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Verhältniß — bis endlich Robert’s Mutter mit dem Muthe der Verzweiflung ihrem Manne die Wahl stellte: mit ihr ohne die Seinen, oder mit den Seinen ohne sie und ihre Kinder zu leben. Dieser Energie der Frau beugte sich der im Grunde gutmüthige Mann, indem er sie dauernd von seinen Angehörigen befreite.

      Elend blieb auch so genug noch übrig. Johannes starb im ersten Jahre der neuen Ehe an der Schwindsucht, bis an’s Ende von Robert treu gepflegt und nach Kräften erheitert. Der lange Zwist, Verdruß und Kummer hatten tief am Herzen der Mutter genagt. Viermal nach einander hat sie nach Eingehung der neuen Ehe zu früh geboren. Fortdauernde Kränklichkeit und Entkräftung waren die Folgen. Gicht und Lähmung traten schon jetzt bei ihr ein, um sie niemals mehr zu verlassen.

      Mit besonderer Liebe wandte sich Robert nach dem Tode seines Bruders dem Schwesterchen zu. Er war der Schutzgeist ihrer Kindheit und Jugend; er unterrichtete sie, spielte mit ihr, darbte sich oft einen guten Bissen ab, um ihr eine Freude zu machen, und hatte er Kleinigkeiten an Geld, so wurden sie zu einem Spielzeug, einer Leckerei &c. für die Kleine. War Gretchen einmal unartig, so brauchte er nur zu sagen: „Lieb’ Gretchen, thue das nicht mehr!“ und das Verbotene wurde keinesfalls wieder gethan. Bei schönem Wetter führte er, so oft er Zeit fand, sein Schwesterchen nach dem fast dreiviertel Stunden entfernten Friedhof, an das Grab ihres Vaters, das durch ein einfaches schwarzes Holzkreuz bezeichnet war, in dem sich hinter Glas ein Todtenzettel des Vaters befand. Hier hielt er Gretchen an zu beten und erzählte ihr jedesmal, wie gut der Vater und wie glücklich sie alle bei seinen Lebzeiten gewesen. Bei einem solchen Besuche auf dem Friedhofe bemerkte Robert Nachbarn, die sich zugleich mit den beiden Kindern von dort entfernten und in einen Wagen stiegen, um nach Hause zu fahren. Er trat an die gutmüthigen Leute heran und sagte, daß Gretchen so müde und außerdem noch nie in einem Wagen gefahren sei. Sie würden ihr wohl ein Plätzchen einräumen und ihr einmal diese Freude machen. Die Leute — eine Faßbinder-Familie Namens Merzenig — meinten, es sei auch für ihn noch ein Plätzchen übrig. Er aber war durchaus nicht zum Einsteigen zu bewegen, sondern eilte, so schnell er konnte, voraus, um das Schwesterchen in Empfang zu nehmen, brachte sie eilig nach Hause und erzählte der Mutter glückselig, wie es ihm gelungen sei, Gretchen in einem Wagen fahren zu lassen.

      Ein anderes Mal sahen die Kinder, gleichfalls auf einem ihrer Gänge nach dem Friedhofe, am Wege einen Judenknaben, der ein Murmelthierchen zeigte und dafür Pfennige einsammelte. Um ihn hatte sich eine Schaar Buben zusammengerottet, die den Knaben verhöhnten, schimpften und mit Stöcken nach ihm und selbst nach dem Thierchen schlugen. Robert trat, voller Entrüstung über dieses Gebahren, auf die theilweise viel größeren Knaben zu und redete sie mit seiner lauten Stimme also an: „Schämt Ihr Euch denn gar nicht, den armen Jungen und selbst das unschuldige Viehchen zu mißhandeln? Das Kind ist arm und hat gewiß zu Hause noch kleinere Geschwister, die auf seine Pfennige mit Hunger warten. Braucht Eure Stöcke zu was Anderem und gebt dem Knaben was!“ und damit gab er dem Kinde einen halben Stüber (etwa zwei Pfennig), den ihm die Mutter zum Ankauf einiger Brezeln mitgegeben hatte. Unterdessen hatten sich auch mehrere Erwachsene um den Judenknaben und Robert versammelt und riefen: „Der Knabe hat Recht. Gebt dem armen Kinde was und mißhandelt es nicht!“ und der arme kleine Jude wurde reichlich beschenkt. Ein Herr aber sagte zu Robert: „Das hast Du gut gemacht, mein Junge. Sage Deinen Eltern, sie sollen Dich Pastor werden lassen! Predigen kannst Du schon jetzt.“

      Mißhandlungen Seiten seines Stiefvaters hat Robert, obwohl das vielfach behauptet und auch in einigen biographischen Arbeiten über Robert Blum zu lesen ist, nie erfahren. Die Mutter hielt ihre Kinder so streng und folgsam, auch ihr selbst gegenüber, daß der Vater, auch in seinen reizbarsten Augenblicken, nie Veranlassung fand, gegen die Kinder auszufallen.

