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spaßig fand Annemarie es, daß die ihnen überlieferten Lumpen manchmal recht unappetitlich waren. Zwei wollene Pferdedecken schanzte sie geschickt Klaus zu, weil ihr Näschen dafür zu vornehm war. Das Riechorgan von Klaus war weniger empfindlich.

      »So, nun kommt das letzte Haus, dann wird wieder ausgetauscht«, Klaus zog Annemarie mit sich.

      »Hier werden wir feine Sachen kriegen, das sind sehr vornehme Leute«, flüsterte Nesthäkchen, ehrfurchtsvoll auf das Türschild weisend. »Von Hohenfeld, königlicher Regierungsrat«, las Klaus.

      Das Hausmädchen öffnete und brachte den Kindern die Wollspende in die blumengeschmückte Diele hinaus.

      »Ist es hier aber nobel«, Annemarie sah sich neugierig um.

      Da gewahrte sie, aus einer Türspalte lugend, zwei große, tiefblaue Kinderaugen. Nanu – Annemaries Herz begann plötzlich zu hämmern – die kannte sie doch! Wie kam denn bloß die »Polnische« hier in die feine Wohnung?

      Auch Vera hatte die Schulkameradin trotz ihres merkwürdigen Aussehens jetzt erkannt. Ein Glücksschimmer flog über das seine, blasse Gesicht des kleinen Mädchens, ungestüm riß es die Tür auf und eilte hinaus.

      »Annemarrie« – Vera konnte sich das schnarrende Rrr nicht abgewöhnen – »kommst du mirr besuchen?« beide Hände streckte sie in ihrer Freude dem Mädchen entgegen, das sie stets verächtlich behandelt, das die Schuld daran trug, daß sie so vereinsamt in der Schule war.

      In peinlichster Verlegenheit stand Annemarie vor ihr. Kein Wort brachte das sonst so kecke Mädel über die Lippen.

      Da erschien Veras Tante, Frau von Hohenfeld, in der Tür. Klaus zog die Mütze, und Annemarie, eingedenk der Weisung des Bruders, tat es ihm höflich nach. Verwundert blickte die Dame aus den hübschen Jungen, dem zwei goldblonde Mädchenzöpfchen auf dem Kopf wuchsen.

      »Ihr wollt die Wollsachen holen, Kinder, ich habe meinen ganzen Mottenschrank geräubert, na, nehmt nur alles mit für unsere braven Krieger«, damit händigte sie ihnen die Sachen ein.

      Inzwischen flüsterte Vera der Tante in heller Aufregung zu: »Tante – Tante – das ist Annemarie Braun aus meiner Klasse.«

      »Ei, sieh mal an, eine kleine Mitschülerin! Unsere Vera wird gewiß gern mit dir spielen wollen. Wenn du Zeit hast, bleibe noch ein bißchen bei uns, mein Kind«, wandte sich Frau Regierungsrat jetzt freundlich an die puterrote Annemarie.

      Die wünschte sich an das äußerste Ende der Welt.

      Da aber dieser Wunsch nicht in Erfüllung ging, mußte sie Antwort geben.

      »Ich kann – hatschi –«, da machte sich der Mottenschrank, in dem die Wollsachen gelegen, bemerkbar – »ich kann wirklich nicht – hatschi, hatschi – danke vielmals, aber die Großmama wartet – hatschi«, unter Niesen brachte die Kleine es mühsam hervor.

      »Dann du kommen mirr besuchen bald?« Vera sah sie flehentlich aus ihren tiefblauen Augen an. »Ja, werden du kommen?«

      »Hatschi – hatschi« – das war die einzige Antwort, die Vera auf ihre Bitte wurde.

      Annemarie zog wieder die Mütze vor der Dame, machte zum Überfluß in ihrer Verwirrung einen Knicks noch obendrein und hastete, so schnell wie möglich heraus zu kommen. Denn lügen mochte sie nicht. Und daß sie Vera jemals besuchen würde, das war doch ganz ausgeschlossen. Von der Treppe her hörte das mit enttäuschten Augen ihr nachsehende schwarzlockige Mädchen als letzten Gruß noch Annemaries »Hatschi«.

      »Das ist deine ›Polnische‹? Alle Wetter, die wohnt ja mächtig nobel«, machte Klaus, sobald sie ein Stockwerk tiefer waren, als erster seinem Herzen Lust. »Wie ’ne Spionin sieht die gar nicht aus! Und wenn ihr Onkel königlicher Regierungsrat ist, kann man sich das auch eigentlich nicht von ihr denken.«

      »Bitte sehr, du warst der erste, der gesagt hat, sie ist bestimmt eine Spionin!« verteidigte sich Nesthäkchen.

