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schreibt eine Gutsbesitzerin, eine Witwe, ihre Tochter liege im Sterben, ich solle um Gottes Willen hinfahren, auch Pferde seien nach mir geschickt. Das wäre alles noch gar nichts . . . Sie wohnt aber zwanzig Werst von der Stadt, es ist Nacht, und die Wege – nicht zu sagen! Auch ist’s eine bettelarme Witwe, höchstens zwei Rubel habe ich zu erwarten, und auch das ist noch zweifelhaft; werde mich wohl mit Leinwand oder Graupen bezahlen lassen. Aber Sie verstehen doch: Die Pflicht geht über alles. Da liegt ja ein Mensch im Sterben. Also übergebe ich plötzlich meine Karten dem Gerichtsrat Kalliopin und gehe nach Hause. Ich sehe, vor dem Haus steht ein Bauernwägelchen, furchtbar dicke Bauernpferde, die Haare sind wie Filz, und der Kutscher sitzt vor Ehrfurcht ohne Mütze da. Ich denke mir: Nun, Bruder, deine Herrschaft speist wohl nicht von goldenen Tellern . . . Sie belieben zu lachen, aber ich muß Ihnen sagen, daß unsereins, armer Mensch, alles in Erwägung ziehen muß . . . Wenn der Kutscher wie ein Fürst dasitzt, die Mütze gar nicht abnimmt, dazu in den Bart lächelt und auch noch mit der Peitsche spielt – dann kann man sicher zwei Depositenscheine verlangen! Aber hier sehe ich, es riecht nicht danach. Doch ich denke mir: Es ist nichts zu machen, die Pflicht geht über alles. Ich nehme die notwendigsten Arzneien und fahre davon. Glauben Sie mir, wir kamen kaum an. Der Weg ist höllisch: Bäche, Schnee, Schmutz, ausgespülte Stellen, und an einer Stelle hat das Wasser gar den Damm durchbrochen – ein wahres Unglück! Ich komme aber doch an. Ein kleines Häuschen, mit Stroh gedeckt. In den Fenstern ist Licht: Also erwartet man mich. Mich empfängt ein ehrwürdiges, altes Mütterchen, mit einer Haube. ›Retten Sie sie‹, sagt sie, ›sie stirbt.‹ Ich sage: ›Beunruhigen Sie sich nicht. Wo ist die Kranke?« – ›Bitte, hier.‹ – Ich sehe ein sauberes Zimmerchen, in der Ecke brennt ein Lämpchen, im Bett liegt ein Fräulein, vielleicht zwanzig Jahre alt, bewußtlos. Sie glüht förmlich, und sie atmet schwer: hohes Fieber. Da sind auch zwei andere junge Mädchen dabei, ihre Schwestern – ganz erschrocken, in Tränen aufgelöst. ›Gestern‹, sagen sie, ›war sie noch gesund und aß mit Appetit; heute früh klagte sie über Kopfweh, und plötzlich gegen Abend ist sie in diesem Zustand.‹ Ich sage wieder: ›Beunruhigen Sie sich bitte nicht . . .‹. Es ist, wissen Sie, die Pflicht des Arztes – und mache mich an die Arbeit. Ich lasse sie zur Ader, verordne ein Senfpflaster und verschreibe eine Mixtur., Indessen sehe ich sie an, und wissen Sie: Bei Gott, so ein Gesicht habe ich noch nie gesehen – mit einem Wort, eine Schönheit! Das Mitleid schneidet mir das Herz entzwei. Die Gesichtszüge sind so angenehm, die Augen . . . Da wird sie, Gott sei Dank, ruhiger; es tritt Schweiß ein, sie kommt zu sich, sieht sich um, lächelt und fährt sich mit der Hand übers Gesicht . . . Die Schwestern beugen sich über sie und fragen: ›Was ist mit dir?‹ – ›Nichts‹, sagt sie und wendet sich weg . . . Ich sehe: Sie ist eingeschlafen. Nun sage ich, daß man die Kranke in Ruhe lassen solle. So gingen wir alle auf den Zehenspitzen hinaus, nur ein Dienstmädchen blieb für alle Fälle bei ihr. Im Gastzimmer steht aber schon der Samowar auf dem Tisch, auch Jamaikarum ist dabei: In unserem Berufe geht es eben nicht anders. Man gibt mir Tee und bittet mich, über Nacht dazubleiben . . . Ich willige ein. Wohin soll ich jetzt noch fahren? Das alte Mütterchen stöhnt immer. ›Was haben Sie?‹ sage ich ihr. ›Sie wird am Leben bleiben, machen Sie sich keine Sorgen und ruhen Sie sich lieber selbst aus, es ist schon nach zwei.‹ – ›Aber Sie werden mich doch wecken lassen, wenn was passiert?‹ – ›Gewiß, gewiß.‹ – Die Alte begab sich zur Ruhe, und auch die jungen Mädchen gingen auf ihr Zimmer; mir richtete man im Gastzimmer ein Bett her. So legte ich mich hin, konnte aber nicht einschlafen – merkwürdig! Ich war doch wirklich müde genug. Aber meine Kranke ging mir nicht aus dem Sinn. Endlich hielt ich es nicht länger aus, stand plötzlich auf; ich denke mir: Ich will mal hingehen und nachschauen, was die Patientin macht. Ihr Schlafzimmer ist aber neben dem Gastzimmer. Ich stehe also auf und öffne leise die Tür; das Herz klopft mir dabei. Ich sehe, das Dienstmädchen schläft, hat den Mund offen und schnarcht sogar, die Bestie! Die Kranke aber liegt mit dem Gesicht zu mir und hat die Hände nach beiden Seiten geworfen, die Ärmste. Ich komme näher . . . Da öffnet sie plötzlich die Augen und sieht mich an! ›Wer ist das? Wer ist das?‹ – Ich wurde verlegen. – ›Fürchten Sie sich nicht‹, sage ich ihr, ›gnädiges Fräulein, ich bin der Arzt und will nachsehen, wie Sie sich fühlen.‹ – ›Sind Sie der Arzt?‹ – ›Gewiß . . . Ihre Frau Mama hat mich aus der Stadt holen lassen; wir haben Sie zur Ader gelassen, gnädiges Fräulein; wollen Sie jetzt schlafen, und in zwei Tagen werden wir Sie, so Gott will, wieder auf die Füße bringen.‹ – ›Ach, ja, ja, Doktor, lassen Sie mich, nicht sterben . . . bitte, bitte.‹ – ›Was haben Sie, Gott sei mit Ihnen!‹ – Sie hat wohl wieder Fieber, denke ich mir; ich fühle ihr den Puls, sie hat wirklich Fieber. Sie sah mich an und ergreift plötzlich meine Hand. ›Ich will Ihnen sagen, warum ich nicht sterben will, ich will es Ihnen sagen, ich will es Ihnen sagen . . . wir sind jetzt allein; aber bitte, Sie dürfen es niemand . . . hören Sie . . .‹ Ich beugte mich über sie; sie nähert ihre Lippen meinem Ohr, ihre Haare berühren dabei meine Wange . . . ich muß gestehen, mir schwindelte der Kopf – und sie fängt zu flüstern an . . . Gar nichts verstehe ich . . . Ach, sie phantasiert ja . . . Sie flüstert und flüstert so schnell, und es klingt gar nicht wie Russisch. Als sie fertig war, fuhr sie zusammen, ließ den Kopf in die Kissen sinken und drohte mir mit dem Finger. ›Also passen Sie auf, Doktor, keinem Menschen . . .‹ Ich beruhigte sie einigermaßen, gab ihr zu trinken, weckte das Dienstmädchen und ging hinaus.«

