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dem einen recht ist, ist dem andern billig. Natürlich wollten nun auch die Jungen Gold für die Schulsammlung. Und den Rest – den brachte die Großmama dann eigenhändig zur Reichsbank. Nie hätte sie gedacht, daß sie das gehütete Gold aus freien Stücken abliefern würde. Aber die kluge und vaterlandsliebende Frau hatte inzwischen erkannt, daß es notwendig war, das Wohl des einzelnen dem Wohl der Gesamtheit hintenan zu setzen. »Ja, ja, die Welt ist jetzt umgekehrt, die Alten lernen von den Jungen«, sagte sie halb im Ernst, halb im Scherz zu Tante Albertinchen, die sie oft besuchte.

      Aber als die drei Kinder eines Tages gar einen Sturmangriff auf ihren Haushalt unternahmen, ging ihr das denn doch über den Spaß. Auf ihre Kupferkessel, ihre schönen, großen, in deren Glanz sie sich jeden Sonnabend, wenn sie geputzt waren, spiegelte, hatten sie es abgesehen. Die sollte die arme Großmama herausrücken.

      »Wir kriegen einen eisernen Ring mit Inschrift dafür, nicht wahr, du gibst mir ein paar von den ollen Kesseln, liebstes, einziges Großmuttchen?« Annemaries Augen bettelten mit ihrem Mund und ihren streichelnden Händen um die Wette.

      Es war nicht leicht, Nesthäkchens flehentlichen blauen Sternenaugen etwas abzuschlagen. Aber die Zumutung erschien Großmama doch etwas stark. Die Kessel waren noch ein Erbstück von ihrer eigenen Mutter, der Stolz der Hausfrau. Nein, diesmal blieb Großmama fest.

      Aber als Annemarie am nächsten Tage weinend aus der Schule kam, sogar Vera, die Polnische, habe einen Kupferkessel mitgebracht und dafür einen Gedenkring erhalten, bloß sie nicht – da ward Großmamas Herz von den Tränen ihres Lieblings doch erweicht.

      »Na, meinetwegen,« seufzte sie schließlich ergebungsvoll, »aber nur zwei kleine – mehr keinesfalls!«

      »Ach, das ist ja genug, dafür kriege ich sicher einen Ring«, jubelte Annemarie, die gute Großmama in ihrer Dankbarkeit fast erdrückend. Nesthäkchen schien zu glauben, die Kupfersammlung sei lediglich zu dem Zweck veranstaltet, um Schulkinder durch Gedenkringe zu erfreuen.

      Aber Bruder Hans belehrte sie eines Besseren.

      »Gedenkringe sind ja ganz schön, aber schließlich doch nur Nebensache. Die Hauptsache bleibt, daß wir genug Kupfer zur Herstellung unserer Munition zusammenkriegen.« Und nun ließ er seinen schönsten Vortrag vom Stapel. Nur schade, daß seine Hörerschaft das Ende desselben nicht abwartete. Annemarie ging schon nach den ersten Sätzen auf und davon, um Klaus ein bißchen zu ärgern, daß sie zwei Kessel bekam und er keinen. Großmama hatte in der Wirtschaft zu tun, so sah sich der beredte Hans plötzlich mit Puck allein im Zimmer, der als einziger seinen Vortrag richtig zu würdigen schien.

      In der Jungenstube gab es inzwischen eine lebhafte Auseinandersetzung zwischen den beiden Jüngeren. »Natürlich gibst du mir einen Kessel ab, du dummes Ding, einer kommt mir überhaupt zu«, rief Klaus energisch.

      »Is ja nicht wahr, Großmama hat sie mir geschenkt! Und für einen kleinen Kessel bekomme ich am Ende gar keinen Ring!« War es ein Wunder, wenn fast ganz Europa gegeneinander losging, daß auch bei Doktor Braun ein Krieg im kleinen stattfand? Zum erstenmal seit langer Zeit keilten sich die Geschwister wieder kunstgerecht.

      »Aber Klaus – Annemie, schämst du dich denn gar nicht!« von beiden Seiten eilten Großmama und Fräulein friedenstiftend hinzu.

      »Der Klaus will mir meinen Kessel fortnehmen, Großmama«, begann Annemarie sich weinend zu verteidigen.

      »Einer gehört mir – – –«

      »Nein, mein Sohn, du irrst dich. Sie gehören alle beide mir, und ich habe sie für Annemie bestimmt.« Großmamas Ruhe stach seltsam von der lauten Empörung der kriegführenden Parteien ab.

