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geht es dir, Shrek?“

      „Ehrlich gesagt bin ich ganz schön müde. Ich habe heute schon Extremsport gemacht. Man hat mich den ganzen langen Gang einmal herunter und wieder herauf gejagt. Nimm dich in Acht, LeBron James, ich bin dir dicht auf den Fersen.”

      „Weißt du schon, wann sie dich wieder frei lassen?“, fragte Keri.

      „Wenn ich weiterhin gute Fortschritte mache, darf ich vielleicht schon Ende der Woche gehen. Dann sind aber noch zwei Wochen Bettruhe angesagt, bevor ich wieder an den Schreibtisch darf – vorausgesetzt ich habe mich bis dahin nicht vor lauter Langeweile selbst erschossen.“

      Keri saß eine Weile still da. Sie wusste nicht recht, was sie sagen sollte. Eigentlich wollte sie ihm sagen, dass er sich Zeit nehmen sollte, dass seine Gesundheit wichtiger war, als die Arbeit. Andererseits wäre das ziemlich lachhaft, da sie selbst sich auch nicht daran hielt, und das würde er ihr auch unter die Nase reiben.

      Er war angeschossen worden, weil er ihr das Leben gerettet hatte. Sie fühlte sich dafür verantwortlich und sie fühlte noch andere Dinge, über die sie jetzt nicht nachdenken wollte.

      Schließlich beschloss sie, dass jetzt eher Ablenkung angebracht war als ein Vortrag über Gesundheit.

      „Ich wollte dich nach deiner Meinung zu meinem neuen Fall fragen. Hast du Lust auf ein bisschen Psychoanalyse mit Wackelpudding?“, fragte sie.

      „Gratuliere, dann bist du also wieder offiziell einsatzbereit. Lass uns doch den Wackelpudding überspringen und direkt ans Eingemachte gehen.“

      „Okay. Folgendes: Kendra Burlingame, Hausfrau eines berühmten Schönheitschirurgen in Beverly Hills, ist seit gestern früh spurlos verschwunden.“

      „Welcher Tag war gestern nochmal?“, unterbrach Ray. „Sorry, aber die ewige Bettruhe, gemischt mit starken Medikamenten, hat mein Zeitgefühl vollkommen durcheinander gebracht.“

      „Gestern war Montag, Sherlock“, neckte Keri ihn. „Ihr ehrenwerter Gatte sagt, dass er sie gegen sechs Uhr fünfundvierzig zum letzten Mal gesehen hat, bevor er für eine OP nach San Diego gefahren ist. Das heißt, dass sie seit etwa zweiunddreißig Stunden vermisst wird.“

      „Vorausgesetzt, er sagt die Wahrheit. Du weißt genauso gut wie ich, dass der Ehemann immer der erste Verdächtige ist.“

      Keri war etwas genervt davon, dass jeder, einschließlich ihres scharfsinnigen Partners, sie darauf hinwies. Als sie antwortete, konnte sie einen gewissen Unterton nicht unterdrücken.

      „Ach wirklich, Ray? Hast du sonst noch eine wunderbare Weisheit parat, großes Orakel? Vielleicht, dass die Sonne heiß ist, oder dass Grünkohl wie Alufolie schmeckt?“

      „Ich meine ja nur…“

      „Glaub mir, Ray. Das weiß ich selbst. Er ist unser Hauptverdächtiger. Und vielleicht ist sie einfach abgehauen. Aber als professionelle Gesetzeshüter sollten wir vielleicht nach weiteren Spuren suchen, findest du nicht?“

      „Doch, sicher. Dann hast du noch ein zweites Standbein, wenn du ihn verhaftest.“

      „Wunderbar.  Ganz die alte Spürnase, bloß keine unbegründeten Schlüsse ziehen“, neckte sie ihn weiter und bemühte sich, dabei ernst zu bleiben.

      „So bin ich eben. Was hast du noch?“

      „Ich treffe gleich Kendras beste Freundin, sie wohnt hier ganz in der Nähe. Ihr Mann sagte, dass Kendra seit einem Klassentreffen merkwürdig drauf war.“

      „Hast du jemanden nach San Diego geschickt um seine Story zu überprüfen?“

      „Brody ist in dieser Sekunde unterwegs.“

      „Frank Brody ist dein neuer Partner?“, sagte Ray. Jetzt musste er sich bemühen, nicht zu lachen. „Kein Wunder, dass du lieber im Krankenhaus herumhängst. Wie klappt es mit euch beiden?“

      „Warum glaubst du, dass ich nichts dagegen hatte, als er angeboten hat, nach San Diego zu fahren? Die Kollegen vor Ort hätten sich genauso gut um die Zeugen kümmern können, aber er wollte unbedingt selbst fahren, und ich halte alles für eine gute Idee, was ihn und sein Ungeheuer von Auto weit weg von mir beschäftigt,. Übrigens würde ich die Gesellschaft eines abgehalfterten, schlappen, bettlägerigen Sackes wie dir Brody jederzeit vorziehen.“

      Das scherzhafte Geplänkel hatte Keri so sehr entspannt, dass sie jetzt zu spät bemerkte, wie dieser letzte Kommentar sie wieder auf diese verkorkste emotionale Ebene befördert hatte, die sie unbedingt hatte vermeiden wollen. Ray sagte zuerst gar nichts, aber als er den Mund öffnete, um etwas zu entgegnen, kam Keri ihm zuvor.

