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Eine verworrene Geschichte. Hendrik Conscience
Читать онлайн.Название Eine verworrene Geschichte
Год выпуска 0
isbn
Автор произведения Hendrik Conscience
Жанр Зарубежная классика
Издательство Public Domain
Coutermann warf seinem Sohne einen strengen Blick zu, vor dem dieser mit einem Seufzer die Augen niederschlug.
»Ich irre mich wohl,« zagte der Pächter kopfschüttelnd. »Alles nur Mögliche habe ich angewendet um den Schlag von Dir abzuwenden. Denke nur Urban, ich habe der Base Roosen angeboten, Dich selbstständig auf einen Pachthof zu setzen, Dir mein Pferd, einen Theil meines Viehs, und alles Geld zu überlassen, aber mit dieser Frau ist nichts anzufangen.«
»Vater, ach hättest Du in deiner unendlichen Güte noch etwas mehr gethan!« rief Urban aus.
»Noch mehr? Du setzest mich in Erstaunen, was willst Du damit sagen?« brummte der Pächter die Stirn runzelnd. »Wie auch Du konntest wünschen, daß ich . . . Unmöglich.«
Frau Coutermann, welche bis dahin weinend in einem Winkel der Stube gestanden hatte, trat nun hinzu und schlang ihre Arme um den Hals ihres Mannes.
»Thomas, Thomas,« flehte sie, »laß Dein Herz erweichen, sei nicht unerbittlich! Ach, wie kannst Du den Kummer unseres armen Kindes länger ansehn? Welche Freude dürfen wir uns noch von Geld und Gut versprechen, wenn wir, um es behalten zu können, unsern einzigen Sohn zu einem Leben voll Verzweiflung und Jammer verurtheilen? Tritt Urban und Cilia unsern Pachthof ab, da die Base Roosen es denn durchaus will; wir bleiben bei unsern Kindern, die uns um so mehr lieben werden, weil wir Alles hingaben, sie glücklich zu machen.«
»Vater, bester Vater,« fügte Urban hinzu, »wenn ich es auch nur auf einen Augenblick vergessen könnte, – wenn ich meine Ehrfurcht, meine Dankbarkeit jemals abnehmen sollte, ich verdiente nicht eines seligen Todes zu sterben! Ach, habe Mitleiden mit meinem Schmerz!«
»Mitleid!« wiederholte der Pächter in bitterem Ton, »ja Du mußt in der That sehr unglücklich, halb wahnsinnig vor Schmerz sein, um so etwas Unmögliches von mir zu verlangen! Von Dir wenigstens hatte ich das nicht erwartet, mein Sohn!«
»Thomas laß Dich erweichen; rette Urban, rette Cilia mit einem einzigen gütigen Wort,« rief die Pächterin.
»Ja Du bist die Mutter,« vesetzte Coutermann »die Liebe zu Deinem Sohn verblendet Dich, aber er ist ein Mann . . . «
»Vergebung, Vater, Vergebung! Die Verzweiflung ist stärker als ich,« bat der junge Bauer.
»So scheint es, mein Kind: Du weißt eben so wenig wie Deine Mutter, was Ihr verlangt,« erwiderte der Pächter mit Nachdruck. »Auf diesem Hofe bin ich geboren, unter diesem Fenster stand meine Wiege, am Heerde dort glaube ich noch immer meine Mutter singend oder erzählend vor ihrem Spinnrädchen sitzen zu sehen, hier in diesem großen Armstuhl ist mein Vater mich segnend sanft im Herrn einschlafen. Jeder Grashalm auf diesem Hofe hat einen Tropfen meines Schweines getrunken, jeder Stein war ein Freund meiner Kindheit; meine Freude, meine und Liebe, meine Schmerzen, sie stehn eingegraben auf Allem, was mich hier umgibt . . . Und in meinen alten Tagen sollte ich mein heimatliches Dach verlassen und wie ein Fremdling in der Welt herumirren?«
»Aber nein, Thomas,« unterbrach ihn seine Frau »wir wollen hier wohnen bleiben! Es soll sich nichts ändern . . . «
»Vater ich wurde Dir nach wie vor mit derselben Liebe und Unterwürfigkeit gehorchen . . . «
»Es soll sich nichts ändern!« wiederholte der Pächter den Kopf schüttelnd, »das ist leicht gesagt, aber wer steht dafür ein? Ist nicht der Tod da, der jeden menschlichen Willen zu Nichte macht? Vorausgesetzt, Urban heirathet Cilia: kann unser Sohn nicht sterben, da wir doch Alle sterblich sind? Cilia ist dann die alleinige Eigenthümerin und wenn sie sich wieder vermählt, wird ihr neuer Mann, da wohl eben so gut sein gegen uns alte abgelebte Leute die zu viel essen und zu wenig arbeiten? Ja wie Ihr Euch auch sträuben mögt gegen die traurigen Erwägungen, die Sache ist wie ich Euch sage, und der Mensch soll der Vernunft und Wahrheit sein Ohr nicht verschließen. Haben wir nach dieser Richtung nicht Beispiele genug? Sie umgeben uns von allen Seiten. Da ist Stephan der achtzigjährige Greis, der sich des Sonntags hier ein Stückchen Brod bettelt; er war früher ein wohlhabender Pächter. Auch er hat seinem Sohne Alles überlassen; der Sohn ist gestorben, dann des Sohnes Frau; durch Erbschaft ist sein ganzer Besitz in fremde Hände gekommen und um den Alten kümmert sich Niemand.
