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dem Stuhle hervorguckte. »Das sollte die gute Falkenberg wissen, da wäre es sicher aus mit deinen Schelmenstreichen am Hofe zu L.«

      Bella, die mit hereingekommen war, wollte ersticken vor Lachen und suchte sich erst zu mäßigen, als ihre Mutter, erstaunt über den Lärm, eintrat und ihr das Unschickliche einer so lauten Lustigkeit zu Gemüt führte. Die Baronin drohte Fräulein von Quittelsdorf lächelnd mit dem Finger, als ihr Helene deren tollen Einfall mitgeteilt hatte, und näherte sich darauf Elisabeth.

      »Fräulein von Walde wird Ihnen wohl noch nicht mitgeteilt haben,« sagte sie in ziemlich gnädigem Tone zu dem jungen Mädchen, »daß sich alle Geladenen zu dem Feste morgen um vier Uhr unten im großen Saale einfinden werden? Ich bitte, die Stunde ja nicht zu versäumen. Das Konzert wird jedenfalls gegen sechs Uhr zu Ende sein; ich bemerke Ihnen dies nur, damit Sie die Ihrigen nicht früher zu Hause erwarten.«

      Helene sah bei diesen Worten verlegen auf die Tasten, während Fräulein von Quittelsdorf sich neben die Baronin postierte und Elisabeth neugierig ins Gesicht starrte. So hübsch auch die schwarzen Augen waren, die auf ihr ruhten, so fühlte sich das junge Mädchen doch verletzt durch das unausgesetzte Fixieren. Sie verbeugte sich leicht vor der Baronin mit der Versicherung, daß sie sich pünktlich einfinden werde, und heftete dann einen festen, ernsten Blick auf die hübsche Zudringliche. Die Wirkung war eine blitzschnelle. Fräulein von Quittelsdorf wandte den Kopf weg und drehte sich verlegen und wie ein ungezogenes Kind auf dem Absatze herum. In demselben Augenblicke entdeckte sie Herrn von Hollfeld in der Fensternische.

      »Wie, Hollfeld,« rief sie, »sind Sie es selbst, oder ist’s Ihr Geist? Was thun Sie hier?«

      »Ich höre zu, wie Sie sehen.«

      »Sie hören zu? … Ha, ha, ha! … Und genießen Unverdaulichkeiten wie Mozart und Beethoven? … Wissen Sie nicht mehr, daß Sie mir noch vor vier Wochen beim letzten Hofkonzert versichert haben, Sie litten jedesmal nach dem Genusse klassischer Musik an verdorbenem Magen?«

      Sie hielt sich die Seiten vor Lachen.

      »Ach, lassen Sie jetzt die Possen, beste Cornelie,« sagte die Baronin, »und helfen Sie mir lieber mit Ihrem erfinderischen Geiste beim Festprogramm … Und auch du, lieber Emil, würdest mir einen großen Gefallen thun, wenn du mitkommen wolltest … Du weißt ja, ich bin jetzt in die traurige Notwendigkeit versetzt, eine männliche Stütze neben mir haben zu müssen, wenn meine Anordnungen respektiert werden sollen.«

      Hollfeld erhob sich mit sichtlichem Widerstreben.

      »Nun, dann nehmt mich auch mit! … Wollt ihr so grausam sein, mich die ganze, lange Zeit bis zum Thee allein zu lassen?« rief Helene vorwurfsvoll und stand auf. Sie sah verstimmt aus, und es kam Elisabeth zum erstenmal so vor, als hafte ihr Blick neidisch auf Corneliens flinken Füßen, die ohne weiteres Hollfelds Arm genommen hatte und zur Thür hinaushüpfte. Elisabeth machte den Flügel zu und wurde eiligst entlassen.

      In den Gängen des Schlosses, die das junge Mädchen passieren mußte, herrschte ein reges Leben. Mehrere Bediente schleppten Körbe voll Silberzeug und Porzellan in ein Zimmer neben dem großen Saale. Aus den Küchenfenstern im Souterrain quollen Duftströme aller möglichen gebackenen und gebratenen guten Dinge, und in einem offenstehenden Domestikenzimmer lagen ganze Berge grünen Laubwerks und bereits fertiger Guirlanden und Kränze.

      Und er, zu dessen Verherrlichung sich aller Hände heute rührten und regten, er ritt einsam draußen, mit umdüsterter Seele auf Mittel und Wege sinnend, wie er dem fried-und freudelosen Leben in seinem Hause entfliehen könne!

      Elisabeth ging hinüber in das Dorf, um einen Auftrag ihres Vaters auszurichten. Vor einigen Tagen nämlich hatte ein heftiger nächtlicher Gewittersturm dem baufälligen Erker im Garten wieder dergestalt zugesetzt, daß man fürchten mußte, er werde bei der leisesten Erschütterung zusammenstürzen und die ihm naheliegenden, kaum erst mit so großer Mühe hergestellten Gartenanlagen mit seinen Trümmern zerstören. Zwei Lindhofer Maurer hatten endlich Ferber versprochen, die Ruine nächsten Montag abzutragen; da ihnen aber in bezug auf das Worthalten nicht zu trauen war, wie der Oberförster nach gemachter Erfahrung versicherte, so wollte Elisabeth sie nochmals an ihre Zusage erinnern und ihnen die Notwendigkeit ihres Kommens vorstellen.

