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– auch die sind nicht so, wie sie bei vernünftigen Leuten zu sein pflegen! Weswegen ist er jetzt fortgegangen? – Er wollte mit einem Aristokraten nicht in einem Zimmer sein, nicht dieselbe Luft mit ihm, athmen!

      – Ich muß Dich bitten, in meiner Gegenwart nicht mehr in solcher Weise von Ostrodumow zu sprechen, – fiel Neshdanow herausfordernd ein. – Stiefeln mit dicken Sohlen trägt er deshalb, weil sie billiger sind.

      – Ich habe es ja gar nicht so gemeint, – wollte Paklin einwenden.

      – Wenn er nicht mit einem Aristokraten in einem Zimmer bleiben will, – fuhr Neshdanow, die Stimme erhebend, fort, – so kann ich ihn dafür nur loben; – jedenfalls aber ist er sich aufzuopfern im Stande, – er würde sein Leben hingeben, wenn es nöthig wäre, was wir Beide niemals thun werden!

      Paklin machte ein klägliches Gesicht und wies auf seine lahmen, dünnen Beinchen.

      – Wie soll ich denn kämpfen, mein lieber Freund Alexei Dmitritsch! – Ich bitte Dich! Aber lassen wir das . . . Ich wiederhole: ich bin Deiner Annäherung an Ssipjagin herzlich froh – und sehe sogar voraus, daß diese Annäherung unserer Sache großen Nutzen bringen wird. Du dringst jetzt in die höchsten Kreise; Du wirst diese Löwinnen sehen, diese Frauen mit dem samtenen Körper auf Federn von Stahl, wie es in den »Briefen aus Spanien« heißt; studire sie, Freund, studire sie. Wenn Du ein Epikuräer wärst, würde ich für Dich sogar fürchten . . . wahrhaftig! – Das sind jedoch nicht die Ziele, die Dich bewegen als Lehrer fortzuziehen?

      – Ich ziehe fort, – fiel Neshdanow ein, – weil ich nicht an den Hungerpfoten saugen will . . . »und um Euch Alle eine Zeit lang los zu sein« – fügte er in Gedanken hinzu.

      – Nun natürlich, natürlich! – Daher sage ich Dir auch: studire sie! Was dieser Herr jedoch für einen Wohlgeruch um sich verbreitet hat!l – Paklin zog die Luft durch die Nase ein. Das ist der echte »ambre« von dem die Frau des Polizeimeisters im »Revidenten« mit so viel Schwärmerei gesprochen!

      – Er hat den Fürsten G. wohl über mich ausgeforscht, – begann Neshdanow mit dumpfer Stimme, sich wieder zum Fenster wendend: – jetzt kennt er wahrscheinlich meine ganze Geschichte.

      – Nicht wahrscheinlich, sondern ganz gewiß! – Was ist denn auch dabei? – Ich wette, daß er eben dadurch auf den Gedanken gekommen ist, Dich als Lehrer zu engagiren. Was Du da auch reden magst, Du bist doch selbst ein Aristokrat – dem Blute nach. – Nun und das heißt: Einer von den Unsern! Wie ich hier aber lange gesessen habe; es ist für mich Zeit in’s Comptoir zu gehen, mich ausnutzen zu lassen! – Auf Wiedersehen, Freund!

      Paklin war schon an der Thür, hielt aber vor derselben an und ging wieder auf Neshdanow zu.

      – Hör’, Alex, – sagte er mit einschmeichelndem Tone: – Du hast es mir eben abgeschlagen, ich weiß, Du wirst jetzt selbst bei Gelde sein – aber erlaube mir wenigstens eine Kleinigkeit für die allgemeine Sache zu opfern! – Sonst kann ich nichts thun – laß mich also meine Tasche öffnen. – Da sieh: ich lege zehn Rubel auf den Tisch! Nimmst Du sie an?

      Neshdanow blieb stumm und rührte sich nicht.

      – Stillschweigen – bedeutet beistimmen! Danke! – rief Paklin heiter aus und verschwand.

      Neshdanow blieb allein. – Am Fenster stehend, fuhr er fort, auf den engen düsteren Hof, in welchen selbst die Strahlen der Sommersonne nicht zu dringen vermochten, hinauszublicken – und düster war auch sein Antlitz.

