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erstarrte Glieder. Ungestüm machte sie sich aus den sie umfangenden Armen frei.

      »Nichts – gar nichts – ich war nur erschreckt. Wo sind die anderen?« Sie hastete, von ihm fortzukommen.

      Ja, wo waren die anderen?

      Die Fackeln hatten sich entfernt, waren in andere Gänge eingebogen. Man hatte das Zurückbleiben der beiden nicht bemerkt. Kein Schimmer mehr von den rötlich lodernden Fackeln – schwarze, undurchdringliche Nacht ringsum.

      »Um Gottes willen – wir haben die anderen verloren!« Doktors sonst so tapferem Nesthäkchen schlug das Herz bis in den Hals hinein.

      »Sie werden am Ausgang unser Fehlen feststellen und zurückkommen, uns zu suchen.« Wunderbar beruhigend wirkte Rudolf Hartensteins Stimme.

      »Und wenn sie uns nicht finden, dann sind wir lebendig hier unten begraben.« Alles, was Annemarie jemals von den römischen Katakomben an Schaurigem gehört hatte, erwachte in diesen Schreckensmomenten.

      Rudolf entzündete ein Streichholz. Es flammte auf, beleuchtete den grausigen Ort nur noch grausiger und verlöschte. »Wir dürfen uns nit von hier fortrühren, jeder Schritt kann uns wieder tiefer in das Labyrinth hineinführen. Wir müssen halt abwarten. Hallo –!« Dem lauten Ruf antwortete vielstimmiges Echo aus dem Felsen.

      Sekunden wurden zu Stunden.

      »Annemarie, fürchten’s sich?«

      »Ja«, klang es gepreßt.

      »Geben’s mir Ihre Hand, Annemarie.« Eine kleine eiskalte Hand schmiegte sich in Rudolfs warme Finger. »Wenn wir zwei beieinand’ sind, ist’s doch nit so arg schlimm – gelt, Annemarie?«

      »Ich bin schuld! Durch meine Unbesonnenheit müssen Sie Ihr Leben einbüßen!« Doktors lustiges Nesthäkchen weinte.

      »Zum Betrauern hat’s halt noch lang Zeit, denk’ ich. Vorläufig leben wir alle beid’, leben und haben uns lieb. Gelt, Annemarie, hast mich halt auch ein bißle gern?«

      Kein Wort brachte Doktors keckes Nesthäkchen heraus. Kein armseliges Wörtchen. Nur mit dem Kopf zu nicken vermochte es. Aber das konnte man in der Finsternis nicht sehen.

      Da fragte Rudolf nicht mehr lange. Er nahm sich einfach die Antwort von Nesthäkchens roten Lippen.

      War es noch Finsternis ringsum? War man noch an schaurig verlassenem Ort? Blendende Helle schien plötzlich über Doktors Nesthäkchen ausgegossen zu sein. Statt Moderluft glaubte es Rosenduft zu verspüren.

      »Mein herzlieb’s Weible wirst, gelt?« klang es innig an Annemaries Ohr.

      Noch ehe sie antworten konnte – Stimmen – – »Hallo – hallo! – Neschthäkche – wo seid’s?« Die Gefährten kamen zurück. Sie waren dem Leben wiedergegeben.

      »Hier – hierher – – –!« Mit vereinten Kräften riefen die beiden.

      Lichter durchstachen die schwarze Nacht. Fackeln tauchten auf.

      »Hierher – – –!«

      »Also da seid’s – heil und lebendig – ja, Neschthäkche, für so a Schwabestreich, da tue mer halt doch danke!« Krabbe, eine Pechfackel schwingend, war als erster am Platz.

      »Gottlob, Annemie, daß euch nichts geschehen ist.« In grenzenloser Besorgnis kam Hans hinterhergeeilt. Ola hing sich an den Hals des Bruders, als ob er vom Tode auferstanden sei.

      Ilse weinte, Marlene umarmte Annemarie schweigend. Es war eine allgemeine Aufregung.

      Die Vermißten in der Mitte, so transportierte man sie ans Tageslicht zurück, damit sie nicht wieder abhanden kommen konnten.

      »I hab’ nit anders denkt, Neschthäkche, als daß d’ heut halt zum zweitenmal eine Rutschpartie in den Bergsee ‘nunter g’macht hascht.« Neumanns Karpfenaugen sahen noch melancholischer drein als sonst.

      »War auch auf dem besten Wege dazu, ‘s Nesthäkchen. Aber ich hab’s halt wieder ‘nausgeangelt«, lachte Rudolf.

