Скачать книгу

vergingen ungefähr zwei Minuten. Darauf kam über Alle das Gefühl einer gewissen Verlegenheit. Paklin spürte zuerst die Nothwendigkeit, das Schweigen zu brechen.

      – Wie bleibt es also? – begann er. – Nimmt man mein Opfer auf den Altar des Vaterlandes an oder nicht? Gestattet man mir, wenn auch nicht das ganze Geld, so doch wenigstens fünfundzwanzig oder dreißig Rubel darzubringen?

      Neshdanow wurde plötzlich feuerroth vor Zorn. Die lange niedergehaltene Erbitterung schien ihren Höhepunkt erreicht zu haben . . . Die feierliche Verbrennung des Briefes hatte sie nicht gemindert, – es war, als hätte sein Zorn nur auf einen Vorwand gewartet, um zum Ausbruch zu kommen.

      – Ich habe Dir bereits gesagt, daß es nicht nöthig ist, nicht nöthig . . .nicht nöthig! Ich lasse es nicht zu und werde es nicht annehmen. Ich schaffe das Geld, ich schaffe es gleich. Ich brauche keine Hilfe, von Niemand!

      – Nun, Freund, – entgegnete Paklin – ich sehe, wenn Du auch ein Revolutionär bist – so bist Du doch kein Demokrat!

      – Sage doch lieber gerade heraus, daß ich ein Aristokrat bin!

      – Du bist auch wirklich ein Aristokrat bis zu einem gewissen Grade.

      Neshdanow lachte gezwungen auf.

      – Das heißt, Du spielst darauf an, daß ich ein uneheliches Kind bin. Deine Mühe ist vergebens, mein Lieber . . . Ich vergesse es auch so nicht.

      Paklin schlug die Hände zusammen.

      – Alex, ich bitte Dich, was ist Dir! Wie kannst Du meinen Worten eine solche Deutung geben! Ich erkenne Dich heute nicht. Neshdanow machte eine ungeduldige Bewegung mit Kopf und Schultern. – Hat Dich Bassanow’s Verhaftung so aufgeregt? – aber er ist doch selbst stets so unvorsichtig gewesen . . .

      – Er hat aus seiner Ueberzeugung kein Hehl gemacht, – warf Maschurina mit finsterer Miene ein: – es steht uns nicht an, ihn zu verurtheilen!

      – Ganz recht; er hätte nur auch an die Andern denken sollen, die setzt durch ihn kompromittirt werden können.

      – Woher glauben Sie in solcher Weise von ihm sprechen zu dürfen? – ertönte jetzt der Baß Ostrodumow’s: – Bassanow ist ein Mensch von festem Charakter; er wird Niemanden verrathen. Was aber die Vorsicht betrifft . . . wissen Sie? es ist nicht Jedem gegeben, vorsichtig zu sein, Herr Paklin!

      Paklin fühlte sich gekränkt und wollte ihm etwas entgegnen, aber Neshdanow hielt ihn zurück.

      – Meine Herren! – rief er aus, – thut mir den Gefallen und laßt die Politik auf kurze Zeit bei Seite! Es entstand eine Pause.

      – Ich habe heute Skoropichin gesehen, – fing Paklin endlich wieder an, – aller Reußen Kritiker und Aesthetiker und Enthusiast. Was für ein unerträgliches Geschöpf! Ewig kocht und zischt es in ihm wie in einer Flasche gemeinen, süßlichen Kwasses . . . beim Laufen hat sie der Kellner statt des Pfropfens mit dem Finger verstopft, im Halse der Flasche ist eine angeschwollene Rosine stecken geblieben – es pfeift und spritzt aus derselben – wenn aber der Schaum heraus ist – so bleiben auf dem Boden nur noch einige Tropfen einer höchst garstigen Flüssigkeit, welche Niemandes Durst zu stillen im Stande sind, sondern nur Bauchgrimmen verursachen können . . . Ein den jungen Leuten höchst schädliches Individuum!

      Paklin’s Vergleich, so richtig und treffend er auch war, vermochte trotzdem Niemand von den Anwesenden zum Lachen zu bewegen. Blos Ostrodumow bemerkte, daß um die jungen Leute, welche sich für Aesthetik zu interessiren im Stande seien, zu klagen unnütz wäre, selbst wenn sie durch Skoropichin auch irre geleitet werden sollten.

