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steht mir näher als er.«

      »Mir ist er lieber als ein Bruder, um so mehr, als ich nie einen Bruder hatte. Es ist nicht Zeit, um die Stärke unserer Gefühle zu streiten. Siehst du, Johann, wenn dieses Unglück eben erst Michael betroffen hätte, so würde ich dir selber gesagt haben: schick' den Henker zum Wahlkapitel und mach' dich auf den Weg! Aber rechnen wir nur nach, wieviel Zeit schon vergangen ist, ehe Charlamp von Tschenstochau nach der Smudz gekommen, und Andreas aus der Smudz zu uns. Jetzt heißt es nicht nur zu Michael hinreisen, sondern bei ihm bleiben, nicht bloß mit ihm weinen, sondern ihm gut zureden, ihm nicht bloß den Gekreuzigten als Muster vorhalten, sondern mit lustigen Possen Herz und Gemüt erheitern. Wißt Ihr, wer reisen sollte? – Ich! und ich will auch reisen, so wahr mir Gott helfe. Finde ich ihn in Tschenstochau, so bringe ich ihn hierher; finde ich ihn nicht, so gehe ich, wenn es sein muß, bis in die Moldau und will nicht aufhören, ihn zu suchen, solange ich noch aus eigener Kraft eine Prise Tabak zur Nase zu führen vermag.«

      Als die beiden Ritter das hörten, umarmten sie Sagloba, und auch er war gerührt, teils über das Unglück Michaels, teils über die eigenen bevorstehenden Mühsale. Daher begann er zu weinen, und endlich, als sie sich beide genug umarmt hatten, sagte er:

      »Nur dankt mir nicht für Michael, denn ihr steht ihm nicht näher als ich.«

      Darauf sagte Kmiziz:

      »Nicht Wolodyjowski halber danken wir dir, aber man müßte ein eisernes, man müßte gar kein menschliches Herz haben, wenn man durch solche Opferwilligkeit nicht gerührt würde, die bei der Not des Freundes Mühsale nicht scheut und das eigene Alter vergißt. Andere denken in diesem Alter nur an ihr Plätzchen am warmen Ofen, und Ihr sprecht von einer weiten Reise gerade so, als wäret Ihr in meinen oder in Skrzetuskis Jahren.«

      Sagloba machte zwar kein Geheimnis aus seinen Jahren, aber er hatte im allgemeinen nicht gern, daß man in seiner Gegenwart vom Alter als von einer Zeit der Kraftlosigkeit spreche; er blickte darum, obgleich seine Augen noch rot waren, streng, mit einer gewissen Unzufriedenheit auf Kmiziz und erwiderte:

      »Mein lieber Herr, als ich in mein einundsiebzigstes trat, da war's mir wehmütig ums Herz, daß die beiden Äxte über meinem Haupte schwebten, als aber das achtzigste vorüberging, da faßte ich so frohen Mut, daß ich gar noch ans Heiraten dachte, und ich hätte gern gesehen, wer von uns am meisten ein Recht gehabt hätte, stolz zu sein.«

      »Ich rühme mich nicht, aber ich hätte auch Euch gern gerühmt.«

      »Und ich würde Euch sicherlich so blamieren, wie ich einst den Herrn Hetman Potozki in Gegenwart des Königs blamierte. Er machte Anspielungen auf mein Alter, und ich forderte ihn heraus, wer wohl mehr Purzelbäume hintereinander schießen könne. Nun, was geschah? Er schoß drei, und die Heiducken mußten ihn aufheben, denn er konnte nicht allein aufstehen, und ich sauste rings um ihn herum: waren's wenig, so waren's fünfundreißig Purzelbäume, die ich schlug. Fragt Skrzetuski, er hat's mit eigenen Augen gesehen.«

      Skrzetuski wußte, daß Sagloba seit einiger Zeit die Gewohnheit hatte, sich in allem auf ihn als Augenzeugen zu berufen; er zwinkerte daher nicht einmal mit dem Auge, sondern begann wieder von Wolodyjowski. Sagloba versank in Schweigen und sann tief über etwas nach; endlich, nach dem Abendessen, kam er in bessere Laune und sprach zu den Genossen:

      »Ich will euch etwas sagen, was nicht so leicht jeder mit seinem Verstande trifft. Ich habe zu Gott die Hoffnung, daß Michael leichter aus diesem Unglück hervorgehen wird, als es uns anfangs schien.«

      »Gebe Gott, aber woher kommt Euch das in den Sinn?« sagte Kmiziz.