      »Dann lasse ich mir eben einen Kessel von der Hanne geben«, mit einem letzten Knuff verließ Klaus das Zimmer. Natürlich wollte Nesthäkchen hinter ihm her, um nun ihrerseits wieder die »Offensive« zu ergreifen. Jedoch Fräulein hielt es zurück. Großmama sagte ernst: »Ich sorge mit Freuden für euch, Kinder, und nehme die kleinen Unbequemlichkeiten und die Unruhe eines größeren Haushaltes gern in Kauf. Aber Zank und Streit kann ich nicht vertragen, dazu bin ich schon zu alt und zu sehr an Ruhe gewöhnt. Wollt ihr, daß ich bei euch bleibe, dann müßt ihr Rücksicht auf mich nehmen und euch vertragen!«

      Blutrot wurde Annemarie bei Großmamas eindringlichen Worten. Muttis erster Brief wurde plötzlich wieder in ihr lebendig. Hatte sie nicht damals die feste Vornahme gehabt, rücksichtsvoll gegen Großmama zu sein und für sie zu sorgen? Längst hatte sie das vergessen, wie sie auch manches andere vergaß.

      »Verzeih mir, Großmuttchen,« bat sie beschämt, »ich will jetzt wirklich immer daran denken, daß du schon alt bist und keinen Krach mehr vertragen kannst.«

      Und als ein Weilchen später Klaus mit bitterbösem Gesicht wieder erschien, weil Hanne sich durchaus nicht auf irgendwelche Verhandlungen einlassen wollte, und ihre Kessel verteidigte, wie eine Löwin ihre Junge, da sagte Nesthäkchen aus freien Stücken: »Ich gebe dir einen Kessel ab, Klaus.«

      »Na also,« sagte der erfreut, »da hätten wir uns die Keilerei ja sparen können.«

      Am nächsten Tage marschierten Doktors Sprößlinge einträchtig, jeder mit einem Kupferkessel, in die Schule und kamen freudestrahlend mit ihrem Gedenkring wieder heim.

      Großmama sah lächelnd das gute Einvernehmen der beiden und dachte: »Ich wünschte, da draußen in der Welt wäre so schnell Frieden wie bei meiner kriegerischen, kleinen Gesellschaft.«

      15. Kapitel

       Reichswollwoche

       Inhaltsverzeichnis

      Die Reichswollwoche, die merkwürdigste Woche, die der Krieg gezeitigt, war ins Land gezogen. Das unterste kehrte sie zu oberst im ganzen Deutschen Reich. Da war kein Haus und kein Hüttchen, in dem nicht Kästen und Schränke durchsucht und durchstöbert wurden. Ein jeder kramte an altem Wollzeug hervor, was er nur entbehren konnte.

      »Kinder, ich muß ja Gott danken, wenn ihr mir noch die Kleider auf dem Leibe laßt«, meinte die Großmama. Wirklich die drei Enkel hatten sie ganz ausgeraubt. Nichts war sicher vor ihnen, es hätte nicht viel gefehlt, dann hätten sie auch den guten Perser Teppich mit Beschlag belegt. Klaus stibitzte der Hanne unter den Händen das Friestuch zum Bohnern fort und behauptete nachher dreist und gottesfürchtig, es wäre schon zerrissen gewesen. Annemarie wurde vom Fräulein beim Kramen im Flickenkasten erwischt. Und als Fräulein einige Zeit später ein paar Hosen für Hans ausbessern wollte, fehlten natürlich die passenden Flicken. Die hatte das patriotische Nesthäkchen dem großen Wollsachenkorb einverleibt. Es war ja für die Truppen – für die lief Hans selbst mit einem abstechenden Flicken in den Hosen herum.

      Dem Wildfang Annemarie war es jetzt ein Fest, dieses Herumstreifen in den Rumpelkammern und das Auftauchen längst vergessener Dinge. Hans und Klaus aber hatten auch tüchtig Arbeit während der Reichswollwoche. Sie und eine große Anzahl anderer Jungen waren von ihrer Schule aus der Ehre teilhaftig geworden, mit einem Handwagen von Haus zu Haus zu fahren, und in jeder Wohnung die zusammengesuchten Wollsachen in Empfang zu nehmen. Immer drei Jungen zu einem Handwagen. Wer das den Primanern und Obersekundanern wohl jemals früher zugemutet hätte, einen Handwagen voll Lumpen auf der Straße zu ziehen, der wäre von ihnen nicht schlecht angesehen worden. Und jetzt – stolz waren die Herren Gymnasiasten darauf, die Wollsachen zu sammeln, aus denen Strickwolle zu warmen Sachen für die Truppen hergestellt wurde. Denn Englands Absperrung begann sich im Handel bemerkbar zu machen.

      Annemarie war zum erstenmal in ihrem Leben mit ihrem Los nicht zufrieden. Ach, daß sie nicht auch ein Junge war! Wenn die Brüder großartig ihre Listen herauszogen, auf denen die Straßen, die ihnen für jeden Tag zugewiesen wurden, verzeichnet standen, dann fühlte sie sogar etwas wie Neid. Brennend gern wäre sie mit dem Handwagen herumgezogen.

      »Kläuschen, liebes gutes Kläuschen, könntest du mich nicht ein einziges Mal mitnehmen?« flüsterte Annemarie dem Bruder bittend zu, ehe er sich eines Nachmittags wieder aus die Wanderung begab.

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