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Abend des dritten December 1833, als die Sonne hinter den Baumspitzen auf der linken Seite des Hafens sank, erschien ein Mann auf der Spitze dieses Felsens. Er war in die grobe Kleidung der Deportierten gehüllt und trug an seinen beiden Knöcheln zwei Eisenringe, durch die eine kurze schwere Kette lief. An der Mitte der Kette war ein lederner Riemen befestigt, der sich theilend um seine Taille befestigt war und vermittelst dessen er die Kette so hoch ziehen konnte, daß er nicht beim Gehen darüber stolperte. Sein Kopf war bloß und sein grobes, blaugestreiftes Hemde am Halse offen, zeigte seinen braunen, muskulösen Nacken. Aus einer Art von Zelle oder Höhle heraustretend welche Natur oder Kunst an der Seite der Klippe gebildet hatte, legte er auf ein schwaches Feuer, das zwischen zwei Felsstücken brannte, ein kleines Stück Holz auf und dann brachte er aus seiner Höhle einen eisernen Topf, der anscheinend Wasser enthielt und mit seinen harten, verarbeiteten Händen stellte er ihn in die Asche oder setzte ihn auf das brennende Scheit. Augenscheinlich war die Höhle zugleich sein Vorrathshaus und seine Speisekammer und die beiden Felsstücke waren seine Küche.

      Nachdem er so seine Vorbereitungen zu einem Mahle getroffen, stieg er einen Pfad hinauf, der zu dem höchsten Punkte des Felsens führte. Seine Fesseln gestatteten ihm nur kurze Schritte und wenn er ging, so zuckte er schmerzlich zusammen. Wahrscheinlich schnitten die Ringe in seine Beine ein. Bei genauerer Prüfung konnte man auch sehen, daß ein Tuch oder ein Lappen zwischen den Ring und den Knöchel gesteckt war, als ob ihn der Ring schon wund gerieben hatte. Mühsam und langsam erreichte er sein Ziel und sich niederwerfend blickte er um sich. Der Nachmittag war stürmisch gewesen und die Strahlen der untergehenden Sonne fielen roth auf die bewegten, schäumenden Wellen der Bai. Zur Rechten lag Sara-Island, zur Linken das schwarze Ufer der jenseitigen Küste und die hohe Spitze von Frenchman’s Kap. Ueber den kahlen Hügeln des Ostens hingen noch die dunkeln Wolken des letzten Sturmes. Unter ihm war das einzige Zeichen von Leben zu bemerken. Eine Brigg wurde in den Hafen hineingezogen von zwei Booten, die mit Deportierten bemannt waren.

      Der Anblick der Brigg schien in dem Einsamen auf dem Felsen eine ganze Kette von Erinnerungen wach zu rufen. Er stützte sein Kinn in die Hand und blickte stark auf das hereinkommende Schiff, tief in Gedanken versunken. Mehr als eine Stunde verging, er bewegte sich nicht. Das Schiff ging vor Anker, die Boote verließen es, die Sonne sank und die Bai tauchte in nächtliche Dunkelheit. Lichter fingen längs der Küste an zu blinken. Das kleine Feuer ging aus und das Wasser im eisernen Topf wurde kalt; doch der Wachende auf dem Felsen bewegte sich nicht. Seine Augen starrten in die Finsterniß und seine Blicke verließen das Schiff nicht. Er lag neben dem kahlen Felsen seines einsamen Gefängnisses ebenso bewegunslos wie der Felsen selbst, auf dem er sich ausgestreckt hatte.

      Dieser Mann war Rufus Dawes.

       Drittes Capitel.

      Ein geselliger Abend

      Im Hause des Major Vickers, Kommandant von Macquarie Harbour, herrschte heute am Abend des dritten December eine ungewöhnliche Heiterkeit. Leutnant Maurice Frere, der zuletzt ein Kommando auf Maria Island gehabt hatte, war ganz unerwartet mit Nachrichten aus dem Hauptquartier gekommen. Das Schiff Ladybird, ein Regierungsschooner, besuchte die Ansiedlung gewöhnlich zweimal im Jahr und die Ansiedler erwarteten diesen Besuch mit nicht geringer Unruhe. Für die Deportierten bedeutete die Ankunft des Ladybird die Ankunft von neuen Gesichtern, Nachricht von alten Kameraden, Neuigkeiten aus der ewig fortschreitenden Welt, aus der sie nun verbannt waren. Wenn der Ladybird kam, dann fühlten die Gefangenen selbst, die arbeitsmüden, gefesselten Verbrecher, daß sie noch Menschen waren, daß der Horizont des Weltalls nicht von den düsteren Wäldern begrenzt wurde, die ihr Gefängnis umgaben, sondern daß es draußen noch eine Welt gab, in der Menschen wie sie, welche tauchten, tranken, lachten und ruhten – und frei waren. Wenn der Ladybird kam, dann hörten sie Nachrichten, die Interesse hatten für sie, das heißt, nicht allein übertriebene Gerüchte von Kriegen oder von der Ankunft von Schiffen oder Stadtklatsch, sondern Sachen, die aus ihrer eigenen Welt kamen – wie Tom jetzt bei den Wegearbeiten war, daß Dick einen Urlaubsschein hatte, Barth sich in den Busch geflüchtet und Jack im Hobart Down Gefängnis aufgehängt worden. Solche Dinge waren das Einzige, was ihnen wichtig war und die neuen Ankömmlinge wußten gut Bescheid darin. Für die Deportierten war der Ladybird Stadtgeschwätz, Theater, Börsennachrichten und neueste Telegramme. Das Schiff war ihre Zeitung und ihr Postamt die einzige Unterhaltung in ihrem trostlosen, traurigen Leben, das einzige Band zwischen ihrem eigenen Elend und dem Glück und Wohlstande ihrer Mitmenschen. Für den Kommandanten und die freien Leute war dieser Bote aus der Außenwelt nicht weniger willkommen. Es war Niemand auf der ganzen Insel, dessen Herz nicht schwerer wurde, wenn die weißen Segel wieder hinter den Hügeln verschwanden.

