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Gesammelte Werke: Romane + Erzählungen + Gedichte. Eugenie Marlitt
Читать онлайн.Название Gesammelte Werke: Romane + Erzählungen + Gedichte
Год выпуска 0
isbn 9788026841036
Автор произведения Eugenie Marlitt
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
»Nun,« sagte er, »ich wünschte nur, wir könnten auf der Stelle das Fräulein um ihre heutigen Gesinnungen gegen den Doktor befragen, da solltest du dein blaues Wunder hören … Wie sollte auch in solch einem gebrechlichen Gehäuse eine starke Seele stecken; mit der wird das herrschsüchtige Weib bald fertig, und jeder andere Zügel fehlt, denn der Himmel ist hoch und der Zar ist weit, sagen die Russen … Gelt, Sabine, wir haben schon gar wunderliche Dinge erlebt, seit die Frau Baronin das Regiment führt?«
»Ach, ja wohl, Herr Oberförster,« entgegnen die Alte, die eben ein neues Gericht auf den Tisch setzte, »wenn ich nur an die arme Schneider denke … Das ist eine Taglöhnerswitwe aus Dorf Lindhof,« wandte sie sich an die anderen, »sie hat immer rechtschaffen gearbeitet, um sich durchzubringen, und hat ihr auch niemand was Unrechtes nachsagen können; aber sie muß vier kleine Kinder ernähren, das arme Weib, und lebt nur von der Hand in den Mund … Und da ist’s ihr einmal im vorigen Herbst recht schlecht gegangen; sie hat nicht gewußt, wie sie die Kinder satt machen soll, nu, da hat sie sich etwas zu schulden kommen lassen, was freilich nicht recht war – sie hat von einem herrschaftlichen Acker eine Schürze voll Kartoffeln mitgenommen. Der Verwalter Linke aber hat hinter einem Busche gestanden; das sehen, vorspringen und auf die Frau losschlagen ist eins gewesen. Ja, wenn er’s bei einem kleinen Denkzettel hätte bewenden lassen, da wollte ich nichts sagen; aber er hat gar nicht wieder aufgehört und hat sie sogar wütend mit dem Fuße getreten … Ich hatte dazumal gerade etwas in Lindhof zu besorgen, und wie ich da unter den Kirschbäumen beim Dorfe hingehe, sehe ich einen Menschen an der Erde liegen, es war die Schneider; sie hatte ein erschreckliches Blutbrechen, konnte kein Glied mehr rühren, und keine Menschenseele war bei ihr. Da hab’ ich Leute gerufen, und die haben mir geholfen, sie nach Hause zu bringen. Der Herr Oberförster war zwar damals verreist, aber ich habe mir gedacht, er würde mir’s auch nicht verwehren, wenn er da wäre, und habe das arme Weib verpflegt, soviel in meinen Kräften stand … Die Leute im Dorfe waren wütend über den Verwalter, aber was konnten sie denn machen? Es wurde zwar gesagt, die Sache käme vor Gericht; ja, da kann man warten … Der Linke ist einer von den Frommen; er ist die rechte Hand bei der Baronin, verdreht die Augen und thut alles im Namen des Herrn. Es durfte doch um keinen Preis unter die Leute kommen, daß so ein Frommer mitunter auch recht unmenschlich sein könne, und da ist die Frau Baronin alle Tage in die Stadt gefahren und hat sich sehr herabgelassen; kurz und gut, die Geschichte ist vertuscht worden, und die Schneider, die noch immer nicht ordentlich fort kann, hat ihre Schmerzen leiden müssen, und ist ihr und ihren Kindern weder ein Trank noch ein Bissen Brot vom Schlosse aus gereicht worden während ihrer schweren Krankheit … Ja, der Verwalter und die alte Kammerjungfer bei der Baronin, die treiben’s arg zu Lindhof. Die sitzen in der Bibelstunde und in der Schloßkirche und schnüffeln und merken sich fleißig, wer fehlt, und das hat schon manchen ordentlichen Menschen um die Arbeit im Schlosse gebracht.«
»Na, jetzt wollen wir uns aber nicht weiter ärgern,« sagte der Oberförster. »Mir wird jeder Bissen im Munde bitter, wenn ich an diese Geschichten denke, und unser schöner Sonntag. auf den ich mich die ganze Woche freue, soll keinen anderen Schatten haben, als den sich die schuldlosen, weißen Wölkchen da droben erlauben.«
Bald nach dem Essen rollte die kleine Equipage vor das Haus. Der Oberförster stieg hinauf, und wie ein Blitz war Elisabeth an seiner Seite. Indem sie den Zurückbleibenden noch einmal grüßend zunickte, flog ihr Blick über das Haus; aber sie erschrak bis ins innerste Herz vor den Augen, die aus dem oberen Stockwerke auf sie niederstarrten. Freilich verschwand der Kopf gleich wieder, allein Elisabeth hatte die stumme Bertha erkannt, hatte gesehen, daß der Blick voll Haß und Ingrimm ihr gegolten, obgleich sie sich die Ursache dieser Feindseligkeit nicht denken konnte. Bertha hatte bisher in der strengsten Zurückgezogenheit der Familie Ferber gegenüber beharrt; nie kam sie zum Vorschein, so oft auch Elisabeth im Forsthause war. Sie aß allein auf ihrem Zimmer, seit sie wußte, daß der Onkel allsonntäglich Gäste habe, und er ließ sie auch gewähren. Es mochte ihm ganz recht sein, daß die beiden Mädchen gar nicht zusammenkamen.
