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Geschlecht und Charakter. Отто Вейнингер
Читать онлайн.Название Geschlecht und Charakter
Год выпуска 0
isbn
Автор произведения Отто Вейнингер
Жанр Учебная литература
Издательство Public Domain
Und weg auch mit der abgeschmackten Phrase von der »völligen Gleichheit«! Selbst das männlichste Femininum hat wohl kaum je mehr als 50 Prozent an M und diesem Feingehalte dankt sie ja doch ihre ganze Bedeutung oder besser all das, was sie eventuell bedeuten könnte. Man darf keineswegs, wie dies nicht wenige intellektuelle Frauen zu tun scheinen, aus manchen (wie schon bemerkt, ohnedies nicht typischen) Einzelerfahrungen über den Mann, die sie zu sammeln Gelegenheit hatten, und aus denen ja nicht die Parität, sondern gar die Superiorität des weiblichen Geschlechtes hervorginge; allgemeine Folgerungen ziehen, sondern muß, wie Darwin dies vorschlug, die Spitzen hier und die Spitzen dort miteinander vergleichen. Aber »wenn je ein Verzeichnis der bedeutendsten Männer und Frauen auf dem Gebiete der Dichtkunst, Malerei, Bildhauerei, Musik, Geschichte, Naturwissenschaft und Philosophie hergestellt und unter jedem Gegenstand ein halbes Dutzend Namen verzeichnet würden, so könnten beide Listen nicht den Vergleich miteinander bestehen«. Erwägt man nun noch, daß die Personen auf der weiblichen Liste, genau besehen, auch nur wieder für die Männlichkeit des Genies Zeugnis ablegen würden, so ist zu erwarten, daß die Lust der Frauenrechtlerinnen, die Zusammenstellung eines solchen Verzeichnisses zu wagen, noch geringer werden dürfte, als sie bisher es gewesen ist.
Der übliche Einwurf, der auch jetzt erhoben werden wird, lautet dahin, daß die Geschichte nichts beweise, da die Bewegung erst Raum schaffen müsse für eine ungehemmte, volle geistige Entwicklung der Frau. Dieser Einwand verkennt, daß es emanzipierte Frauen, eine Frauenfrage, eine Frauenbewegung zu allen Zeiten gegeben hat, wenn auch in den verschiedenen Epochen mit verschiedener Lebhaftigkeit; er übertreibt immens die Schwierigkeiten, welche den nach geistiger Bildung strebenden Frauen von Seite des Mannes irgendwann gemacht wurden, und auch angeblich gerade jetzt wieder bereitet werden11; er übersieht schließlich wiederum, daß auch heute nicht das wirkliche Weib die Forderung der Emanzipation erhebt, sondern daß dies durchwegs nur männlichere Frauen tun, die ihre eigene Natur mißdeuten und die Motive ihres Handelns nicht einsehen, wenn sie im Namen des Weibes zu sprechen glauben.
Wie jede andere Bewegung der Geschichte, so war auch die Frauenbewegung überzeugt, daß sie erstmalig, neu, noch nie dagewesen war; ihre Vorkämpferinnen lehrten, daß bislang das Weib in Finsternis geschmachtet habe und in Fesseln gelegen sei, während es nun erst sein natürliches Recht zu begreifen und zu beanspruchen beginne. Wie für jede andere geschichtliche Bewegung, so hat man aber auch für die Frauenbewegung Analogien weiter und weiter zurückverfolgen können; nicht nur in sozialer Beziehung gab es im Altertum und im Mittelalter eine Frauenfrage, sondern auch für die geistige Emanzipation waren zu längst entschwundenen Zeiten produktive Frauen durch ihre Leistungen selbst wie männliche und weibliche Apologeten des weiblichen Geschlechtes durch theoretische Darlegungen tätig. So ist denn jener Glaube ganz irrig, der dem Kampfe der Frauenrechtlerinnen so viel Eifer und Frische verliehen hat, daß bis auf die letzten Jahre die Frauen noch nie Gelegenheit zur ungestörten Entfaltung ihrer geistigen Entwicklungsmöglichkeiten gehabt hätten. Jakob Burckhardt erzählt von der Renaissance: »Das Ruhmvollste, was damals von den großen Italienerinnen gesagt wird, ist, daß sie einen männlichen Geist, ein männliches Gemüt hätten. Man braucht nur die völlig männliche Haltung der meisten Weiber in den Heldengedichten, zumal bei Bojardo und Ariosto, zu beachten, um zu wissen, daß es sich hier um ein bestimmtes Ideal handelt. Der Titel einer »Virago«, den unser Jahrhundert für ein sehr zweideutiges Kompliment hält, war damals reiner Ruhm.« Im XVI. Jahrhundert wurde den Frauen die Bühne freigegeben, es sah die ersten Schauspielerinnen. »Zu jener Zeit wurde die Frau für fähig gehalten, gleich den Männern das höchste Maß von Bildung zu erreichen.« Es ist die Zeit, da ein Panegyrikus nach dem anderen auf das weibliche Geschlecht erscheint, Thomas Morus seine völlige Gleichstellung mit dem männlichen verlangt, und Agrippa von Nettesheim die Frauen sogar hoch über die Männer erhebt. Und jene großen Erfolge des weiblichen Geschlechtes wurden wieder verloren, die ganze Zeit tauchte unter in eine Vergessenheit, aus der sie erst das XIX. Jahrhundert wieder hervorholte.