      »Na ja – ist ja auch möglich«, ganz geheilt war Klaus noch immer nicht von seiner Spionenkrankheit. »Gerade wenn ihr Onkel bei der Regierung ist, hat sie ja die beste Gelegenheit zum Spionieren.«

      »Die kann lange warten, bis ich sie besuche, und wenn sie zehnmal so fein wohnt. Paß mal auf, wie die Polnische die gute Gelegenheit wahrnehmen wird, sich zu rächen und mich in der Klasse zu verklatschen, daß ich in Hosen rumgelaufen bin. Durch die dumme Vera habe ich jetzt gar keine Lust mehr, noch weiter mit zu sammeln. Ich werde wohl auch nach Hause müssen, es wird bald vier sein«, meinte Annemarie, auf die Straße tretend.

      »Ja, Pustekohl! Morgen früh ist’s wieder vier! Jetzt schlägt es gerade fünf«, Klaus wies auf die Turmuhr, von der fünf Schläge durch die Luft zitterten.

      »Allmächtige Schokolade – da wartet die Großmama schon – ich muß schleunigst nach Haus – auf Wiedersehen!«

      »Auf Wiedersehen, Karlchen!« erklang es dreistimmig hinter dem davonjagenden Nesthäkchen her.

      Annemarie hätte nicht zu hetzen brauchen. Obgleich es schon fünf Uhr war, hatte Großmama noch gar nicht mal gemerkt, daß Annemarie fehlte. Sie dachte nicht daran, nach dem Kaffee zu klingeln, trotzdem es längst Kaffeezeit war.

      Unbeweglich saß die alte Dame und starrte auf das vor kurzem angekommene Schreiben in ihrer Hand. Es stammte von ihrer Tochter aus England.

      »Lieber Gott, wie sage ich das bloß den Kindern!« Großmama seufzte, als läge ihr eine Zentnerlast auf der Brust.

      Da hörte sie auch schon die helle Stimme Nesthäkchens durch das Haus schallen, und wenige Minuten später trat Annemarie, wieder in Mädchenkleidern, ins Zimmer.

      »Bitte, sei nicht böse, Großmuttchen«, begann sie, ein wenig scheu auf die Großmama blickend, die gar nicht von ihr Notiz zu nehmen schien. War sie so ärgerlich über ihr Ausbleiben?

      Da gewahrte Annemarie plötzlich den Brief in Großmamas Hand.

      »Ein Brief von Mutti? Hurra! Wann kommt Mutti – kommt sie bald?« erwartungsvoll hingen der Kleinen Augen an dem Brief.

      Wie schwer war es, das arme Kind zu enttäuschen!

      »Mutti wird sobald nicht kommen können«, begann die Großmama, nach Worten suchend. Selbst das unerfahrene Nesthäkchen merkte, daß da was nicht in Ordnung war. »Sie ist wegen einer unvorsichtigen Äußerung festgenommen worden.« Nun war es heraus.

      Nesthäkchens Blauaugen sahen die Großmama ungläubig an.

      »Fest – festgenommen – wer hat meine Mutti festgenommen – weshalb denn bloß?« Annemaries noch eben so freudig pochendes junges Herz schien plötzlich vor Schreck still zu stehen.

      »Die Engländer, Herzchen – Mutti hat sich über den Erfolg unserer Unterseeboote begeistert geäußert. Das ist von irgend jemand gehört worden, man hat sie angezeigt und als Spionin verhaftet – –«

      »Als Spionin – meine Mutti als Spionin!« Nesthäkchen schrie es mit ungestümer Heftigkeit. Und dann brach es in eine Flut von Tränen aus.

      »Still, Herzchen, ruhig – reg’ dich nicht so auf, mein Liebling«, tröstete Großmama mit matter Stimme, trotzdem sie selbst des Zuspruchs bedurfte. »Es muß sich ja herausstellen, daß es ein grundloser Verdacht ist, dann wird sie wieder frei gelassen. Weine doch bloß nicht so, mein Kleines«, dabei rollten Großmama selbst die Tränen aus den alten Augen.

      Aber Annemarie hörte nicht auf zu schluchzen.

      Ihre über alles geliebte Mutti im Gefängnis – als Spionin … ein Gedanke durchzuckte plötzlich Annemarie. Wie … war sie etwa selbst schuld daran, wollte der liebe Gott sie dafür strafen, daß sie Vera als Spionin verdächtigt hatte … Wollte er ihr zeigen, wie weh solcher Verdacht tat … Immer heißer flossen Nesthäkchens Tränen.

      Als Klaus nach Hause kam und nichtsahnend durch die Wohnung schmetterte: »Karlchen, wo steckst du?« da war es Annemarie zumute, als seien Wochen vergangen, seit sie als »Karlchen«

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