      – Aber ich bitte Sie, hören Sie doch – rief Paklin heftig aus – je weniger er Beifall fand, desto mehr pflegte er in Eifer zu gerathen – das ist freilich keine politische Frage, aber doch jedenfalls eine Frage von großer Bedeutung. Wenn man Skoropichin angehört, so ist jedes ältere künstlerische Werk schon einfach deshalb nichts werth, weil es alt ist . . . Aber in diesem Falle ist die künstlerische Produktion, die Kunst ja nur Sache der Mode – und es verlohnte nicht der Mühe, darüber noch ernstlich zu sprechen! Wenn nichts Hohes, nichts Ewiges in ihr enthalten ist – dann hol’ sie der Teufel! In der Wissenschaft, z. B. in der Mathematik: da werdet Ihr doch nicht behaupten, daß Euler, Laplace, Gauß triviale Größen seien, deren Zeit längst vorüber ist? Ihr seid deren Autorität anzuerkennen bereit – Raphael und Mozart aber sind Narren? und Euer Stolz lehnt sich gegen die Autorität derselben auf? Die Gesetze der Kunst sind schwerer zu ergründen, als die Gesetze der Wissenschaft, – ich gebe es zu; aber nichtsdestoweniger sind sie da – und wer sie nicht sieht, der ist blind; ob freiwillig oder unfreiwillig – das bleibt sich gleich!

      Paklin schwieg . . . und Niemand öffnete die Lippen, als ob Alle den Mund voll Wasser genommen hätten – als ob sie sich seiner gewissermaßen schämten. Nur Ostrodumow brummte: – Und doch bedaure ich jene jungen Leute, welche Skoropichin irre leitet, nicht im Geringsten!

      »Ah, Gott mit Euch!« dachte Paklin. »Ich gehe lieber fort!«

      Er war zu Neshdanow gekommen, um ihm seine Gedanken über die Zustellung des »Polarsterns« (der »Kolokol« existirte damals nicht mehr) mitzutheilen – aber die Unterhaltung hatte eine solche Wendung genommen, daß er es für besser fand, diese Frage gar nicht zu berühren. Paklin hatte bereits seine Mütze in die Hand genommen, als im Vorzimmer plötzlich, ohne daß ein Geräusch irgend welcher Art vorausgegangen wäre, eine merkwürdig angenehme, männliche volle Baritonstimme ertönte, in deren bloßem Klange schon etwas ungewöhnlich Wohlanständiges, Wohlerzogenes, ja sogar ein gewisser Schmelz lag.

      – Ist Herr Neshdanow zu Hause?

      Alle sahen sich verwundert an.

      – Ist Herr Neshdanow zu Hauses – wiederholte der Bariton.

      – Ja – antwortete endlich Neshdanow.

      Die Thür wurde leicht und bescheiden geöffnet, und es trat, langsam den glatt gebügelten Hut von dem wohlgebildeten, kurzhaarigen Kopfe ziehend, ein hoher, schlanker Mann von würdiger Haltung im Alter von ungefähr vierzig Jahren in’s Zimmer. In einem vortrefflichen Tuch-Paletot mit einem prachtvollen Biberkragen steckend, ungeachtet dessen, daß der April bereits seinem Ende entgegenging, – übte sein Auftreten auf Alle, auf Neshdanow, Paklin, ja sogar auf Maschurina und selbst auf Ostrodumow – durch das ungekünstelte Selbstgefühl seiner Haltung und die freundliche Ruhe seines Grußes große Wirkung aus. Unwillkürlich erhoben sich Alle bei seinem Eintritt.

      Drittes Capitel

      Der elegant gekleidete Herr trat auf Neshdanow zu und begann mit wohlwollendem Lächeln:

      Ich habe bereits ein Mal das Vergnügen gehabt, Sie zu sehen und mich mit Ihnen sogar zu unterhalten, Herr Neshdanow, vorgestern, wenn Sie sich dessen vielleicht erinnern – im Theater. Der Fremde hielt inne, als erwarte er eine Antwort; Neshdanow nickte mit dem Kopf und erröthete. – Ja! . . . und heute komme ich in Folge der Anzeige zu Ihnen, die Sie in die Zeitung haben einrücken lassen. Ich möchte mit Ihnen über Einiges sprechen, wenn ich nur die Herrschaften . . . Der Fremde verbeugte sich gegen Maschurina und machte mit der rechten, von einem graufarbenen schwedischen Handschuh bekleideten Hand eine Bewegung in der Richtung zu Paklin und Ostrodumow hin – nicht störe . . .

      – Nein . . . durchaus nicht . . . antwortete Neshdanow, nicht ohne eine gewisse Anstrengung. – Die Herrschaften werden gestatten . . . Wollen Sie sich nicht setzen?

      Der Fremde machte eine verbindliche Bewegung, und zog den Stuhl an der Lehne zu sich heran, ohne sich jedoch zu setzen – da im Zimmer Alle standen – und ließ die hellen, wenn auch halb geschlossenen Augen, im Kreise umherschweifen.

      – Adieu, Alexei Dmitrijewitsch, – sagte plötzlich Maschurina: – ich komme später wieder vor.

      – Ich auch, – fügte Ostrodumow hinzu. – Ich auch . . . später.

      Dem Fremden ausweichend – gleichsam demselben zum Trotz, – ergriff Maschurina die Hand Neshdanow’s, drückte sie stark und ging, ohne Jemand zu grüßen, hinaus. Ostrodumow folgte ihr, unnützer Weise mit den Stiefeln polternd und zwei Mal sogar in ein kaum verhaltenes, spöttisches

Скачать книгу