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Frau theilt meine Anschauungsweise, – fuhr er fort: – die Ideen derselben sind den Ihrigen vielleicht noch näher, als den meinigen; es ist ja auch begreiflich: sie ist jünger! – Als ich am Tage nach unserer Begegnung Ihren Namen in der Zeitung las, den Sie, beiläufig bemerkt, gegen den üblichen Brauch neben Ihre Adresse gesetzt – Ihr Name war mir schon im Theater genannt worden – so . . . ist . . . so hat mich diese Thatsache mächtig ergriffen. Ich erblickte in diesem Zusammentreffen – gewissermaßen eine Fügung des Schicksals! – Sie sprachen vorhin von Empfehlungen; ich brauche keine Empfehlungen. Ihr Aeußeres, Ihre Persönlichkeit erregen meine Sympathie. Das genügt mir. Ich bin gewohnt, meinen Augen zu trauen. Ich kann also hoffen? Sind wir einverstanden?

      – Ich bin bereit . . . natürlich . . . – antwortete Neshdanow – ich werde mich bemühen, Ihr Vertrauen zu rechtfertigen. Doch müssen Sie mir gestatten, Sie gleich jetzt auf einen Umstand aufmerksam zu machen; ich bin bereit der Lehrer Ihres Sohnes zu sein, nicht aber sein Gouverneur. Dazu tauge ich nicht – auch will ich nicht Sklave sein, will meiner Freiheit nicht verlustig gehen.

      Ssipjagin machte eine leichte Bewegung mit der Hand, als ob er eine Fliege verscheuche.

      – Seien Sie unbesorgt, mein Liebster . . . Aus dem Teig, aus welchem Sie gebildet sind, backt man keine Gouverneure; – ich brauche ja auch keinen Gouverneur. – Ich suche einen Lehrer – und habe ihn gefunden. Nun, wie lauten aber Ihre Bedingungen? Das verächtliche Gold?

      Neshdanow wußte nicht, was er sagen sollte . . .

      – Hören Sie, – sprach Ssipjagin weiter, den Oberkörper nach vorne beugend und Neshdanow’s Knie mit den Fingerspitzen freundlich berührend: – unter anständigen Leuten werden solche Fragen mit zwei Worten gelöst. Ich! biete Ihnen hundert Rubel monatlich; die Reisekosten hin und zurück werden natürlich von mir getragen. – Sind Sie damit einverstanden?

      Neshdanow erröthete von Neuem.

      – Das ist vielmehr, als ich verlangen wollte . . . weil . . . ich . . .

      – Vortrefflich, vortrefflich – unterbrach ihn Ssipjagin . . . In meinen Augen ist die Sache also abgemacht und Sie sind – mein Hausgenosse. – Er stand auf – und wurde plötzlich so heiter und zufrieden, als ob er ein Geschenk erhalten hätte. In allen seinen Bewegungen that sich jetzt eine gewisse angenehme Familiarität und scherzhafte Laune kund. – Wir reisen in diesen Tagen, – begann er wieder in verbindlich ungezwungenem Tone: – ich liebe es, den Frühling im Dorfe zu begrüßen, obgleich ich in Folge meiner Beschäftigung ein prosaischer, an die Stadt gefesselter Mensch bin . . . Erlauben Sie daher den ersten Monat vom heutigen Tage an zu rechnen . . . Meine Frau ist mit unserm Sohne jetzt schon in Moskau. Sie ist vorausgefahren. Wir finden sie im Dorfe . . . am Busen der Natur. Wir reisen zusammen als Junggesellen He, he! – lächelte Ssipjagin, kokett die Nase bewegend. – Jetzt aber . .

      Er holte aus der Paletot-Tasche ein kleines silbernes Taschenbuch hervor, dem er eine Visitenkarte entnahm.

      – Meine Adresse hier in der Stadt. Kommen Sie bei mir vor – morgen vielleicht. So gegen zwölf. Wir sprechen noch mit einander. Ich werde Ihnen einige meiner Gedanken über Erziehung mittheilen und – dann bestimmen wir auch den Tag der Abreise. – Ssipjagin ergriff Neshdanow’s Hand. – Und wissen Sie was? – fügte er mit gedämpfter Stimme und auf die Seite geneigtem Kopfe hinzu: – wenn Sie vielleicht Geld brauchen . . . Bitte, ohne viele Umstände! wenn auch einen Monat voraus!

      Neshdanow wußte einfach nicht, was er ihm antworten sollte – und sah noch immer in derselben staunenden Weise dies helle, freundliche – und doch auch wieder so fremde Antlitz, welches sich so nah zu ihm herabbeugte und ihm so gönnerhaft zulächelte.

      – Sie brauchen es nicht? nein? – flüsterte Ssipjagin.

      – Wenn Sie erlauben, werde ich es Ihnen morgen sagen, – brachte Neshdanow endlich hervor.

