich kann mir nicht vorstellen, daß zwei Menschen glücklicher sein können, als wir es sind.“

      Und dieses Glück vermißte Diona jetzt, ein Glück, das wie der Sonnenschein strahlte. Sie konnte sich nicht daran erinnern, daß der Himmel während ihrer Kindheit einmal grau gewesen war und der Regen gegen die Fensterscheiben getrommelt hatte.

      Jetzt, als sie, gefolgt von Sirius, in ihr Schlafzimmer lief und die Tür schloß, hatte sie das Gefühl, als müßte sie sich ihren Weg durch schwarzen Nebel kämpfen, der sie zu ersticken drohte.

      Sie warf sich auf die Knie und schlang die Arme um Sirius, während ihr die Tränen über die Wangen liefen.

      Der Hund fühlte, daß etwas nicht in Ordnung war, und leckte ihre Tränen fort. Diona wußte, daß sie ihn nicht verlieren durfte, denn wenn sie ihn verlor, q dann mußte auch sie sterben, da sie dann nichts mehr hatte, wofür es sich zu leben lohnte.

      Als sie Sirius’ warmen Körper eng an den ihren drückte, erwachte in ihr plötzlich etwas Starkes und Entschlossenes, ein Gefühl, das sie noch nie zuvor gekannt hatte.

      Sie war so unglücklich gewesen, als sie in das Haus ihres Onkels gekommen war, daß sie das Elend akzeptierte wie ein Kreuz, das sie tragen mußte, da sie keine andere Wahl hatte. Wenn sie für etwas geschimpft worden war, was sie gar nicht getan hatte, dann hatte sie keinen Sinn darin gesehen, sich zu wehren, sondern hatte sich entschuldigt und Besserung versprochen.

      Jetzt wußte sie, daß sie kämpfen mußte, nicht nur für sich, sondern auch, um Sirius zu retten.

      Sie drückte Sirius noch einmal an sich, woraufhin er erneut über ihr Wange leckte und wedelte, sich dann hinsetzte und sie flehentlich anblickte, als ob er ihr vorschlagen wollte, daß sie mit ihm einen Spaziergang an der frischen Luft machte.

      „Genau das werden wir tun, Sirius“, sagte Diona zu ihm. „Wir werden spazieren gehen und nicht zurückkommen. Warum habe ich nicht schon früher daran gedacht!“

      Sie stand auf und versperrte die Tür, um nicht überrascht zu werden. Dann breitete sie auf dem Bett ein großes seidenes Tuch aus, das ihrer Mutter gehört hatte, und begann alles auf das Tuch zu legen, was sie für absolut notwendig hielt. Sie wußte, daß sie nicht viel mitnehmen durfte, da die Last sonst zu schwer werden würde. Sie wählte deswegen nur leichte Sachen, darunter zwei Musselinkleider. Und trotzdem wurde das Bündel beträchtlich groß, als sie die Tuchzipfel zusammenknotete.

      Sie zögerte nur kurz. Schließlich schlüpfte sie in ihr bestes Kleid sowie in ihr neues Paar Schuhe und setzte den hübschesten Hut auf, der ihrer Mutter gehört hatte.

      Sie hatte die Trauerkleidung vor einem Monat abgelegt, da ihr Onkel in einem Wutanfall geäußert hatte, daß er es nicht ausstehen könne, wenn eine„schwarze Krähe“ in seinem Haus herumflatterte. Von dem Geld, das er ihr gegeben hatte, damit sie sich kurz nach ihrem Einzug ins Haus Trauerkleider kaufen konnte, hatte sie noch einen kleinen Betrag übrig, und da sie die Kleider eben nicht lange hatte tragen können, waren sie noch verhältnismäßig neu. Darüber war Diona jetzt froh, denn sie wußte, daß ihre Kleidung noch lange halten mußte.

      Diona konnte es allerdings nicht übers Herz bringen, sich von den paar Schmuckstücken zu trennen, die ihrer Mutter gehört hatten. Da waren der Verlobungsring, eine Brosche mit Diamanten, die ihr Vater seiner Frau bei Dionas Geburt geschenkt hatte, und ein ziemlich häßlicher, aber wertvoller Armreif, den ihre Mutter von ihrer Mutter geerbt und den sie des Andenkens wegen nie verkauft hatte.

      „Wenn ich diese Schmuckstücke verkaufe, kann ich Sirius eine ganze Weile lang durchfüttern“, sagte Diona laut vor sich hin, steckte Schmuck und Geld in einen Beutel, den sie an ihr Handgelenk hängte, und nahm ihr Bündel auf. Während sie die Tür aufsperrte, flüsterte sie Sirius zu, mit ihr zu kommen.

      Sirius glaubte natürlich, sie würden einen Spaziergang machen, und sprang vor Freude immer wieder hoch, doch Diona hieß ihn, ruhig zu sein, und er verstand.

      Diona mied den Küchenbereich, denn sie wußte, daß um diese Tageszeit dort die Bediensteten ihr zweites Frühstück einnahmen.

      Kaum hatte sie das Haus verlassen, schritt sie schnell die rückwärtige Auffahrt entlang, die von keinem der Haupträume des Hauses gesehen werden konnte. Diese Auffahrt war auch nicht so breit und beeindruckend wie die mit Eichen gesäumte Hauptauffahrt zur Vorderseite des Hauses.

      Diona eilte über die Wiese, während Sirius ein kurzes Stück von ihr entfernt nach Kaninchen suchte. Er war jedoch sofort an ihrer Seite, sobald sie ihn rief.

      Diona brauchte ungefähr zehn Minuten, um das Pförtnertor zu erreichen, das nicht so groß und stabil gebaut war wie das des Haupteingangs. Diona wußte, daß das alte Paar, das in dem Pförtnerhäuschen wohnte, recht nachlässig war und nur selten das Tor schloß, nämlich nur dann, wenn es ausdrücklich angeordnet worden war.

      Von den beiden war nichts zu sehen, und da Diona auch nicht gesehen werden wollte, huschte sie durch das Tor und auf die staubige Straße hinaus.

      Einen Augenblick zögerte sie und überlegte, wohin sie sich wenden sollte. Da entdeckte sie einen Pferdekarren, der aus Richtung des Dorfes kam.

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