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lila Seidentüchlein, präsentierte eben ihrem Gaste die braunen Pfeffernüsse, die sie zuvor unter dem Ofen aus dem grünen Blechkästchen genommen hatte. »Die Frau Senatorin hat sie mir herausgeschickt«, sagte sie lächelnd, »sie backt sie alle Jahr zu Weihnachtabend.«

      Der alte Mann nahm etwas von dem Backwerk; aber seine Augen hafteten mit einem Ausdruck von Verlegenheit an der andern Hand seiner Gastfreundin, die schon längere Zeit auf einem noch immer versiegelten Briefe geruht hatte: »Wollten Sie nicht lesen, liebe Mamsell?« fragte er endlich.

      »Hernach, Herr Lehrer; das ist meine Gesellschaft auf den Abend.« Und sie strich mit leisem Finger über das Kuvert.

      »Aber der Herr Senator hat Sie doch gewiß zum Christbaum eingeladen?«

      Der Ausdruck ruhiger Güte verschwand für einen Augenblick aus dem etwas blassen Antlitz des alten Mädchens. »Es ist heute ein Tag des Friedens«, sagte sie, und ihre sonst so milde Stimme klang scharf; »ich mag nicht in die Stadt.« Der alte Mann sah mit großen teilnehmenden Augen zu ihr hinüber.

      »Ich bin zuletzt im Juni dort gewesen, seitdem nicht wieder«, fuhr sie fort; »wir hatten hier keine Blumen; aber in den Gärten der Stadt und auch am Hause unsers alten Bürgermeisters blühten sie. Der gute Mann hat in die Fremde gehen müssen; aber die Rosen, die er selber pflanzte, hatten schon die ganze Fronte seines großen Hauses überzogen. Jetzt wohnt der neue Bürgermeister darin. Als ich im Vorübergehen die geputzten Kinder mit ihrem lauten fremden Geplapper die schönen dunkelroten Rosen vom Spalier herabreißen sah – mir war’s, als müßte Blut herausfließen.«

      Ihr Gast schwieg noch immer; aber um seine Lippen zuckte es, als stiege ein Schmerz auf, den er vergebens zu bekämpfen suche.

      »Wir sind mit dem Senator aufgewachsen«, begann sie wieder, »mein Bruder und ich; wir waren Nachbarskinder.« – Und mit diesen Worten trat ein Lächeln in ihr Antlitz, als blickte sie unter sich in eine sonnige Landschaft. »Es waren arge Buben damals, die beiden«, sagte sie, »sie haben mich was Ehrliches geplagt.«

      Mamsell hatte die Hände in ihrem Schoß gefaltet und blickte durchs Fenster auf die Heide hinaus. Das feuchte Kraut der Eriken glitzerte in dem Scheine der untergehenden Sonne; und wie schwimmend in Duft gehüllt stand fern am Horizont der spitze Turm der Stadt. Auch das alte Mädchen saß da, vom blassen Abendschein umflossen. Es war ein Antlitz voll stillen Friedens, in dem freilich der Zug des Entsagens auch nicht fehlte; aber er war nicht herbe, es mochte wohl nur ein bescheidenes Glück sein, das hier vergeblich erhofft worden war. »Nach unseres Vaters Tode«, sagte sie leise, »war der Senator mir ein hülfreicher Freund, ich habe lange in seinem Hause gelebt, und später hat er mir dann auf meine Bitten diesen Posten hier gegeben. Es ist jetzt der rechte Platz für einen einsamen, alten Menschen.«

      »Aber«, sagte der Lehrer und legte den Teelöffel sorgfältig über die geleerte Tasse, »hieß es nicht vor Jahren einmal, liebe Mamsell, daß Sie den ledigen Stand hätten verrücken wollen?«

      Sie schlug die Augen nieder und strich mit der flachen Hand ein paarmal über das Damasttuch. »Ja«, sagte sie dann, indem sie auf ein getuschtes Profilbildchen blickte, das in einem Strohblumenkranze über der Kommode hing. »Vor Jahren, Herr Lehrer; aber es kam anders, als wir gedacht hatten.«

      Der Lehrer war aufgestanden und besichtigte das Bild. »Ja, ja«, sagte er, »der alte Ehrenfried, wie er leibte und lebte, der Herr Senator haben bis zu seinem Tode große Stücke auf ihn gehalten; ich habe manches Päckchen Schnupftabak von ihm zugewogen bekommen.«

      Die Haushälterin nickte. »Ich mag es Ihnen wohl erzählen«, fuhr sie fort, »Sie haben auch Ihre Lebensfreude, Ihren einzigen Sohn, in unserm Kriege dahingegeben, und haben ihm den schönen Spruch aufs Grab setzen lassen.«

      Der Alte beugte sich vornüber und legte seine Hand wie beschwichtigend auf den Arm seiner Freundin. »Das ist nun vorbei«, sagte er, und seine Stimme zitterte. »Er starb für seine Heimat, für welche wir bald nicht mehr leben dürfen; denn auch in meiner Schule soll nächstens, wie es heißt, die deutsche Sprache abgeschafft werden. Mein Wirken ist dann zu Ende.« – Der alte Mann seufzte. »Doch«, fuhr er fort, »Sie wollten ja erzählen!«

