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MATTHEW CORBETT und die Hexe von Fount Royal (Band 2). Robert Mccammon
Читать онлайн.Название MATTHEW CORBETT und die Hexe von Fount Royal (Band 2)
Год выпуска 0
isbn 9783958352315
Автор произведения Robert Mccammon
Жанр Языкознание
Серия Matthew Corbett
Издательство Bookwire
Sie starrte ihn nur an. Ihr Körper hatte sich versteift, als wollte sie entweder an ihm vorbei flüchten oder aus dem Fenster springen. Dieses Mal war sie offensichtlich nicht für einen Gerichtsbesuch fein gemacht: Ihre hellbraunen Haare hingen fettig auf die Schultern, und ihr braun-rot kariertes Hemdchen bestand hauptsächlich aus Flicken. Ihre Schuhe waren fast durchgelaufen.
»Du wartest auf mich?«, fragte Matthew. Sie nickte. »Ich nehme an, dass du nicht für deinen Vater oder deine Mutter hergekommen bist?«
»Nein, Sir«, antwortete sie. »Die haben mich Wasser holen geschickt.«
Matthew schaute auf den Boden und sah zwei leere Eimer. »Aha. Aber du hast dich entschieden, erst hierher zu kommen?«
»Jawohl, Sir.«
»Und warum?«
Vorsichtig stellte Violet die Schachfigur zurück auf ihren Platz auf dem Brett. »Was ist das hier, Sir? Ist das ein Spielzeug?«
»Das ist ein Spiel, das sich Schach nennt. Die einzelnen Figuren werden mit unterschiedlichen Zügen auf dem Brett bewegt.«
»Ohhh.« Sie schien sehr beeindruckt zu sein. »Fast so wie bei Mühle, nur dass man das auf dem Boden spielt.«
»So ähnlich.«
»Die sind hübsch«, sagte sie. »Hat Mr. Bidwell die geschnitzt?«
»Das wage ich zu bezweifeln.«
Sie starrte weiter auf das Schachbrett. Ihre Oberlippe zuckte nervös. »Letzte Nacht ist mir eine Ratte ins Bett gesprungen«, sagte sie.
Matthew wusste nicht, wie er auf diese sachlich vorgebrachte Feststellung reagieren sollte, und äußerte daher gar nichts.
»Die hat sich ganz in meinem Bettzeug verheddert«, fuhr sie fort. »Sie kam nicht mehr raus, und ich hab gefühlt, wie sie unten bei meinen Füßen ganz wild geworden ist. Die Decke war auch ganz um mich rum verdreht, und ich konnte auch nicht raus. Dann ist mein Papa reingekommen, und ich hab Angst gehabt, dass die Ratte mich beißt. Da hab ich geschrien. Mein Papa hat an der Decke gezogen und mit dem Kerzenständer auf die Ratte eingeschlagen, und dann hat meine Mama angefangen zu schreien, und alles war voller Blut, und nun ist die Decke hinüber.«
»Das tut mir leid«, sagte Matthew. »Das muss traumatisch gewesen sein.« Besonders für ein so sensibles Kind, dachte er.
»Trau- was, Sir?«
»Ich meinte, dass es ein gruseliges Erlebnis gewesen sein muss.«
»Ja, Sir.« Sie nickte und nahm einen Bauern in die Hand. Das Sonnenlicht fiel auf die Spielfigur, die sie eingehend betrachtete. »Aber dann … als es schon fast Morgen war, da hab ich mich an was erinnert. An die Männerstimme, die ich im Haus von den Hamiltons singen gehört hab.«
Matthews Herz schien plötzlich in seiner Kehle zu schlagen. »An was genau hast du dich da erinnert?«
»Von wem die Stimme war.« Sie stellte den Bauern wieder hin und sah Matthew an. »Das ist immer noch alles ganz durcheinander … und mir tut ganz doll der Kopf weh, wenn ich drüber nachdenke, aber mir ist einfallen, was er gesungen hat.« Sie holte Luft und fing leise an, mit süßer Stimme zu singen: »Kommt schon, kommt schon, meine Damen und Dummen. Kommt schon, kommt schon, und schleckt mein Zuckerzeug …«
»Der Rattenfänger«, sagte Matthew. Im Kopf hörte er Linch wieder dasselbe makabre Lied singen, das er während des Rattenmassakers im Gefängnis gesummt hatte.
