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Minuten faßte der Kanarienvogel den Zucker mit dem Schnabel.

      Da, Mimi!« rief sie fröhlich; »endlich hast Du es und wirst es sicherlich nicht wieder hergeben«

      Sie blieb noch einige Augenblicke ruhig stehen und heftete die Augen auf den Käfig. Dann richtete sie sich auf der Fußspitze empor, machte ihrem Vogel ein schelmisches Schmollmäulchen und verschwand in dem Innern des Zimmers.

      Die Sonne sank immer tiefer hinab. Die Schatten der Dämmerung begannen sich auf dem öden Square auszubreiten; fern und nahe wurden die Gaslaternen angezündet.

      Die Leute, welche das Bedürfnis; fühlten, etwas frische Luft im Freien zu schöpfen, gingen einer nach dem andern oder paarweise an mir vorüber oder kehrten wieder in ihre Wohnungen zurück und ich blieb noch immer in der Nähe des Hauses, in der Hoffnung, sie wieder an ihrem Fenster zu sehen, aber sie kam nicht wieder zum Vorscheine.

      Endlich brachte ein Diener Lichter in das Zimmer und schloß die Gardinen .

      Einsehend, daß es vergeblich sein würde, länger zu bleiben, verließ ich nun den Square.

      Heiter kehrte ich nach Hause zurück. Der Eindruck, den die erste Begegnung gemacht, hatte sich während des kurzen Augenblicks, wo ich die Schöne wiedergesehen, vervollständigt.

      Vergeblich waren jetzt die Betrachtungen der Klugheit. Ja, ich versuchte nicht einmal, mich gegen diesen neuen Hang zu waffnen. Ich überlieferte mich dem Zauber, der auf mich wirkte. Ich dachte nicht mehr an die Folgen, wie ich am Morgen daran gedacht hatte. Meine Pflichten – die mir eingeprägten Grundsätze – die Vorurtheile meines Vaters Alles verschwand vor meiner Liebe, Alles war vergessen u»m dieser Liebe willen, die ich aus Dankbarkeit für die neuen und reichen Gefühle, welche sie in mir erweckte, liebkosend in mein Herz aufnahm.

      Ich kehrte nach Hause zurück, ohne über Etwas weiter nachzudenken als über die Mittel, die ich ersinnen müßte, um meine Angebetete den nächstfolgenden Tag wiederzusehen und sie zu sprechen. Ich murmelte leise ihren Namen, selbst während ich die Hand auf das Schloß meines Arbeitscabinets legte.

      Kaum war ich eingetreten, so fuhr ich unwillkürlich zusammen und blieb stumm vor Erstaunen stehen. Clara war da! Der erste Blick, der ich auf meine Schwester warf, mußte der eines Verbrechers sein, welcher sich entdeckt sieht.

      Sie stand vor meinem Bureau und heftete die Blätter meines Manuscripts zusammen, welche bis jetzt verworren durcheinander in einer Schublade gelegen hatten. Noch denselben Abend sollte sie einem großen Balle beiwohnen, der, ich weiß nicht mehr wo gegeben ward.

      Sie trug eine Toilette von hellblauem Krepp – mein Vater sah sie gern in dieser Farbe – und eine weiße Blume war in ihrem hellbraunen Haare befestigt.

      Sie stand in dem von meiner Lampe geworfenen milden Lichtkreise und hatte die Augen über die Blätter hinweg, welche sie eben geordnet, auf die Thür geheftet.

      Ihr schmales, zartes Gesicht erhielt durch die reizende, duftige Toilette, welche sie gewählt, etwas noch Zarteres. Ihr Teint besaß die matteste Farbe, ihr Antlitz athmete beinahe die ruhige, reine Heiterkeit einer Bildsäule.

      Welch’ ein Contrast mit jenem andern lebensvollen Gemälde, welches ich bei Sonnenuntergang gesehen!

      Die Erinnerung an das Versprechen, welches ich nicht erfüllt, kehrte wieder in mein Gedächtniß zurück und ich fühlte mich sehr verlegen, während sie mir mit einem sanften Lächeln das Manuscript darreichte, wie um mich aufzufordern, es anzusehen.

      Mit dieser Erinnerung kehrte die peinlichen Gedanken zurück, welche mich einige Stunden früher so grausam gemartert hatten. Ich wollte einen sichern, festen Ton annehmen, aber ich fühlte die Nutzlosigkeit meines Bemühens, als ich zu ihr sagte:

      »Wirst Du mir verzeihen, Clara, Dich heute um Deinen Spazierritt gebracht zu haben? Ich fürchte, daß die Entschuldigung, die ich deshalb vorbringen kann, eine ungenügende ist und –«

      »Nun, dann suche Dich doch nicht zu entschuldigen, Sidney, oder warte, daß unser Vater der Sache eine gute parlamentarische Wirkung gebe, wenn er heute Nacht aus dem Unterhause heimkehrt. Sieh’ wie ich alle diese Papiere schön geheftet habe! Sie waren aber auch in so große Unordnung gerathen, daß ich fürchtete, es könnten einige davon verloren gehen.«