      Sie stand auf und füllte erst noch einmal die Tasse des Gastes und präsentierte ihm die Schüssel mit den Weihnachtskuchen. – »Mein Vater«, begann sie nach einer Weile, »hatte einen kleinen Posten bei der Stadt und nur ein notdürftiges Einkommen, aber er saß nachts an seinem Pulte und schrieb Noten für die Klavierschüler des Organisten oder er fertigte die Rechnungen für die Armen-oder Klostervorsteher, die mit der Feder selbst nicht umzugehen wußten. Er war ein schwächlicher Mann und hat mit den vielen Nachtwachen sein Leben wohl verkürzt. Doch als er starb, fand sich für meinen Bruder und mich, die wir beide noch kaum erwachsen waren, ein kleines sauer verdientes Kapital. Es mochte für jeden wohl ein paar tausend Mark betragen.« Sie schwieg einen Augenblick. »Über dieses Kapital«, sagte sie dann, »das ich besaß, da Ehrenfried und ich unsern Verspruch taten, konnte ich späterhin nicht mehr verfügen.«

      »Nein, nein«, setzte sie hinzu, da sie bemerkte, daß ihr Gast einen Blick des Vorwurfs auf das Bildchen an der Wand warf; »denken Sie nichts Unrechtes von dem Seligen, er hat nichts gegen mich verschuldet.«

      Der Schullehrer ließ sich diese Versicherung gefallen; denn auch das treuherzige Männergesicht, das dort so ruhig aus dem hohen Rockkragen herausschaute, schien gegen jeden derartigen Verdacht einen stummen Protest einzulegen.

      »Wir beide«, fuhr die Erzählerin fort, »waren bald nach dem Tode des alten seligen Herrn in das Haus des Senators gekommen. Die Mutter lebte noch und der junge Herr freite damals um seine jetzige Frau; die Haushaltung ging wie zu den Zeiten des Vaters ihren ruhigen Gang; und es war eine regelrechte Haushaltung, Herr Lehrer, alles wie nach dem Glockenschlag der Amsterdamer Wanduhr, die unten auf der großen Hausdiele steht; das blieb auch so, als die junge Frau ins Haus kam. Der Ehrenfried schien ganz hineinzupassen; des Tages bediente er seine Kunden, des Abends saß er in dem kleinen Laden und klebte seine Düten oder brachte seine Bücher in Ordnung. Ich war meistens für die alte Frau da oder half auch wohl mit in der Haushaltung. So lebten wir nebeneinander hin, und die Jahre vergingen. Ehrenfried hatte wohl einmal den Wunsch geäußert, einen eigenen Kram zu beginnen; aber er sprach das nur so hin, als sei es für Leute seines Schlages doch nicht zu erschwingen; denn er war fast ohne Mittel. Die Zinsen seines kleinen Vermögens und ein gut Teil seines Verdienstes gab er einer älteren kränklichen Schwester. Das habe ich aber erst späterhin von ihm erfahren. – Ich hatte schon einige dreißig Jahre hinter mir und Ehrenfried mochte nah an die vierzig sein, da starb die Schwester, und er begann nun wohl mit Ernst auch an sich zu denken.«

      Die Alte warf einen liebevollen Blick auf das Bildchen in dem Immortellenkranz. »Sie wissen, Herr Lehrer«, sagte sie dann, »der Herr Senator hat einen Speicher in der kleinen Straße, die nach der Marsch hinuntergeht; dahinter ist ein großer Gemüsegarten, woraus für Winter und Sommer das ganze Haus versorgt wird. Eines Vormittags hatte die Frau Senatorin mich hingeschickt, um etwas Kraut zur Suppe zu schneiden. Es war just am heiligen Pfingsttage – so etwas vergißt sich nicht, Herr Lehrer – man konnte über die niedrigen Stachelbeerzäune weithin auf die Nachbargärten sehen, wo die Leute in ihrem Sonntagszeug zwischen den Beeten umhergingen, denn es lag alles im klarsten Sonnenschein. Der blaue Flieder duftete, der überall an den Steigen wuchs und drunten von der Marsch herauf hörte man die Lerchen singen. Ich hatte am Morgen einen liebreichen Brief von meinem Bruder erhalten, der seit Jahren mit Hilfe des Herrn Senators im Hannöverischen ein Kommissionsgeschäft errichtet hatte; es ging ihm wohl; er hatte Frau und Kind; aber er vergaß auch seine Schwester nicht. Die blaue Frühlingsluft war nicht heiterer als mein Gemüt dazumalen. So in Gedanken ging ich den breiten Steig hinab; als ich aber bei dem großen Holunderbusch um die Ecke biege – denn der Garten liegt hier im Winkel – sehe ich Ehrenfried im braunen Sonntagsrock und mit der langen Pfeife zwischen den Spargelbeeten stehen. Er pflegte an Sonn-und Festtagen wohl ein wenig in der Gärtnerei zu hantieren. ,Es gibt nicht viel, Mamsell Meta’, rief er mir zu, ,die Beete sind zu alt. – Ja, ja, das Alter!’ setzte er wie mit sich selber redend hinzu; dann legte er die Hand mit der Pfeife auf den Rücken und begann wieder mit seinem Messer die Oberfläche des Beetes zu untersuchen.

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