»Jawohl, Sir. Das war die Stimme von Mr. Linch gewesen, die ich da aus dem Hinterzimmer gehört hab.«
Matthew sah dem Kind in die Augen. »Sag mir doch, Violet, woher du weißt, dass es die Stimme von Mr. Linch war. Hast du das Lied denn vorher schon mal gehört?«
»Er ist einmal gekommen und hat ein Rattennest getötet, das mein Papa gefunden hat. Das waren alles ganz große, und schwarz wie die Nacht. Mr. Linch ist gekommen und hat seine Pulver und seinen Spieß mitgebracht. Das hat er dann gesungen, als er gewartet hat, dass die Raten betrunken werden.«
»Hast du jemandem davon erzählt? Deiner Mutter oder deinem Vater?«
»Nein, Sir. Die mögen das nicht, wenn ich davon erzähle.«
»Dann sag ihnen auch besser nicht, dass du hier warst und mit mir geredet hast.«
»Nein, Sir, das würde ich mich gar nicht trauen. Da bekäme ich ganz schlimme Schläge.«
»Am besten gehst du nun Wasser holen und dann nach Hause«, saget Matthew. »Aber eine Frage habe ich noch: Weißt du, ob du irgendwas gerochen hast, als du in das Haus der Hamiltons gegangen bist? Hat es gestunken?« Er dachte an die verwesende Hundeleiche. »Oder hast du einen Hund gesehen oder gehört?«
Violet schüttelte den Kopf. »Nein, Sir. Da war nichts. Warum?«
»Hm …« Matthew setzte den Springer auf dem Schachbrett auf die Position des Läufers, und den Läufer auf die Position des Springers. »Wenn du dieses Brett und die Figuren jemandem beschreiben solltest, der sich nicht mit uns in diesem Zimmer befindet – was würdest du sagen?«
Sie zuckte die Achseln. »Ich denke mal … dass es ein Holzbrett mit hellen und dunklen Quadraten ist, auf dem an bestimmten Stellen Figuren stehen.«
»Würdest du sagen, dass die Figuren zum Spielbeginn aufgestellt sind?«
»Das weiß ich nicht, Sir. Ich würde sagen … dass sie es sind, aber ich kenne das Spiel und seine Regeln ja nicht.«
»Genau.« Er lächelte leicht. »Und die Regeln geben den Ausschlag. Ich möchte mich bei dir dafür bedanken, dass du gekommen bist und mir erzählt hast, woran du dich noch erinnert hast. Ich weiß, dass dir das sehr schwergefallen ist.«
»Jawohl, Sir. Aber meine Mama sagt, dass mir der Kopf nicht mehr so wehtun wird, wenn die Hexe verbrannt ist.« Sie packte die beiden Eimer bei den Henkeln. »Darf ich Euch jetzt etwas fragen, Sir?«
»Das darfst du.«
»Was meint Ihr, warum Mr. Linch da im Dunkeln saß und so gesungen hat?«
»Das weiß ich nicht«, gab er zurück.
»Ich hab den ganzen Morgen drüber nachgedacht.« Sie starrte aus dem Fenster. Das Sonnenlicht färbte ihr Gesicht gelb. »Davon hat mir so der Kopf wehgetan, dass ich fast geweint habe, aber ich hatte das Gefühl, dass ich drüber nachdenken muss.« Violet verstummte, und Matthew konnte an dem entschlossenen Zug um ihren Mund sehen, dass sie zu einer wichtigen Schlussfolgerung gekommen war. »Ich glaube … dass Mr. Linch ein Freund vom Teufel sein muss. Das denke ich.«
»Damit könntest du recht haben. Weißt du, wo ich Mr. Linch finden kann?«
Erschrocken sah sie ihn an. »Ihr sagt ihm das doch nicht, oder?«
»Nein. Das verspreche ich dir. Ich möchte nur wissen, wo er wohnt.«
Sie zögerte noch ein paar Sekunden, wusste aber, dass Matthew es so oder so herausfinden würde. »Am Ende von der Fleißstraße. Im allerletzten Haus.«
»Ich danke dir.«
»Ich weiß nicht, ob das richtig war, dass ich hergekommen bin«, sagte sie stirnrunzelnd. »Ich meine … wenn Mr. Linch mit dem Teufel befreundet ist, wird er sich dafür doch verantworten müssen?«
»Das wird er auch eines Tages«, sagte Matthew. »Darauf kannst du dich verlassen.« Er berührte ihre Schulter. »Es ist gut, dass du gekommen bist. Und nun lauf. Geh Wasser holen.«
»Jawohl, Sir.« Mit den Eimern in der Hand verließ Violet die Bibliothek.
Matthew ging ans Fenster und sah kurz darauf, wie sie zum Quellsee ging. Seine Gedanken überschlugen sich angesichts der neuen Informationen. Er lief nach oben, um nach dem Richter