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Gesammelte Werke: Romane + Erzählungen + Gedichte. Eugenie Marlitt
Читать онлайн.Название Gesammelte Werke: Romane + Erzählungen + Gedichte
Год выпуска 0
isbn 9788026841036
Автор произведения Eugenie Marlitt
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
»Da klopfte eines Tages der Pfarrer von Lindhof an das Schloßthor. Das Volk fabelte, sein Beichtkind, der Jost, halte Verkehr mit dem Teufel, und da kam er, um die arme Seele zu retten. Er fand Einlaß und sah das Wesen, um dessen willen der lustige Jäger das lustige Leben im Walde und den Himmel vergessen hatte. Ihre Schönheit und Reinheit rührten ihn; er sprach zu ihr mit mildem Stimme, und ihr in Schmerz erstarrtes Herz öffnete sich seinem Zuspruche. Um ihres Kindes willen ließ sie sich taufen und ließ es geschehen, daß jenes unselige Bündnis durch Priesterwort geheiligt wurde … Als ihre schwere Stunde vorüber war, da legte sie mühsam ihre Lippen auf die Stirn des Kindes und mit diesem Kusse entfloh ihre Seele; sie war frei, frei! noch auf der entseelten Hülle strahlt der Abglanz dieses Triumphes! … Der Unselige sah ihre Wunderaugen brechen; er wand sich in den Schmerzen der Reue und Verzweiflung zu ihren Füßen und flehte vergebens um einen einzigen, letzten Liebesstrahl.
»Der Knabe wurde getauft auf den Namen seines Vaters – auf meinen Namen … Ich sah schaudernd in seine Augen – er hat die meinen – er und ich haben sie gemordet … Mein alter Diener Simon hat den Kleinen fortgetragen; ich kann nicht für ihn leben. Simon sagt – der Pfarrer auch – es werde sich kein Weib entschließen, meinem Kinde die Brust zu reichen, weil ich in den Augen des Volkes ein Verlorener, ein der Hölle Verfallener sei … Das Weib meines Forstwarts Ferber nährt den Kleinen jetzt, ohne zu wissen, von wem er stammt –«
Der Vorleser hielt inne und sah erstaunt über das Papier hinweg. Der Oberförster, der bis dahin, aufmerksam zuhörend, ihm gegenüber an der Wand gelehnt hatte, stand mittels einer raschen Bewegung plötzlich an seiner Seite und faßte krampfhaft seinen Arm. Sein braunes Gesicht war bleich geworden, als ob eine mächtige innere Erschütterung momentan seine Pulse stocken mache. Auch Ferber war mit allen Zeichen höchster Ueberraschung näher gekommen.
»Weiter, weiter!« rief endlich der Oberförster mit fast erstickter Stimme.
»Simon hat ihn auf die Schwelle des Forsthauses gelegt,« las Reinhard, »er hat heute gesehen, daß ihn die Ferberin hegt und pflegt, wie ihr eigenes Mägdlein … Nach den Gesetzen meines Hauses hat er keine Ansprüche an das Erbe derer von Gnadewitz, aber mein mütterliches Erbteil wird ihn vor dem Mangel schützen. Auf dem Rathause zu L. liegen meine Verfügungen, die ihn als meinen Sohn und Erben bestätigen. Mag er als Hans von Gnadewitz ein neues Geschlecht begründen: der Allmächtige möge mitleidige Herzen lenken, daß sie seine Jugend beschützen, ich kann es nicht! …
»Alles, was jene liebliche Hülle in glücklichen Tagen geschmückt hat, es soll sie auch im Tode umgeben, soll mit ihr vermodern. Auf die Kleinodien hat ihr Kind Anspruch, aber alles in mir empört sich, wenn ich denke, daß das, was auf ihrer glänzenden Stirn, ihrem reinen Nacken geruht hat, vielleicht durch treulose Hände auseinander gerissen und entweiht wird; eher soll es hier erblinden und verderben.
»Noch einmal wende ich mich an Dich, den vielleicht der Zufall erst nach Jahrhunderten in dies Heiligtum führt; ehre die Tote und bete für mich!
Jost von Gnadewitz.«
Die beiden Brüder reichten sich wortlos die Hände und traten an den Sarg. In ihren Adern kreiste das Blut jenes Wunderwesens, das einst den wilden, stolzen Junker in Liebesraserei entflammt, jenes Weibes, dessen glühende Seele, nach Freiheit lechzend, jubelnd dem vergötterten Leibe entfloh, der hier im engen zinnernen Schreine zu einem Häufchen Asche zusammensank … Da standen die zwei hohen Gestalten, die Abkömmlinge dessen, der, mit dem Weihkusse der sterbenden Mutter auf der Stirn hinausgetragen wurde in den Wald, auf die niedrige Schwelle des Dieners, während sein hochgeborner Vater verzweifelnd in den Tod ging.
»Sie war unsere Stammmutter,« sagte endlich Ferber tiefbewegt zu Reinhard. »Wir sind die Nachkommen jenes Findlings, dessen Abkunft ein Rätsel geblieben ist bis zu dieser Stunde; denn die Papiere, die das Kind in seine Rechte einsetzen sollten, sind mit dem Rathause zu L. ungelesen verbrannt … Wir müssen die Arbeit für einige Tage unterbrechen,« wandte er sich an den einen der Maurer, der in verzeihlicher Wißbegierde bis zur Mitte der Leiter herabgeklettert war und von diesem hohen Standpunkte aus in sprachloser Verwunderung die Aufklärung einer Geschichte mit anhörte, die noch in den Lindhofer Spinnstuben eine große Rolle spielte.
»Dafür aber sollt Ihr morgen auf dem Lindhofer Gottesacker ein Grab ausmauern,« rief der Oberförster hinauf; »ich werde gleich nachher mit dem Pfarrer Rücksprache nehmen.«
Er trat noch einmal an den Schrank und überblickte die Gewänder, die einst die feinen Glieder des Zigeunerkindes eingehüllt hatten und offenbar mit großer Genauigkeit in der Zusammenstellung aufgehangen waren, wie sie das entzückte Auge des Liebenden an der schönen Lila gesehen hatte. Auf dem Boden des Schrankes standen Schuhe. Der Oberförster nahm ein Paar derselben – sie bedeckten gerade seine breite Hand, es mußten wahre Aschenbrödelfüßchen gewesen sein, die darin gesteckt hatten.
»Die will ich der Else mitnehmen,« sagte er lächelnd und faßte sie behutsam mit Daumen und Zeigefinger. »Die wird sich wundern, daß ihre Urahne gerade solch ein Liliput gewesen ist.«
Ferber hatte unterdes die Mandoline vom Staube gesäubert und schob sie vorsichtig unter den Arm, während Reinhard den Juwelenkasten verschloß und ihn an der im Deckel angebrachten zierlichen Handhabe vom Tische hob. So stiegen die drei Männer die Leiter wieder hinauf. Droben wurden alle Bretter, deren man habhaft werden konnte, zum einstweiligen Schutze gegen Wind und Wetter über die Oeffnung im Plafond gedeckt, und dann trat man den Rückzug an.
Die Damen, die unterdes in großer Spannung am Fuße des Erkers gewartet hatten,