Скачать книгу

Gefangene war ein junger Mann von etwa vierundzwanzig Jahren. Seine Hände, krampfhaft gefaltet, waren wohlgeformt und klein und das unrasierte Kinn zeigte den Ansatz zu einem starken Barte. Seine wilden, schwarzen Augen blitzten im Feuer des Deliriums und während er nach Luft schnappte, stand der Schweiß in hellen Tropfen auf seiner bleichen Stirn.

      Der Anblick des Mannes war erschreckend genug und Miles zog sich fluchend zurück und war nicht sehr erstaunt, daß Mrs. Vickers Mädchen ganz starr vor Entsetzen war.

      Mit offenem Munde und todtenbleichem Gesicht stand sie mit der Laterne in der Hand mitten in der Kajüte, wie versteinert und starrte auf den Mann im Bett.

      »Ja, das ist ein Anblick,« sagte Miles endlich. »Kommen Sie fort, Fräulein und machen sie die Thür zu. Er redet irre, sage ich Ihnen.«

      Der Ton einer Stimme rief sie wieder zu sich.

      Sie ließ die Laterne fallen und stürzte zu dem Lager.

      »Du Narr! Er erstickt ja. Kannst Du das nicht sehen. Bringe Wasser herbei! Wasser! gib mir Wasser!«

      Und die Arme um des Mannes Hals schlingend, legte sie seinen Kopf an ihre Brust und schaukelte ihn ganz außer sich hin und her.

      Zum Gehorsam gezwungen durch ihre Stimme, tauchte Miles einen Becher in ein kleines, von ihr unbemerkt gebliebenes Faß in der Ecke der Kajüte und gab ihn ihr. Ohne zu danken, hielt sie den Becher an die heißen Lippen des Gefangenen. Er trank gierig und schloß dann seine Augen mit einem dankbaren Seufzer.

      Da hörten die scharfen Ohren von Miles das Geräusch des Gewehr Präsentierens. »Da kommt der Doctor, Fräulein,« rief er. Ich höre wie die Wache präsentiert. Schnell fort!«

      Sie ergriff die Laterne, öffnete sie und löschte sie schnell aus.

      »Sage, sie ging aus,« sagte sie in befehlendem Tone flüsternd zu ihm, »und halte Deinen Mund. Laß mich nur machen.« Sie beugte sich über den Gefangenen, um seine Kissen zu ordnen und glitt aus der Kajüte, gerade als Pine den Gang herabkam.

      »Hallo,« schrie er, als er ein wenig stolperte, »wo ist das Licht?«

      »Hier, Herr,« rief Miles und machte sich mit der Laterne zu thun. »Alles in Ordnung, Herr, sie ging nur aus.«

      »Ging aus! Wozu hast Du sie ausgehen lassen, Du Esel,« brummte Pine ganz ohne Verdacht. »Das ist Euch Schafsköpfen recht ähnlich. Wozu dient ein Licht, wenn man es ausgehen läßt, – was?«

      Und während er mit ausgestreckten Armen seinen Weg im Dunkeln suchte, schlüpfte Sara Purfoy unbemerkt an ihm vorüber und gelangte glücklich auf das Deck.

       Fünftes Capitel.

      Die Baracken

      Im Zwischendeck in dem Gefängnis herrschte tief Dunkelheit, unter deren Schutze sich ein summendes Geräusch von Stimmen hören ließ. Die Schildwache am Eingang hatte Befehl, »die Gefangenen an jedem Lärmen zu verhindern.« Dieser Befehl wurde auf die weitherzigste Weise befolgt. So lange die Gefangenen nicht brüllten , schrien und sich prügelten – lauter Dinge die zuweilen vorfielen, – störte man sie nicht. Diese Behandlung war ebenso durch die Klugheit geboten wie durch die Bequemlichkeit. Wurden sie zu streng gehalten, so begannen sie ein so thierisches Geschrei, in das Alle einstimmten und das, wenn es auch Lärm genug machte, doch jede Möglichkeit der Einzelbestrafung ausschloß. Man konnte nicht hundertundachtzig Mann aushauen und es war völlig unmöglich die Hauptthäter herauszufinden. So hatten die Gefangenen, dieses letzten Umstandes wegen, das stillschweigend anerkannte Recht sich angemaßt, im Flüsterton zu sprechen und innerhalb des eichenen Käfigs sich zu bewegen.

      Für Einen, der von außen herein kam, herrschte eine undurchdringliche Finsterniß in dem Raum, aber das Auge des Gefangenen, an dies düstere Zwielicht gewöhnt, war im Stande, die ihn umgebenden Gegenstände mit ziemlicher Deutlichkeit zu unterscheiden. Das Gefängnis war ungefähr fünfzig Fuß lang und hatte die volle Höhe des Zwischendecks, also fünf Fuß, zehn Zoll. Die Barrikade war hier und da mit Schießscharten versehen und durch die Zwischenräume der Planken konnte auch leicht ein Flintenlauf gesteckt werden. Aus der Hinterseite dicht bei den Kajüten der Soldaten, war eine Fallthür angebracht, ähnlich dem Feuerloch eines Ofens. Beim ersten Blick glaubte man, sie sei zu dem menschlichen Zweck der Ventilation angebracht, aber bei einem zweiten Blick wurde man eines besseren belehrt. Die Oeffnung war gerade groß genug für den Lauf einer kleinen Haubitze, die im unteren Deck aufbewahrt wurde.