      Neshdanow war, wie wir bereits wissen, der Sohn des Fürsten G., des überaus reichen Generals-Adjutanten – und der am Tage der Geburt gestorbenen Gouvernante seiner Töchter, eines hübschen Instituts-Zöglings. Den ersten Unterricht hatte er in der Pension eines Schweizers, eines thätigen und strengen Pädagogen erhalten – worauf er die Universität bezog. Er selbst hätte am liebsten Jura studirt, aber der General, sein Vater, der die Nihilisten auf’s Aeußerste haßte, schrieb ihn in die »Aesthetik,« wie sich Neshdanow mit bitterem Spott auszudrücken pflegte, d. h. in die historisch-philologische Facultät ein. Der Vater Neshdanow’s sah ihn vielleicht nur drei bis vier Mal im Jahr, nahm jedoch an seinem Schicksal lebhaften Antheil und vermachte ihm sterbend – »zum Andenken Nastenka’s« (seiner Mutter) – ein Kapital von 6000 Rubel, dessen Zinsen ihm von seinen Brüdern, den Fürsten G., unter dem Namen einer »Pension« ausbezahlt wurden. – Paklin hatte ihn nicht umsonst einen Aristokraten genannt; Alles an ihm gab von seiner Herkunft Zeugniß: die kleinen Ohren, Hände, Füße, die vielleicht zu wenig markirten, jedoch feinen Züge, die zarte Haut, das buschige Haar, selbst die leicht schnarrende, aber angenehme Stimme. Er war sehr nervös, sehr eigenliebig, empfänglich und sogar eigensinnig; die falsche Situation, in welche er schon als Kind gerathen war, hatte in ihm eine gewisse Empfindlichkeit und Reizbarkeit wachgerufen; aber die angeborene Großmuth ließ kein Mißtrauen und keinen Argwohn in ihm aufkommen. – Diese falsche Situation erklärte auch die Widersprüche, welche sich in seinem Wesen offenbarten. Ordnungsliebend bis in’s Kleinste, wählerisch bis zum Aeußersten, gab er sich doch Mühe, in Worten recht cynisch und derb zu sein; seiner Natur nach Idealist, leidenschaftlich und keusch, kühn und schüchtern zu gleicher Zeit, schämte er sich doch seiner Schüchternheit und seiner Keuschheit als eines schmachvollen Lasters, und hielt es für seine Pflicht, über die Ideale zu spotten. Er besaß ein mildes Herz und zog sich doch vor den Menschen zurück; er gerieth leicht in Zorn – und erinnerte sich nie des Bösen. Er zürnte seinem Vater, weil er ihn in die »Aesthetik« eingeschrieben; vor Aller Augen beschäftigte er sich mit politischen und sozialen Fragen, sprach die schroffsten Ansichten aus – sie waren bei ihm mehr als bloße Phrase! – und ergötzte sich insgeheim an der Kunst, der Poesie, der Schönheit in jeder Erscheinungsform . . . er dichtete sogar kleine Lieder . . . Er pflegte sorgfältig das Heft zu verbergen, in welchem er sie niedergeschrieben hatte – und von allen Petersburger Freunden ahnte nur Paklin, dem ihm eigenen Instinkt zufolge, die Existenz eines solchen Heftes. Nichts tränkte und erregte Neshdanow mehr, als eine selbst ganz unbedeutende Anspielung auf seine Dichterei, auf diese, wie er meinte, unverzeihliche Schwäche. Dank seinem Erzieher, dem Schweizer, kannte er viele Thatsachen und scheute weder Arbeit noch Mühe; er arbeitete sogar gern – freilich ein wenig fieberhaft und unregelmäßig. Seine Kameraden liebten ihn . . . es zog sie seine Wahrhaftigkeit, Güte und Reinheit an; aber es war kein glücklicher Stern, unter dem Neshdanow das Licht der Welt erblickt; sein Leben war nicht leicht. Er empfand das selbst aufs tiefste, und fühlte sich einsam, trotzdem, daß die Freunde so sehr an ihm hingen.

      Er stand noch immer am Fenster, und dachte voll Ernst und Traurigkeit an die bevorstehende Fahrt, an den nun eingetretenen Wendepunkt in seinem Schicksal . . . Sich von Petersburg zu trennen, fiel ihm nicht schwer; er hinterließ dort nichts, was ihm theuer gewesen wäre; er wußte ja auch, daß er im Herbst zurückkehren würde. Und doch war er nachdenklich geworden: er empfand eine unwillkürliche Traurigkeit.

      « »Was bin ich für ein Lehrer!« ging es ihm durch den Kopf; – »was für ein Pädagog?!« – Er hätte sich Vorwürfe darüber machen mögen, daß er die Pflichten eines Lehrers übernommen. Und doch wäre ein solcher Vorwurf ungerecht gewesen. – Neshdanows Kenntnisse waren durchaus genügend, – und ungeachtet seines ungleichen Wesens gingen die Kinder doch gern zu ihm – und auch er schloß sich leicht an sie an. Die Traurigkeit, deren sich Neshdanow nicht erwehren konnte, wurzelte in jenem Gefühl, welches jede Veränderung des Aufenthalts nach sich zieht, und welches allen Melancholikern, allen zum stillen Brüten geneigten Menschen eigen ist; heiteren Sanguinikern ist dies Gefühl unbekannt: sie freuen sich vielmehr darüber, wenn das alltägliche Leben unterbrochen wird, wenn sie aus der gewohnten Umgebung herauskommen. Neshdanow war so in Gedanken versunken, daß er fast unbewußt sein Denken in laute Worte zu kleiden begann; die in ihm gährenden Empfindungen gestalteten sich bereits zu regelrechten Tongebilden . . .

      – Pfui Teufel! – schrie er plötzlich laut auf, – wie es scheint, bin ich nahe daran Verse zu machen! – Er fuhr auf und trat vom Fenster zurück, erblickte den auf dem Tisch liegenden Zehn-Rubelschein Paklin’s, steckte ihn in die Tasche und begann auf und ab zu gehen.

      – Ich muß das Handgeld nehmen, – dachte er bei sich selbst . . . da dieser Herr es mir anbietet. – Hundert Rubel . . . und noch bei den Brüdern –

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