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      Inhalt

       Irgendwohin

       Fräulein Tolpatsch

       Stranddistel

       Mein Liebster ist ein Weber

       Das Haus im grünen Grund

       Die drei Wünsche

       Sieben Töchter und kein Geld

       Gib mir den Ring zurück

       Wo die dunklen Föhren stehen

       Keine Rose ohne Dornen

Leni Behrendt – Staffel 2 –
Irgendwohin

      Silvester war’s, der letzte Tag im Jahr. Die meisten Bewohner der großen Stadt hatten am Abend etwas vor, wozu sie noch mancherlei besorgen mußten.

      So herrschte denn in den Straßen Hochbetrieb. Auf den Bürgersteigen hasteten die Menschen oder drängten ungeduldig aus den überfüllten Bussen, als dürften sie keine Minute versäumen. Daß man sich dabei gegenseitig auf die Füße trat, war ebenso unausbleiblich wie das Geschimpfe. Ein stämmiger Bursche gab dem vor ihm stehenden Mädchen einen Stoß, so daß es beim Aussteigen stolperte und längelang hingeschlagen wäre, hätte ein Mann es nicht aufgefangen.

      »Na, so ein Flegel!« schimpfte er dem feixenden Jungen nach. »Dem fehlt gehörig eins zwischen die Löffel! Haben Sie sich weh getan, Fräuleinchen?«

      »Nein, davor hat mich Ihr rasches Zupacken bewahrt. Danke schön.«

      »Bitte sehr, gern geschehen«, schaute der Mann schmunzelnd in das Mädchengesicht, das da so frischfröhlich aus der Kapuze des Wettermantels lugte. »So was Goldiges drückt man auch noch als Opa gern ans Herz. Guten Rutsch ins Neue Jahr.«

      »Gleichfalls«, wünschte sie, und dann ging jeder seiner Wege. Der Mann zu seiner Familie, das Mädchen zu seiner Bleibe, die aus einem möblierten Zimmer bestand. Im Korridor wurde sie von der Wirtin aufgeregt empfangen:

      »Endlich sind Sie da, Fräulein von Hollgan. Es kam ein Anruf für Sie, und zwar ein dringender.«

      »Für mich?« fragte das Mädchen ungläubig, da es weder Freunde noch nähere Angehörige hatte. »Haben Sie sich da auch nicht verhört, Frau Ricks?«

      »Bestimmt nicht«, kam es mit Entschiedenheit zurück. »Ein Herr wünschte Fräulein Armgard von Hollgan zu sprechen, er betonte das klar und deutlich.«

      »Seinen Namen hat er nicht genannt?«

      »Nein. Sie möchten diese Nummer anrufen«, die Wirtin reichte ihr einen Zettel, auf dem sie Ort und Zahl vermerkt hatte. »Ist Ihnen das ein Begriff?«

      »Nein. Also werde ich nicht anrufen.«

      In dem Moment schlug der Fernsprecher an, der sich im Korridor befand. Frau Bicks hob ab, meldete sich und sagte gleich darauf:

      »Ja, Fräulein von Hollgan ist jetzt da.«

      Sie gab den Hörer an Armgard weiter und verzog sich in die Küche, deren Tür sie spaltbreit offenließ.

      Und ihre Neugierde war verzeihlich, da ihre Untermieterin angegeben hatte, daß sie nach der Mutter Tod allein dastünde. Sie war auch in dem Vierteljahr, seit sie hier das Zimmer bewohnte, nie ausgegangen, hatte weder Post noch einen Anruf bekommen.