      Im Fall einer Meuterei konnten die Soldaten das Gefängnis vollkommen mit Kartätschen bestreichen. So viel frische Lust, als das Gefängnis erhielt, kam theils durch die Schießscharten, theils wurde sie in etwas größerer Menge durch ein Windsegel zugeführt, das von dem Hauptgange aus in das Gefängnis eingesetzt war. Da aber das Windsegel nothwendiger Weise nur an einem Ende des Gefängnisses angebracht werden konnte, so wurde die Luft, welche es verbreitete, von den zwanzig oder dreißig glücklichen Burschen verbraucht, welche in der Nähe schliefen und die andern hundertundfünfzig kamen ganz schlecht dabei fort. Die Fenster waren freilich offen, aber da die Kojen davor gebaut waren, so kam die Luft nur denjenigen zu Gute, deren Schlafstellen grade davor lagen. Es gab achtundzwanzig solcher Kojen, jede enthielt sechs Mann. Sie liefen in einer doppelten Reihe um drei Seiten des Gefängnisses herum, auf jeder Seite zwanzig, und acht lagen auf der Seite der vorderen Barrikade, die der Thür gegenüber lag. Jede Lagerstätte sollte fünf Fuß sechs Zoll im Ouadrat haben, aber die Ladung hatte noch sechs oll davon gebraucht und selbst jetzt mußten noch zwölf Mann auf Deck schlafen.

      Pine übertrieb nicht, als er von dem Ueberfüllen der Deportiertenschiffe sprach und da er für jeden Mann, den er lebendig nach Hobart Town brachte, eine halbe Guinee erhielt, so hatte er wohl Grund, sich zu beklagen.

      Als Frere vor einer Stunde heruntergekommen war, lagen die Gefangenen Alle ruhig unter ihre Decken. Jetzt war es anders; freilich bei dem ersten Geräusch der Riegel wären sie wieder in ihren alten Stellungen gewesen und dem Anschein nach fest schlafend. Jetzt zeigte sich, wenn sich das Auge an die dicke Atmosphäre gewöhnt hatte, ein ganz anderes Bild.

      Gruppen in allen möglichen Stellungen lagen, standen, – saßen oder schritten auf, und nieder. Es war die Scene vom Hinterdeck, nur daß die wilden Thiere sich hier ein wenig freier bewegten, da sie keine Furcht vor den wachsamen Wärtern zu haben brauchten. Es ist unmöglich in Worten eine Idee von der gräulichen Erscheinung dieser Glieder und Gesichter zu geben, welche sich in dem Zwielicht dieses entsetzlichen, übelriechenden Gefängnisses hin und her bewegten. Callot hätte vielleicht ein Bild davon gezeichnet, Dante hätte Einiges davon angedeutet, aber der Versuch einer genauen und richtigen Schilderung würde nur Ekel erregen. Es gibt Tiefen in der Menschheit, die man nicht aufdecken sollte, so wie es mephitische Höhlen gibt, in die man nicht einzudringen wagt.

      Alte Männer, junge Männer und Knaben, kräftige Einbrecher und Straßenräuber schliefen Seite an Seite mit ausgedörrten Taschendieben und schlauen Betrügern. Der Fälscher lag in einer Koje oder Hängematte mit dem verbrecherischen Plünderer. Der gebildete Mann lernte merkwürdige Geheimnisse der Einbrecherkunst und der gemeine Schurke von St. Giles hatte ein gutes Beispiel an der Selbstbeherrschung, das ihm der schärfere Verstand des professionsmäßigen Schwindlers gab.

      Der betrügerische Schreiber und der prahlerische Gauner tauschten Erfahrungen aus. Die Geschichten des Schmugglers, der von glücklichen Abenteuern und von gelungenen Fahrten sprach, wurden von den Erinnerungen des Straßenräubers abgelöst, der von nebeligen Nächten und von gestohlenen Uhren erzählte. Der Wilddieb, der in düsterem Grimm an sein krankes Weib und an seine verwaisten Kinder dachte, fuhr zusammen, als ihm der Diebskerl neben ihm einen Schlag auf die Schulter gab und ihm zuredete, er solle fröhlich und ein ganzer Mann sein.

      Der feine Handlungsdiener dessen Vorliebe für vornehme Gesellschaft und gutes Leben ihn so weit gebracht, hatte bald die erste Scham abgelegt und horchte eifrig auf die Erzählungen der lasterhaften Erfolge, welche seinen älteren Gefährten so glatt von den Lippen gingen. Deportiert zu werden, war gar nicht solch’ ein ungewöhnliches Los. Die alten Kerle lachten und schüttelten ihre grauen Köpfe mit der Zufriedenheit langer Erfahrung und die aufhorchende Jugend sehnte sich nach der Zeit, da sie es ebenso machen würde. Die menschliche Gesellschaft war ihr gemeinsamer Feind

Скачать книгу