»Er hat sich ausgekleidet bevor er schlafen ging und mußte hart für seine Unvorsichtigkeit büßen. Glaube nicht, Urban, daß der Eigennutz mir diese Worte eingibt; handelte er sich nur um mich, ich würde, aus Liebe zu Dir, wahrscheinlich Alles opfern aber Deine Mutter kann uns alle überleben, müssen wir nicht fürchten, daß sie einst, wie jetzt der alte Stephan, ihr Brod an den Thüren zu betteln genöthigt ist? Wenn wir der Base Roosen Gehör schenken, so ermöglichen wir solche schrecklichen Verhältnisse und das soll nimmer geschehen, nein nun und nimmermehr!«
»Ist es nur das, was Dich abhält, Thomas, so gib so gib so bald als möglich Deine Einwilligung!« rief Frau Coutermann eifrig. »Wenn nur Urban glücklich wird, das eigene Schicksal, mag es auch hart sein will ich ertragen.«
»Da höre ich wieder die Mutter aus Dir reden Clara,« versetzte der Pächter; »das eigene Herz gibst Du her, wenn man es für Deinen Sohn von Dir verlangt, meine Pflicht aber ist es ein solches Opfer zu verhindern. Ich bin überzeugt, daß Urban seit er einen klaren Einblick in die Sache gewonnen hat, alle derartigen Gedanken fahren läßt. Sprich Urban, sag daß ich Recht habe.«
Mit einem schmerzlichen Seufzer ließ der junge Mann den Kopf auf die Brust sinken, doch antwortete er nicht. Sein Vater blickte ihn eine Zeitlang schweigend an, er kämpfte mit dein eignen Herzen, doch die Vernunft siegte, denn er murmelte in sich hinein:
»Es kann, es darf nicht sein.«
Da vernahm man plötzlich vor der Tüt einen seltsamen Laut.
»Cilia kommt!« rief Frau Coutermann, »o Gott sie sie scheint bitterlich zu weinen! Was mag geschehn sein?«
Und bevor sie noch ausgesprochen hatte, trat ein junges Mädchen ein, mit nassen rothgeweinten Augen.
»O rettet mich vor Verzweiflung und Tod!« rief sie, dem alten Coutermann um den Hals fliegend »wenn Ihr mich verlaßt bin ich verloren.«
»Beruhige Dich mein Kind,« versetzte er, sich sanft aus ihrer Umarmung lösend, »welch’ neuen Kummer bereitet man Dir?«
»Ach, ich muß die Frau des Markus werden, meine Mutter hat es fest beschlossen,« klagte Cilia und ein tiefes Entsetzen sprach aus ihren Zügen. »In einer Stunde kommt der Amtmann, dann wird mein Urtheil unwiderruflich gefällt. Markus ist ein gottloser Mensch, er flucht, schwört, ist auffahrend, grob und hartherzig, ich hasse und verabscheue ihn, ich fürchte ihn wie den bösen Feind! Seine Frau, seine Sclavin will ich nicht werden, will nicht leben mit ihm; wenn ich auch alle Nahrung von mir weisen und Hungers sterben muß, er soll an meiner Seite nicht den Platz einnehmen, der Urban allein gebührt! Markus, der übermüthige Trunkenbold sollte mit seinen widerwärtigen Lippen den ersten Kuß auf meine Stirn drücken dürfen? Gott o Gott dann laß mich lieber sterben!«
Entkräftet sank sie auf einen Stuhl und verbarg das Gesicht in beiden Händen. Frau Coutermann und Urban traten auf sie zu und wollten sie trösten; Cilia aber sprang auf, kniete vor dem Pächter nieder und flehte mit gefalteten Händen:
»Habt Erbarmen! Ihr allein könnt mich retten! Gebt Meiner Mutter nach und fürchtet nichts, Ihr sollt Herr hier bleiben nach wie vor. Einer Magd gleich will ich Euch arbeiten, für Euch allein; Eure Wünsche will ich errathen, in Euren Augen zu lesen suchen, was Euch erfreuen kann, will Euch lieben wie einen Vater, Euch dankbar sein, als meinem größten Wohltäter. Ihr wollt nicht? Ihr verurtheilt mich zum Tode? O Gnade! Gnade!«
Urban und seine Mutter waren gleichfalls niedergekniet und stimmten ein in ihren Ruf.
Kinder, Kinder, Ihr könnt einen Stein erweichen, murmelte