      »Ja, hier spricht Armgard von Hollgan«, hörte die Lauschende das Mädchen sagen, das nun auf die Stimme am anderen Ende horchte und dann unwillig antwortete:

      »Wenn das ein Silvesterscherz sein soll, finde ich ihn geschmacklos. Mein Großvater ist nämlich tot und nun Schluß...«

      »Halt, legen Sie nicht auf!« gebot die Männerstimme scharf. »Ihr Großvater ist nicht tot, liegt jedoch schwer krank danieder. Das sage ich Ihnen als sein Hausarzt und bitte Sie dringend, hierher zu Ihrem Großvater zu kommen, der flehend nach seiner Enkeltochter verlangt. Wenn Sie der Bitte eines vielleicht Sterbenden nicht nachgeben wollen, handeln Sie einfach gewissenlos, Fräulein von Hollgan.«

      »Das alles kommt mir recht merkwürdig vor«, entgegnete diese skeptisch. »Zwar bin ich keine Millionenerbin, noch habe ich etwas auf dem Kerbholz, daß es sich lohnen würde, mir eine Falle zu stellen, aber truu de Düwel dem Ap’theker. Wo befindet sich denn mein Großvater?«

      »In seinem Haus an der Ostsee. Ist Ihnen das wenigstens ein Begriff?«

      »Nein! Wie gelange ich dorthin?«

      »Mit der Bahn. Ich nenne Ihnen die Verbindungen, bitte notieren Sie.«

      Sie griff nach Block und Stift, das beides neben dem Telefon lag, und schrieb auf, was langsam und deutlich diktiert wurde. Dann sagte sie:

      Demnach wäre ich erst gegen zehn Uhr auf der Bahnstation Klein-Dünen, von dem ich keine Ahnung habe, wo das liegt. Das gefällt mir nicht, kommt mir irgendwie mulmig vor.«

      »Fräulein von Hollgan –«, vernahm ihr Ohr jetzt einen langen Seufzer. »Ich verstehe, daß Sie mißtrauisch sind, zumal Sie annehmen, daß Ihr Großvater tot ist. Mir unbegreiflich, wie es zu diesem Mißverständnis kommen konnte, aber es fehlt jetzt die Zeit, das aufzuklären. Rufen Sie Doktor Wiebe an, ich gebe Ihnen die Telefonnummer.«

      »Nicht nötig, ich kenne sie. Habe ihn angerufen, als meine Wirtin krank war.«

      »Um so besser«, hörte sie ein erleichtertes Aufatmen. »Erkundigen Sie sich bei ihm nach mir, er kennt mich gut.«

      »Na schön. Wenn alles in Ordnung geht, fahre ich morgen mit dem Frühzug ab.«

      »Das könnte vielleicht zu spät sein. Herr von der Gylt ist schwer krank und verlangt flehend nach Ihnen.«

      »Gut, ich komme heute noch. Ich werde doch abgeholt?«

      »Selbstverständlich.«

      »Danke.«

      Sie legte auf, wählte die Nummer des Arztes, und die Auskunft, die dieser vertrauenswürdige Herr ihr gab, nahm ihr das Mißtrauen, das der immerhin merkwürdige Anruf in ihr geweckt hatte. Ihr Großvater lebte tatsächlich, und sein Arzt war nach Aussage seines Kollegen eine seriöse Persönlichkeit, also mußte sie seinem dringenden Ruf folgen.

      Doch zuerst rief sie nach Frau Ricks, die flugs zur Stelle war und ängstlich sagte:

      »Mein Gott, Fräulein Armgard, werden Sie wirklich so auf den blauen Dunst verreisen?«

      »Es geht nicht anders. Ich muß zu meinem schwerkranken Großvater, den ich irrtümlich für tot hielt.«

      »Aber meinjeh, Kindchen, wenn das nun eine Falle ist? Es passiert heutzutage doch so viel…«

      »Keine Angst«, warf das Mädchen beruhigend ein. »Ich habe mich bei Doktor Wiebe nach dem Anrufer erkundigt und die beste Auskunft bekommen.«

      »Das stimmt denn auch«, atmete die besorgte Frau auf. »Als langjährige Patientin kenne ich den Doktor gut, er ist ein Ehrenmann. Wann fährt der Zug?«

      »In einer Stunde.«

      »Aber das schaffen Sie doch nicht…«

      »Ich muß!« winkte Armgard ab und verschwand in ihrem Zimmer, das wohl einfach, aber wohnlich war. Leider mußte sie es im Februar räumen, da eine Freundin von Frau Ricks zu ihr ziehen wollte.

      Armgard nahm den Koffer vom Schrank und

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