      „Ich muss los, sonst komme ich zu spät zu dem Treffen mit Kendras Freundin. Ich melde mich später wieder. Übertreib es nicht mit deinem Sport. Versprochen?“

      Ohne auf eine Antwort zu warten, verließ sie das Zimmer. Als sie den Gang hinunter eilte um den Fahrstuhl zu erwischen, ging ihr ein Wort nicht mehr aus dem Kopf.

      Idiot. Idiot. Idiot.

      KAPITEL SECHS

      Während Keri zu Becky Sampsons Haus fuhr, war ihr die Situation mit Ray noch immer peinlich. Sie sah ihr leicht gerötetes Gesicht im Rückspiegel und wendete schnell den Blick ab und zwang sich, an etwas anderes zu denken. Erst jetzt fiel ihr auf, dass sie ihm gar nichts von dem anonymen Hinweis zu Evies Verschwinden und ihrem Ausflug zu der verlassenen Lagerhalle erzählt hatte, weil sie so schnell geflüchtet war.

      Der Fall, Keri! Du musst dich jetzt auf den Fall konzentrieren!

      Sie überlegte, ob sie Detective Edgerton anrufen sollte, der Kendras letzten GPS-Daten überprüfte. Vielleicht hatte er inzwischen etwas herausgefunden.

      Auch wenn sie diese Informationen dringend brauchten, gefiel es ihr nicht, dass seine Arbeit an Pachangas Rechner davon unterbrochen wurde. Als sie zum ersten Mal Zugang zu seinen Dateien bekommen hatten, hatte Keri sich sehr gefreut, endlich mehr über das Netzwerk der Kindesentführer herausfinden zu können, doch die Freude war schnell in Frust umgeschlagen, als sich herausstellte, dass jede einzelne Datei zusätzlich verschlüsselt war.

      Keri war sich sicher, dass sie den Schlüssel bei einem ganz anderen finden würde – bei Pachangas Anwalt Jackson Cave. Heute würde sie Cave einen Besuch abstatten, auch wenn sie sich eigentlich auf den neuen Fall konzentrieren musste.

      Gerade als sie diesen Beschluss gefasst hatte, erreichte Keri Becky Sampsons Haus.

      Cave muss warten. Kendra Burlingame braucht mich jetzt. Reiss‘ dich zusammen, Keri!

      Sie stieg aus dem Wagen aus und musterte die Nachbarschaft, während sie zum Eingang ging. Becky Sampson wohnte in einem dreistöckigen Wohnkomplex, das sich in die Reihe der übertrieben verzierten Gebäude im North Stanley Drive bestens einfügte.

      Dieser Teil von Beverly Hills, südlich von Cedars-Sinai und Burton Way und westlich des Robertson Boulevards, gehörte technisch gesehen zwar noch zu Beverly Hills, doch er war umgeben von den Gewerbegebieten und Ausläufern der Stadt Los Angeles, weswegen die Miete dort um einiges erschwinglicher war. Dennoch rissen sich die Leute um Wohnungen und Häuser hier, schließlich lautete die Adresse auf Beverly Hills.

      Keri klingelte und wurde sofort ins Haus gelassen. Ihr wurde schnell klar, dass die Postleitzahl den größten Reiz dieser Gegend ausmachte. Als sie auf den Aufzug zuging, fiel ihr der dicke, abgelaufene Teppich und die rosafarbenen Wände auf, die einen neuen Anstrich gut gebrauchen konnten. Auch der abgestandene Geruch wirkte wenig anziehend auf sie.

      Im Aufzug roch es, als hätte es den einen oder anderen Vorfall mit gewissen Verdauungssäften gegeben, was sich nun nicht mehr vertuschen ließ. Er fuhr stotternd hinauf in den dritten Stock, wo sich seine Türen wackelnd öffneten. Keri stieg aus und schwor sich, auf dem Rückweg die Treppen zu nehmen, auch wenn das für ihre gebrochenen Rippen vielleicht nicht die beste Wahl war.

      Sie klopfte an Appartement Nummer 323, löste die Lasche an ihrem Pistolengürtel und wartete. Sie hörte, wie ein Haufen Geschirr unsanft in einem Spülbecken voller Wasser abgeladen, und ein paar herumliegende Dinge mit einem dumpfen Knall in einen Schrank geworfen wurden.

      Jetzt

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