      Die größte Hingebung und Aufopferung für die Seinen bewies Robert aber in den schweren Hungerjahren 1816 und 1817. Schilder verdiente damals täglich vierzig Stüber, anderthalb Mark. Die Familie brauchte aber jeden Tag sieben Pfund Brod, und diese kosteten achtundvierzig Stüber. Also nicht einmal zum täglichen Brode reichte der Verdienst des Vaters. Der tägliche Brodverbrauch der Familie mußte um die Hälfte reducirt werden. Und dieses theure Brod war zudem noch so selten, daß Robert im Winter schon um fünf Uhr Morgens, bei grimmiger Kälte und schlecht bekleidet, an den Bäckerladen gehen mußte, um nach langem Warten und Kämpfen das kloßähnliche, heiße, kaum genießbare Gebäck zu erhalten. Nicht selten wurde es ihm von Stärkeren entrissen. Denn Noth kennt kein Gebot. Bald aber war auch dieses Brod nicht mehr zu erschwingen, und die Familie mußte sich durch ein Gebäck aus Hafer und allen möglichen anderen halb oder ganz ungenießbaren Dingen vor dem Hungertode zu schützen suchen. Es gab Leute genug, die Robert deutlich zu verstehen gaben, er solle sich auf’s Betteln legen. Aber dagegen bäumte sich der ganze Stolz seiner edlen Natur. Er hungerte, aber er bettelte nicht. Als dagegen die Noth zu Weihnachten 1816 auf’s Höchste gestiegen war und das frohe Fest herannahte, freudlos und gramvoll wie die anderen Tage, da leuchtete ein anderer Gedanke in dem Haupte des gesunden Buben auf. Er eilte zu einem alten, wohlhabenden, geizigen Großonkel, einem der sieben Söhne des Johann Blum, mit dem wir die Genealogie des Hauses eröffneten, erschien hier mit rothgefrorenen Backen und blitzenden Augen und begann ungefragt dem biedern Onkel mit der ganzen überzeugenden Kraft, der echten Gottesgabe der Rede, die er in sich trug, die Drangsal und Noth der Seinen ergreifend zu schildern. Der alte Geizhals that, was er seit Langem nicht gethan: er vergoß einige Zähren des Mitleids. Er that aber noch ein Uebriges, was Robert sehr viel werthvoller war: er beschenkte Robert mit einem Sack Erbsen und Kartoffeln, einem Stück geräucherten Fleisches und sechs Stübern. Außer sich vor Freude, keuchend unter der schweren Bürde, flog der Knabe athemlos die Straßen entlang, seiner Wohnung zu. Da stolperte er, stürzte hin, Erbsen und Kartoffeln rollten über das Pflaster; doch Robert las sie bis auf die letzte zusammen und trat mit den völlig unerwarteten reichen Gaben unter die Seinen, mit Jubel und hoher Festfreude aller Herzen erfüllend.

      Keinen Stachel und keinen Schatten von Verbitterung hat diese überaus trübe Kindheit, welcher ebenso peinvolle Lehrjahre folgten, in Robert’s Herzen zurückgelassen. Er hat daraus nur eine eiserne Charakterstärke und Willenskraft gewonnen, eine Aufopferungsfähigkeit, die keine Grenzen kannte, wenn das Gebot der Liebe sie ihm zur Pflicht machte.

      2. Schule und Kirche.

       Inhaltsverzeichnis

      Vieles von dem, was erzählt wurde und noch zu berichten sein wird, ist nur dann für möglich zu halten, wenn man versucht, in die damaligen öffentlichen und wirthschaftlichen Zustände sich einzuleben. Hier können selbstverständlich nur Andeutungen gegeben werden.

      Jenes großartige Gesetz, welches die gesammte preußische Monarchie, einschließlich der neuerworbenen Rheinprovinz in ein einziges Zollgebiet verwandelte, die zahlreichen Binnenzölle aufhob, welche bis dahin innerhalb der einzelnen Landestheile bestanden, und damit die Grundlage zum künftigen deutschen Zollverein legte, ist erst 1818 erlassen worden. Seine Segnungen kamen mithin den Armen Köln’s in den Hungerjahren 1816 und 1817 noch nicht zu Gute. Während der Hungerjahre stand der Preis eines Scheffels Weizen am Rhein um sechs Mark fünfundneunzig Pfennig, also beinahe sieben Mark höher als gleichzeitig in Posen[3], so kolossal waren damals die Verkehrshindernisse. In den fünfziger Jahren war der höchste Preisunterschied innerhalb Preußens eine Mark sieben Pfennig. Kein Wunder, wenn man bedenkt, daß Preußen, der Staat, der in den Befreiungskriegen gegen Napoleon das Größte gethan für ganz Europa, um sechshundert Geviertmeilen kleiner aus dem siegreichen Kampfe hervorging, als er vordem gewesen, und obendrein in der denkbar ungünstigsten Gestaltung seines Gebietes, zerrissen in zwei weit entlegene Massen. Der Bevölkerungszuwachs von 5½ Millionen, den die Monarchie 1815 gewann, vertheilte sich auf ein Gewirr von Ländertrümmern, vor Kurzem zu mehr als hundert deutschen Kleinstaaten gehörig, zerstreut von der Prosna bis zur Maas. In den altpreußischen Landestheilen allein galten nach dem Frieden siebenundsechszig verschiedene Zolltarife, nahezu 3000 Waarenklassen umfassend. Dazu kamen die besonderen Zollsysteme der neuerworbenen Sächsischen und Schwedischen (Neuvorpommern) Landestheile, die Zollanarchie am Rhein, wo man die verhaßten Douanen und droits réunis der Franzosen einfach gestürzt hatte, ohne einstweilen Neues an ihre Stelle zu setzen. Wer billig denkt, und namentlich Sinn besitzt

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