      Das Resultat ihrer Wanderung war ein befriedigendes. Einer der Arbeiter hatte ihr sogar bei allem, was ihm heilig und teuer, geschworen, zu kommen, und nun schritt sie durch den stillen, einsamen Wald nach Hause. Ungefähr in der Mitte des Pfades, der vom Dorfe nach dem Forsthause lief, bahnte sich ein schmaler, nach der Burg Gnadeck aufwärts führender Weg ab. Er wurde selten betreten und wäre deshalb für ein fremdes Auge gar nicht sichtbar gewesen, denn an vielen Stellen überwucherte ihn das Gestrüpp, und das modernde Laub lag so locker aufgeschichtet zwischen den knorrigen Baumwurzeln, als sei es noch nie von der Sohle eines Menschen berührt worden. Elisabeth liebte diesen Pfad und wählte auch jetzt ihn zum Rückwege.

      Noch nie war ihr ein menschliches Wesen begegnet; heute aber war sie noch nicht weit in die grüne Dämmerung vorgedrungen, als sie die Bemerkung machte, daß ungefähr zwanzig Schritt vor ihr, und zwar rechts, drunten am Abhange, neben dem Stamme einer mächtigen Buche, etwas wie ein Arm sich langsam vorwärts strecke und dann wieder zurücksinke. Sie konnte diese Bewegung um so deutlicher erkennen, als an jener Stelle die Bäume weiter auseinander traten und eine kleine Lichtung begrenzten, deren grüner heller Rasenfleck wie eine Oase mitten im Waldesdüster lag. Elisabeth schritt unhörbar und langsam weiter und kam dadurch immer näher in das Bereich jener Buche, bis sie plötzlich erschrocken stehen blieb.

      An dem Baume lehnte ein Mann. Er kehrte ihr den Rücken zu; sein Haupt war unbedeckt und zeigte einen Wust ungekämmter, struppiger Haare. Einen Augenblick stand er unbeweglich, als lausche er auf irgend ein Geräusch; dann trat er einen Schritt vor, hob den ausgestreckten Arm in die Höhe, richtete die Mündung einer Pistole hinaus nach der Waldblöße, als wolle er auf einen gegenüberstehenden Baum schießen, und ließ nach einer Weile den Arm niedersinken.

      »Er übt sich,« dachte Elisabeth, aber sie dachte es nur, um sich zu beruhigen, denn eine unbeschreibliche Angst hatte sich ihrer plötzlich bemächtigt; sie wußte nicht, sollte sie vor-oder rückwärts laufen, um von dem Unheimlichen nicht bemerkt zu werden, und blieb deshalb gerade wie festgewurzelt stehen.

      Da schlug Pferdegetrappel an ihr Ohr. Der Mann drüben richtete sich wie elektrisiert in die Höhe. Wenige Augenblicke darauf erschien jenseits der Lichtung ein Reiter. Langsam schritt das Pferd über den weichen Wiesenboden – sein Herr hatte, in Gedanken verloren, den Zügel fallen lassen … Der Mann mit der Pistole trat rasch zwei Schritt vor, hob den Arm in der Richtung des Reiters und wandte dabei den Kopf etwas seitwärts … Elisabeth erkannte sofort in den todblassen, von Haß und Grimm entstellten Zügen den ehemaligen Verwalter Linke, und jener dort, den sein Pferd immer näher vor die Mündung der todbringenden Waffe trug, war Herr von Walde … In diesem Augenblicke ging eine merkwürdige Verwandlung in Elisabeth vor. Hatte sie noch eben mädchenhaft ängstlich vor der Begegnung mit jenem unheimlichen Menschen gezittert, so überkam sie jetzt ein wunderbarer Mut, eine unbegreifliche Ruhe und Beherrschung ihrer selbst in dem Gedanken, daß sie berufen sei, zu retten … Lautlos glitt sie vorwärts und stand plötzlich, wie aus der Erde gewachsen, neben Linke, der das Auge gespannt auf sein Opfer richtend, ihre Nähe nicht ahnte … Mit aller Kraft, deren sie fähig, packte sie seinen Vorderarm und riß ihn zurück. Die Pistole entlud sich mit einem lauten Knalle und die Kugel schlug zischend seitwärts in einen Baum, während der Elende entsetzt zur Erde taumelte. Zu gleicher Zeit scholl ein lauter weiblicher Hilferuf durch den Wald … Der Mörder richtete sich auf und floh in das Gestrüpp … Drüben bäumte sich das Pferd im ersten Schrecken, dann aber flog es, von seinem Herrn angetrieben, über die Wiese und stand mit einigen Sätzen nahe bei Elisabeth, die sich totenbleich an der Buche festhielt, denn nun, nachdem die Gefahr vorüber, machte die weibliche Natur ihr Recht geltend. Das junge Mädchen zitterte am ganzen Körper, aber ein glückliches Lächeln verklärte ihr ganzes Gesicht, als sie Herrn von Walde gerettet vor sich sah.

      Er sprang bei ihrem Erblicken bestürzt vom Pferde; sie aber; die eben noch eine so außerordentliche Selbstbeherrschung an den Tag gelegt, stieß einen lauten Schrei aus und drehte sich tödlich erschrocken um, als sich von rückwärts

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