      Bei dieser Gelegenheit war das Geschäftliche der Neuigkeiten für Kapitain Vickers von so großer Wichtigkeit, daß es ihn aufs Angenehmste berührte. Es war von Gouverneur Arthur beschlossen worden, die Niederlassung aufzulösen. Wiederholte Mordanfälle und Fluchtversuche hatten die öffentliche Aufmerksamkeit auf Macquarie Harbour gezogen. Die große Entfernung von Hobart Town machten es unbequem und sehr theuer. Arthur hatte die Tasman Halbinsel, der Ohrring, von dem wir gesprochen haben – als künftige Deportierten-Niederlassung ausersehen und sie Port Arthur, sich selbst zu Ehren genannt. Er hatte Leutnant Maurice Frere mit Instructionen an Vickers gesandt, der die Gefangenen von Macquarie Harbour überführen sollte.

      Um die Größe und Wichtigkeit eines solchen Befehls gehört zu würdigen, müssen wir einen Blick auf die gesellschaftlichen Verhältnisse der Strafkolonie zur Zeit unserer Geschichte werfen. Neun Jahre zuvor war Oberst Arthur, der frühere Gouverneur von Honduras, in einem sehr kritischen Augenblick angekommen. Der frühere Gouverneur, Oberst Sorrell, war ein Mann von freundlichem Sinne, aber von geringer Charakterstärke. Er war überdies sehr liederlich in seinem Privatleben und seine Offiziere, durch sein Beispiel ermuthigt, verletzten jede Regel gesellschaftlichen Anstandes. Es war ganz gewöhnlich, daß jeder der Offiziere einen der weiblichen Deportierten als Geliebte hatte. Ihrerseits erlangten diese Frauen durch Gefälligkeiten manche Vortheile, waren aber auch häufig üblen Verfolgungen ausgesetzt, wenn sie sich einfallen ließen, sich ihre Liebhaber selbst zu wählen. Diesen Ausschweifungen ein Ende zu machen, war Arthur’s erste Sorge und indem er die strengste Zucht in Beziehung auf Etiquette und Achtbarkeit einführte, fehlte er vielleicht wieder, was Güte und Nachsicht betraf. Während er rechtschaffen, brav und hochgesinnt sich zeigte, war er zugleich kalt und geizig und die geflissentliche Freundlichkeit der Kolonisten traf bei ihm nur auf höfliche Gleichgültigkeit.

      Der offiziellen Gesellschaft, welche Oberst Arthur geschaffen, stand diejenige der freien Ansiedler und der beurlaubten gegenüber. Diese Letzteren waren viel zahlreicher, als man glauben sollte. Am 29. November 1829 standen achtunddreißig Freie, – Begnadigte – und sechsundfünfzig bedingungsweise Freigelassene in den Listen verzeichnet. Am 26. September desselben Jahres war die Zahl der Personen, die auf Urlaub waren, auf siebenhundertundfünfundvierzig gestiegen.

      Von der gesellschaftlichen Stellung der Leute zu dieser Zeit ist es kaum möglich, ohne Erstaunen zu sprechen. Nach dem beglaubigten Zeugniß vieler achtbaren Leute, Regierungsbeamte, Offiziere und freie Ansiedler, war die Liederlichkeit der Kolonisten ganz bekannt, Trunkenheit war das Hauptlaster. Selbst Kinder fand man betrunken in den Straßen. An Sonntagen sah man Männer und Frauen vor den Thüren der Wirthshäuser stehen, wo sie das Ende der Gottesdienst-Stunden abwarteten, um dann sogleich ihr Trinken wieder beginnen zu können. Die Lage der Gefangenen-Bevölkerung ist in der That unbeschreiblich. Obgleich der geheime Grog-Verkauf hart bestraft wurde, so betrieb man denselben doch in ungeheurer Ausdehnung, Männer und Frauen wurden betrunken bei einander gefunden und eine Flasche Branntwein wurde als billig erstanden erachtet, wenn sie durch zwanzig Hiebe erkauft war. In der Faktorei – einem Gefängnisse für Frauen, wurden die scheußlichsten Dinge vollbracht und die Niederträchtigkeiten, welche als selbstverständlich unter den Kettengefangenen und in den Straf-Abtheilungen getrieben wurden, sind zu entsetzlicher Natur, als daß sie hier mehr als nur angedeutet werden können. Alles, was die niedrigsten und bestialischsten menschlichen Wesen nur erfinden und ausüben können, wurde in diesem unglücklichen Lande ohne Rückhalt und Scham erfunden und verübt.

      Im Jahre 1826 wurden die Verbrecher in sieben Klassen eingetheilt, als man die neuen Barracken für die Gefangenen in Hobart Town beendet hatte. Der ersten Klasse war erlaubt,

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