      Der Kreisarzt nahm mit wütender Gebärde eine Prise und blieb einen Augenblick lang starr.

      »Indessen«, fuhr er fort, »ging es der Kranken am anderen Tag, gegen meine Erwartung, nicht besser. Ich überlegte und überlegte und entschloß mich plötzlich, zu bleiben, obwohl mich andere Patienten erwarteten . . . Sie wissen doch, man darf seine Patienten nicht negligieren, die Praxis leidet darunter. Erstens befand sich aber die Kranke wirklich in einem verzweifelten Zustand; und zweitens fühlte ich mich, offen gestanden, zu ihr stark hingezogen. Außerdem gefiel mir auch die ganze Familie. Die Leute waren zwar arm, aber doch von einer seltenen Bildung . . . Der Vater war ein gelehrter Mann und sogar Schriftsteller gewesen; er war natürlich arm gestorben, hatte aber seinen Kindern eine ausgezeichnete Erziehung gegeben, hatte auch viele Bücher hinterlassen. Kam es daher, weil ich mich mit besonderem Eifer um die Kranke bemühte, oder aus einem anderen Grunde, jedenfalls darf ich sagen, daß sie mich im Hause liebgewonnen hatten wie einen Verwandten. Die Wege waren indessen noch schlechter geworden, jede Kommunikation hatte sozusagen aufgehört; selbst die Arzneien konnte man nur mit großer Mühe aus der Stadt beschaffen . . . Der Kranken ging es nicht besser . . . Ein Tag verging nach dem anderen . . . Und da . . . da . . .«

      Der Kreisarzt schwieg eine Weile.

      »Ich weiß wirklich nicht wie ich es Ihnen sagen soll . . .« Er nahm wieder eine Prise, räusperte sich und trank einen Schluck Tee. »Ich will es Ihnen ohne Umschweife sagen, daß sich meine Patientin . . . in mich, wie man es so nennt . . . daß sie sich in mich verliebt hat . . . oder nein, eigentlich nicht verliebt . . . übrigens aber . . . wirklich . . .«

      Der Kreisarzt senkte den Kopf und errötete.

      »Nein«, fuhr er lebhaft fort, »von Verliebtheit war natürlich nicht die Rede! Jeder Mensch muß doch seinen Wert kennen. Sie war ein gebildetes, kluges und belesenes Mädchen, ich habe sogar mein Latein fast ganz vergessen. Und was das Äußere betrifft« – der Kreisarzt sah mich mit einem Lächeln an, »so kann ich damit wohl nicht prahlen. Aber als Dummkopf hat mich der liebe Gott auch nicht in die Welt gesetzt: Was weiß ist, werde ich nicht schwarz nennen; ich verstehe einiges von den Dingen. Ich hatte zum Beispiel sehr gut begriffen, daß Alexandra Andrejewna – keine Liebe zu mir empfand, sondern nur eine sozusagen freundschaftliche Zuneigung, eine Art Achtung. Es ist zwar möglich, daß sie sich selbst darin täuschte, aber sie befand sich in einer solchen Lage, Sie können es sich selbst denken . . . Übrigens«, fügte der Kreisarzt hinzu, der alle diese abgebrochenen Sätze in einem Atem und in sichtlicher Verwirrung gesprochen hatte, »ich bin, glaube ich, zu weit abgeschweift . . . So werden Sie nichts verstehen . . . gestatten Sie, daß ich Ihnen alles der Reihe nach erzähle.«

      Er trank sein Glas Tee aus und fuhr mit ruhigerer Stimme fort.

      »So war es also. Meiner Kranken ging es immer schlimmer und schlimmer.

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