Ist es nicht sehr auffallend, daß die Frauenemanzipationsbestrebungen in der Weltgeschichte in konstanten Intervallen, in gewissen sich gleich bleibenden zeitlichen Abständen aufzutreten scheinen?
Im X. Jahrhundert, im XV. und XVI. und jetzt wieder im XIX. und XX. hat es allem Ermessen nach viel mehr emanzipierte Weiber und eine stärkere Frauenbewegung gegeben als in den dazwischen liegenden Zeiten. Es wäre voreilig, hierauf schon eine Hypothese zu gründen, doch muß man immerhin die Möglichkeit ins Auge fassen, daß hier eine gewaltige Periodizität vorliegt, vermöge deren in regelmäßigen Phasen mehr Zwittergeburten, mehr Zwischenformen auf die Welt kommen als in den Intervallen. Bei Tieren sind solche Perioden in verwandten Dingen beobachtet worden.
Es wären das unserer Anschauung gemäß Zeiten von minderem Gonochorismus; und es würde die Tatsache, daß zu gewissen Zeiten mehr männliche Weiber geboren werden als sonst, als Pendant auf der Gegenseite verlangen, daß in der gleichen Zeit auch mehr weibliche Männer auf die Welt gebracht werden. Und dies sehen wir in überraschendem Maße ebenfalls zutreffen. Der ganze »sezessionistische Geschmack«, der den großen, schlanken Frauen mit flachen Brüsten und schmalen Hüften den Preis der Schönheit zuerkennt, ist vielleicht hierauf zurückzuführen. Die ungeheuere Vermehrung des Stutzertums wie der Homosexualität in den letzten Jahren kann ihren Grund nur in einer größeren Weiblichkeit der jetzigen Ära haben. Und nicht ohne tiefere Ursache sucht der ästhetische wie der sexuelle Geschmack dieses Zeitalters Anlehnung bei dem der Präraphaeliten.
Wenn es im organischen Leben solche Perioden gibt, die den Oszillationen im Leben des einzelnen gleichen, aber sich über mehrere Generationen hinweg erstrecken, so eröffnet uns dies eine weitere Aussicht auf das Verständnis so mancher dunkler Punkte auch in der menschlichen Geschichte, als es die prätentiösen »Geschichtsauffassungen«, die sich in der jüngsten Zeit so gehäuft haben, insbesondere die ökonomisch-materialistische Ansicht, anzubahnen vermocht haben. Sicherlich ist von einer biologischen Betrachtung auch der menschlichen Geschichte noch unendlich viel Aufschluß in der Zukunft zu erwarten. Hier soll nur die Nutzanwendung auf den vorliegenden Fall gesucht werden.
Wenn es richtig ist, daß zu gewissen Zeiten mehr, zu anderen weniger hermaphroditische Menschen geboren werden, so wäre als die Folge dessen vorauszusehen, daß die Frauenbewegung größtenteils von selbst sich wieder verlaufen und nach längerer Zeit erst wieder zum Vorschein kommen würde, um wieder unter- und emporzutauchen in einem Rhythmus ohne Ende. Es würden eben die Frauen, die sich selbst emanzipieren wollten, bald in größerer, bald in weit geringerer Anzahl geboren werden.
Von den ökonomischen Verhältnissen, welche auch die sehr weibliche Frau des kinderreichen Proletariers in die Fabrik oder zur Bauarbeit drängen können, ist hier natürlich nicht die Rede. Der Zusammenhang der industriellen und gewerblichen Entwicklung mit der Frauenfrage ist viel lockerer, als er, besonders von sozialdemokratischen Theoretikern, gewöhnlich hingestellt wird, und noch viel weniger besteht ein enger ursächlicher Konnex zwischen den Bestrebungen, die auf die geistige, und jenen, die auf die wirtschaftliche Konkurrenzfähigkeit gerichtet sind. In Frankreich z. B. ist es, obwohl es drei der hervorragendsten Frauen hervorgebracht hat, niemals einer Frauenbewegung recht eigentlich gelungen, Wurzel zu fassen,
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Es hat übrigens viele gänzlich ungelehrte große Künstler gegeben (Burns, Wolfram von Eschenbach), aber keine diesen vergleichbare Künstlerin.