      »Hm, da bedarf's des scharfen Witzes, der ein Erbteil der Natur ist, und großer Erfahrung, wie ihr sie in euren Jahren nicht haben könnt, und genauer Kenntnis von Michaels Wesen. Jeder Mensch hat eine andere Natur. Den einen trifft das Unglück gerade so wie der Stein das Wasser, um in Gleichnissen zu reden. Das Wasser fließt scheinbar glatt und ruhig weiter, während auf seinem Grunde der Stein liegt und seinen Lauf hemmt. Du, Johann, kannst zu diesen gezählt werden, denen es oftmals schlecht in der Welt geht, denn in ihnen lebt der Schmerz und die Erinnerung fort. Ein anderer wieder nimmt ein Unglück ähnlich auf, als ob du ihm mit der Faust eins in den Nacken versetztest. Es betäubte ihn im Augenblick, dann kommt er zu sich, und wenn die Beule geheilt ist, ist's auch vergessen. O, eine solche Natur ist die bessere in dieser unglücksreichen Welt!«

      Die Ritter hörten aufmerksam den weisen Worten Saglobas zu, und er sah es gern, daß sie mit solcher Teilnahme aufhorchten, und sprach weiter:

      »Ich habe Michael durch und durch kennen gelernt, und Gott ist mein Zeuge: ich will ihm nichts Böses nachsagen; aber mir will scheinen, als täte es ihm mehr um die Heirat als um dieses Mädchen leid. Es will nichts sagen, daß ihn die Verzweiflung furchtbar gepackt hat, denn es ist ein furchtbares Unglück, besonders für ihn. In ihm steckt keine Habgier, kein Ehrgeiz, keine Selbstsucht; er ging von seinem Eigentum weg, ließ seinen Besitz, mahnte nicht um seinen Sold; aber für alle Mühsale, für alle seine Verdienste erhoffte er von Gott und von der Republik nichts als eine Gattin. Er hatte sich's so in seinem Herzen zurechtgelegt, daß ihm ein solcher Bissen gehören müsse; schon sollte er ihn zum Munde führen, da – als hätte es ihm der Wind weggeweht. Was Wunder, daß ihn die Verzweiflung gepackt hat? Ich sage nicht, daß ihm das Mädchen nicht leid tue, aber, so wahr ich Gott liebe, ihn schmerzt mehr, daß er nun wieder unvermählt bleiben muß.«

      »Gebe Gott!« wiederholte Skrzetuski.

      »Wartet! Mögen nur erst jene Herzenswunden sich schließen und mit neuer Haut bedecken, und wir wollen sehen, ob ihm die alte Lust nicht wiederkehrt. Nur darin liegt eine Gefahr, daß er jetzt unter dem Druck der Verzweiflung etwas tue oder beschließe, was ihn nachher gereuen könnte; aber was geschehen sollte, ist schon geschehen, denn im Unglück faßt man schnell Entschlüsse. Mein Bursche nimmt schon die Kleider aus dem Schrein und ordnet sie: ich sage das also nicht, weil ich etwa nicht Lust hätte, zu reisen, ich wollte euch nur trösten.«

      »Und wieder wirst du, Vater, dem Michael ein Balsam sein,« sagte Skrzetuski.

      »Wie ich es auch dir gewesen bin – denkst du noch? Wenn ich ihn nur bald fände, denn ich fürchte, daß er sich irgendwo in der Wüstenei oder in der fernen Steppe, an die er von Jugend auf gewöhnt ist, versteckt. Ihr, Herr Kmiziz, habt mich wegen meines Alters verspottet: ich sage Euch, wenn je ein Sendbote einen Brief so schnell fortgebracht hat, wie ich jetzt fortkommen werde, so heißt mich, wenn ich wiederkehre, Charpie zupfen, Erbsen lesen, oder gebt mir die Spindel. Mich sollen weder Unbequemlichkeiten hindern, noch soll mich fremde Gastfreundschaft in Versuchung führen, oder Essen und Trinken in meiner Eile hemmen. Solch einen Flug habt Ihr noch nicht gesehen; ich halte es auch nicht aus, hier zu sitzen, gerade als wenn jemand unter der Bank steckte und mich forttriebe. Ich habe auch schon befohlen, mein Reisehemd mit Ziegentalg einzuschmieren, um die Insekten davon abzuhalten.«

      Herr Sagloba reiste doch nicht so schnell, wie er es sich und den Freunden versprochen hatte. Je mehr er sich Warschau näherte, desto langsamer kam er vorwärts. Es war die Zeit, in welcher König Johann Kasimir, der große Politiker und Heerführer, nachdem er die Feuerbrände außerhalb gelöscht und die Republik gleichsam aus der Sturmflut gerettet hatte, auf die Regierung verzichtete. Alles hatte er in Geduld getragen, alles überstanden, all den Streichen hatte er kühn die Brust entgegengestellt, welche von dem auswärtigen Feinde kamen; als er aber dann innere Reformen anstrebte und statt der erwarteten Hilfe von der Nation nichts als Widerstand und Undank erfuhr, da nahm er freiwillig von dem geheiligten Haupte die Krone, die ihm eine unerträgliche Last geworden war.

      Die Kreistage und die Generalversammlungen hatten bereits stattgefunden, und der Fürst-Primas Praschmowski hatte den Wahlreichstag auf den 5. November angesetzt.

      Groß waren die Anstrengungen der verschiedenen Kandidaten, groß der Wettstreit der mannigfachen Parteien, und obgleich erst die Königswahl die Entscheidung bringen sollte, begriff doch jeder die außerordentliche Wichtigkeit des Wahlreichstages. Und so zogen die Sendboten nach Warschau zu Wagen und zu Pferde mit Gesinde und Knechten, so zogen die Senatoren mit prächtigem Gefolge. Auf den Wegen war es eng, die Wirtshäuser besetzt, und die Auffindung eines Nachtquartiers war mit Mühe und Zeitverlust verbunden. Zwar räumte man Herrn Sagloba mit Rücksicht auf sein Alter leicht einen Platz ein, aber sein

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