      – Vortrefflich! Also – auf Wiedersehen! Bis morgens – Ssipjagin ließ die Hand Neshdanow’s fahren – und wollte gehen . . .

      – Erlauben Sie mir eine Frage – wandte sich Neshdanow plötzlich zu ihm: Sie haben mir eben gesagt, daß Sie meinen Namen schon im Theater erfahren hätten.

      – Von wem erfuhren Sie ihn?

      – Von wem? – Von einem Ihrer guten Bekannten, und ich glaube sogar Verwandten, vom Fürsten . . . Fürsten G.

      – Dem Flügel-Adjutanten?

      – Ja; von ihm.

      Neshdanow erröthete – stärker als zuvor – und öffnete den Mund . . . Aber er sagte nichts. Ssipjagin drückte ihm von Neuem die Hand – dies Mal jedoch ohne ein Wort zu sprechen, – setzte, nachdem er zuerst Neshdanow, dann Paklin gegrüßt, dicht vor der Thür den Hut auf und verließ mit einem selbstzufriedenen Lächeln das Zimmer: es sprach sich darin das Bewußtsein des tiefen Eindrucks aus, den sein Besuch, wie es auch nicht anders sein konnte, hervorgebracht hatte.

      Viertes Capitel

      Kaum hatte Ssipjagin die Schwelle der Thür überschritten, so sprang Paklin vom Stuhl, auf dem er gesessen, auf und stürzte auf Neshdanow zu, um ihm zu gratuliren.

      – Hast Du aber einen guten Fang gethan! – rief er kichernd und mit den Füßen trampelnd. – Weißt Du denn, wer das ist? – Der bekannte Ssipjagin, Kammerherr, gewissermaßen eine Stütze des Staats, ein zukünftiger Minister!

      – Er ist mir gänzlich unbekannt, – entgegnete finster Neshdanow.

      – Das ist eben unser Unglück, Alexei Dmitritsch, daß wir Niemand kennen! Wir wollen handeln, wollen eine ganze Welt von oberst zu unterst kehren – leben aber selbst abgeschlossen von dieser Welt, sehen Niemand, als nur die zwei oder drei Freunde, drehen uns auf einem Platze, im engen Kreise herum . . .

      – Entschuldige, – unterbrach ihn Neshdanow: – das ist nicht wahr. Es sind nur unsere Feinde, mit denen wir nichts zu thun haben wollen; mit Leuten unseres Schlages aber, mit dem Volke, stehen wir in ununterbrochener Verbindung.

      – Halt, halt, halt, halt! – unterbrach ihn seinerseits Paklin wieder. – Erstens: was die Freunde betrifft, – so erlaube, daß ich Dir ein Goethe’sches Wort in Erinnerung bringe:

      Wer den Dichter will verstehen,

      Muß in Dichters Lande gehen.

      – ich aber sage:

      Wer die Feinde will verstehen,

      Muß in Feindes Lande gehen.

      Seine Feinde meiden, ihre Sitten und Gebräuche nicht kennen zu lernen trachten – das ist unsinnig! – Un . . . sin. . . nig!. . . Ja! Ja! Wenn ich im Walde den Wolf schießen will, so muß ich alle seine Schlupflöcher kennen . . . Zweitens-: Du hast eben gesagt: man muß sich dem Volke nähern. . . Liebes Herz! Im Jahre 1862 gingen die Polen in die Wälder-; auch wir gehen setzt in einen Wald, d. h. unter das Volk, welches für uns nicht weniger dunkel und undurchdringlich ist, als jeder beliebige Wald!

      – Was sollen wir also, wenns nach Dir ginge, thun?

      – Die Indier weisen sich unter Dschagannath’s Wagen, – fuhr Paklin mit düsterer Miene fort: – der Wagen zerdrückt sie, und sie sterben – voll Glückseligkeit. Auch wir besitzen unseren Dschagannath. Uns zerdrücken – das thut er wohl auch! aber glückselig macht er uns doch nicht.

      – Was sollen wir also thun? – wiederholte fast schreiend Neshdanow. Tendenziöse Romane schreiben, oder was?

      Paklin breitete die Arme aus und neigte das Köpfchen auf die linke Schulter.

      – — Romane – könntest Du jedenfalls schreiben, da eine dichterische Ader wohl in Dir zu spüren ist. . . Nun, ärgere Dich nicht, ich rede nicht mehr! Ich weiß, Du liebst es nicht, daß man darauf anspielt; aber ich bin ganz Deiner Meinung: dergleichen Stückchen mit »Füllniß« zu fabriziren – und noch mit neumodischen Wendungen dazu: – »Ach! ich liebe Sie! sprang sie herzu« . . . »Mir ist es gleich! kratzte er sich« – da ist wahrhaftig nichts

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