      »Weder diese Blätter noch Der, welcher sie geschrieben, sind der Hälfte der Mühe würdig, welche Du Dir damit gegeben hast; aber es thut mir aufrichtig leid, daß ich mein Wort nicht gehalten habe. Ich begegnete einem alten Universitätsfreunde–am Morgen hatte ich auch Geschäfte zu besorgen – wir speisten dann zusammen – ich konnte es ihm nicht gut abschlagen –«

      »Aber, Sidney, wie bleich Du bist! Bist Du unwohl?«

      »Nein, es war mir bloß ein wenig zu warm; das ist Alles.«

      »Ist Dir Etwas zugestoßen?–Wenn ich Dich frage, so geschieht es in der Voraussetzung, daß ich Dir von einigem Nutzen sein könnte – wenn Du vielleicht wünschest, daß ich heute Abend zu Hause bleibe –«

      »Durchaus nicht, liebe Clara; ich wünsche Dir auf dem Balle alle möglichen Triumphe.«

      Sie schwieg einen Augenblick, dann heftete sie ihre klaren Augen ernster als gewöhnlich und mit ziemlich unruhiger Miene auf mich.

      Forschte sie in meiner Seele und entdeckte sie hier jene kaum gebotene Liebe, welche schon ein Herz für sich in Anspruch nahm, in welchem meine Zuneigung zu meiner Schwester bis jetzt ungetheilt geherrscht hatte?

      Die Liebe! Liebe zu der Tochter eines Krämers! Dieser Gedanke kehrte unaufhörlich in mir zurück, während Clara mich ansah, und gleichzeitig entsann ich mich einer Maxime, welche mein Vater so oft meinen Bruder Ralph eingeschärft hatte: »Vergiß niemals, daß Dein Rang nicht Dir gehört und daß Du nicht damit machen darfst, was Du willst. Er gehört uns und unsern Kindern, Du hast die Pflicht, ihnen denselben zu bewahren, wie ich ihn Euch bewahrt habe.«

      »Ich glaubte,« hob Clara in schüchternem Tone als vorher wieder an, »daß ich wohlthun würde, einen Blick in Dein Zimmer zu werfen, ehe ich auf den Ball ginge, und nachzusehen, daß Alles hier in guter Ordnung sei, wenn es Dir vielleicht einfiele,diese Nacht zu schreiben. Ich hatte eben noch Zeit dazu, während Mistreß ***, die mich begleitet, noch oben mit ihrer Toilette zu thun hat. Vielleicht aber fühlst Du Dich nicht aufgelegt, heute Abend zu arbeiten?«

      »Ich werde es wenigstens versuchen.«

      »Kann ich Dir vielleicht in irgend Etwas nützlich sein? Vielleicht sähest Du es gern, wenn ich mein Bouquet in Deinem Zimmer zurückließe? Diese Blumen haben einen ungemein frischen Wohlgeruch. Ich kann mir mit leichter Mühe ein anderes verschaffen. Sieh’ nur die Rosen an, meine weißen Lieblingsrosen, die mich alle Mal an meinen Garten erinnern, an unsern alten Bart, den ich so sehr liebe.«

      »Ich danke Dir, Clara, ich glaube aber, dieses Bouquet nimmt sich in Deiner Hand besser aus als auf meinem Tische«

      »Gute Nacht, Sidney.«

      »Gute Nacht«

      Sie lenkte ihre Schritte nach der Thür, drehte sich um und lächelte. als ob sie Etwas sagen wollte. Sie bezwang sich jedoch und heftete eine Minute lang bloß ihren Blick auf mich. Das begonnene Lächeln verschwand sofort aus ihrem Antlitze und derselbe Ausdruck von Unruhe malte sich darin.

      Leise verließ sie das Zimmer. Einige Minuten später schlug das Rollen des Wagens, der sie mit ihrer Begleiterin nach dem Balle führte, an mein Ohr und verhallte dann in der Ferne.

      Ich war allein im Hause – allein für die Nacht.

      Neunten Kapitel

      Mein von der fleißigen Hand meiner Schwester in Ordnung gebrachtes Manuscript lag aufgeschlagen vor mir.

      Ich wendete die Blätter langsam eins nach dem andern um, aber meine Augen widmeten ihm eine nur mechanische Aufmerksamkeit. Vor Kurzem, gestern noch – wie viel Ehrgeiz, wie viele Hoffnungen, wie viele sanfte Genugthuungen meines Herzens und hohe Bestrebungen meines Geistes ruhten auf diesen häßlichen Blättern, die mit garstigen Kritzeleien bedeckt waren!

      Jetzt konnte ich sie mit Gleichgültigkeit betrachten und beinahe wie ein Fremder

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