      Nein, wie konnte der nur lachen, wo er soeben noch so gerade dem Tode entgangen war, dachte Ilse Hermann.

      Annemarie war merkwürdig still und nachdenklich. In vollen Zügen atmete sie die reine Luft, die ihr draußen entgegenströmte. Es goß mit Mollen. Schwerer Gewitterregen brauste aus der Himmelsdusche hernieder.

      »Mer müsse halt noch warte, bis es nit mehr so arg schütte tut«, schlug die Viehmuse vor.

      »Gehn mer noch a bißle in die Höhle ‘nein, hier draußen ischt’s arg ung’mütlich«, stimmte Neumann bei.

      »Nein, nicht in die Höhle – keine zehn Pferde kriegen mich noch mal in das grausige Loch hinunter«, protestierte Ilse.

      »Gar so grausig fand ich’s halt gar nit.« Rudolf machte ein scheinheiliges Gesicht, »‘s war doch ganz nett, gelt, Fräulein Annemarie?«

      »Gräßlich war’s!« Aus tiefstem Herzen entrang es sich Annemarie. Jetzt, bei hellem Tageslicht, war die Glückseligkeit, die sie in Rudolfs Armen durchströmt, plötzlich gewichen. Wie eine Bergeslast legte es sich ihr auf die Seele – grenzenlose Beschämung. Sah man es ihr denn nicht an? Sie steckte den Kopf unter dem schützenden Felsdach hervor, damit das Himmelsnaß ihr das heiße Gesicht kühlen, ihre Lippen wieder abwaschen sollte.

      »Annemie, nun hör’ aber gefälligst auf mit deinen Schwabenstreichen!« Der Bruder zog die Durchnäßte aus der Regentraufe zurück. »Sonst fahre ich mit dem nächsten Zuge direkt nach Ulm, um dich wenigstens noch heil bei unsern alten Herrschaften abzuliefern. Die Verantwortung ist mir zu groß.«

      Ach, wenn Hänschen erst gewußt hätte! Und die Freundinnen! Vor Marlene schämte sie sich halbtot. Und was würde wohl Fräulein Ola dazu sagen? Die ihr erst gestern mitgeteilt hatte, daß ihr Bruder nicht ans Heiraten denken dürfe, daß sich die Geschwister von Kindheit an ein gemeinsames Heim ersehnten, daß sie es sich sobald wie möglich gründen wollten. Ganz treulos hatte sie gehandelt.

      Auch gegen ihren Vater. Hatte sie ihm nicht fest versprochen, seine Assistentin zu werden? Hatte er ihr nicht nur im Hinblick darauf die Erlaubnis zum Studium gegeben? Und nun wollte sie so rasch fahnenflüchtig werden? Nein, nein, das durfte nicht sein!

      Sie mußten einander zu vergessen suchen, wenn es auch noch so schwer fallen würde. Sie mußten sich nach Möglichkeit aus dem Wege gehen.

      Diese Vornahme wurde Annemarie dadurch erleichtert, daß Hans, als das Regengepladder ein wenig nachließ, ihren Arm nahm, um ihr bei dem recht glitscherigen Abstieg über die blankgewaschenen Steine behilflich zu sein.

      »Hunde, die entlaufen, werden an die Leine genommen«, scherzte er.

      Da Annemarie am Arm des Bruders über nasse Baumstämme und ausgewaschene Wege hinabturnte, blieb Rudolf nichts anderes übrig, als ebenfalls ritterlich den Arm seiner Schwester zu nehmen. Insgeheim aber hätten die beiden Kavaliere ganz gern ihre Damen ausgetauscht. Viehmuse mit Ilse, Neumann und Marlene bildeten den feuchtfröhlichen Schluß. So langte man, immerhin noch genügend aufgeweicht, drunten am Bahnhof an.

      Das Zügle war natürlich längst über alle Berge.

      11. Kapitel

       Auf dem Ulmer Münster

       Inhaltsverzeichnis

      Gewitterregen hält nicht lange an, bald scheint die Sonne wieder. Die durch die ungemütliche Feuchtigkeit und den versäumten Zug etwas niedergedrückte Stimmung des Schwäbischen Wanderbundes war noch von kürzerer Dauer. Als Annemarie entsetzt feststellte, daß ein Teil ihres kostbaren Mehls vom Regen fortgeschwemmt worden sei – wie ein weißer Bach floß es von ihrem Rucksack den geblümten Dirndlrock hinab –, da war die heitere Laune wieder hergestellt.

      »Das reine Schlaraffenland, Neschthäkche. Die Mehlsupp’

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