Frau Ferber hatte auch einmal den Versuch gemacht, sich dem jungen Mädchen zu nähern. Ihrer echt weiblichen Anschauungsweise gemäß hielt sie es für unmöglich, daß Trotz und Böswilligkeit die Triebfedern zu Berthas sonderbarem Benehmen sein könnten. Sie vermutete eine tiefere innere Niedergeschlagenheit, irgend einen Kummer, der sie gegen ihre Umgebung gleichgültig. oder auch bei ihrem heftigen Naturell wohl gar so gereizt mache, daß sie lieber das Sprechen vermeide, um keinen Konflikt herbeizuführen. Sanftes Zureden, ein freundliches Entgegenkommen, hatte sie gehofft, werde das Siegel auf Berthas Lippen lösen; allein es war ihr nicht besser gegangen, als Elisabeth, ja das Benehmen des Mädchens hatte sie dermaßen empört, daß sie ihrer Tochter jeden ferneren Annäherungsversuch streng untersagte. –
Nach kurzer Fahrt war das Ziel erreicht.
L. war eine echte Kleinstadt und verleugnete auch dies bescheidene Gepräge durchaus nicht, obgleich vom Erscheinen der ersten Primel an bis zum Sinken der letzten herbstlichen Blätter der Hof hier residierte, und die Hauptbewohnerschaft großen Eifer und Fleiß darauf verwendete, in ihrem geselligen Leben, wie auch hinsichtlich der Moden den großstädtischen Ton zu erreichen. Allein die rasselnden Leiterwagen samt Zubehör einer sehr schwunghaft betriebenen Oekonomie ließen sich durch das Rauschen selbst der umfangreichsten, elegantesten Krinolinen nicht übertönen. Das ehrliche Hühnervolk, das die weit offenen Einfahrten der Häuser in vollkommener Sicherheit verließ, um zwischen den unebenen Pflastersteinen und auf den grünen Rasenstreifen längs der Häuserseiten sein tägliches Brot zu suchen, wurde so wenig zu stolzen Pfauen, wie Nachbars Enten, die freudig auf dem quer die Stadt durchschneidenden kleinen Bache hinsegelten, auf Schwanenhoheit Anspruch machten.
Die Lage des Städtchens war unbestritten eine reizende. Inmitten eines nicht sehr weiten Thales, an den Fuß einer Anhöhe geschmiegt, deren Gipfel das imposante fürstliche Schloß krönte, lag es tief gebettet im dunklen Grün schöner, alter Lindenalleen und im Frühling umwogt von einem wahren Blütenmeere zahlloser Obstgärten.
Der Oberförster führte Elisabeth in das Haus eines ihm befreundeten Assessors. Sie sollte dort auf ihn warten, bis er seine Geschäfte besorgt haben würde. Wenn auch herzlich bewillkommnet von der Dame des Hauses, hätte das junge Mädchen doch am liebsten sofort umkehren und dem die Treppe hinabeilenden Onkel folgen mögen; denn zu ihrem Verdrusse geriet sie mitten in einen großen Damenzirkel. Die Assessorin teilte ihr in wenigen flüchtigen Worten mit, daß zur Feier des Geburtstages ihres Mannes lebende Bilder aus der Mythologie gestellt werden sollten, zu welchem Zwecke sich das darstellende weibliche Personal bereits eingefunden habe. Am Kaffeetische eines hübsch eingerichteten Zimmers plauderten mit großer Lebhaftigkeit acht bis zehn Damen, die sämtlich schon im mythologischen Kostüme steckten und jetzt mit ihren Augen der neuen Erscheinung bis in die geheimsten Falten ihres einfachen Anzugs zu schlüpfen versuchten.
Sämtliche Göttinnen ohne Ausnahme hatten sich dem Modezepter der üppigen Kaiserin von Frankreich willig unterworfen und ließen ihre weißen Gewänder über die Krinoline herabfließen; denn – meinte die Ceres, eine ziemlich kompakte Blondine, auf deren geröteter Stirn ein ganzer Erntesegen schwankte – man sehe ja zum Skandal aus, und es sei auch rein unmöglich gewesen, ohne diesen Halt die Aehren und Klatschrosenbüschel auf ihrem Kleide zu arrangieren; – wie Frau Ceres zu den Zeiten ihres Glanzes sich aus dieser Verlegenheit geholfen haben mochte, das war nach dieser Erklärung ein interessantes Problem.
Vielleicht war die Abendbeleuchtung so wohlwollend, über das oft sehr merkwürdige Arrangement der einzelnen Toiletten ein milderndes Licht zu gießen, jetzt aber beleuchtete der helle Sonnenstrahl unerbittlich und mit grauenhafter Wahrheit jedes aufgeklebte Goldpapier, jede Atlas heuchelnde Kattunschleife und jeden langen Heftstich der improvisierten Tunikas. Auf dem Gürtel der Venus glänzten einige steinbesetzte Rokokoschuhschnallen, und der schlecht befestigte silberne Halbmond auf Dianas Scheitel zeigte bei jeder Kopfbewegung eine löschpapierene Kehrseite.
Die Frau des Hauses ging geschäftig ab und zu und schob hier und da einige Worte in die Unterhaltung der Damen.
»Da haben wir’s,« sagte sie eintretend, nachdem sie seit geraumer Zeit das Zimmer verlassen hatte. »Die