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Tahiti: Roman aus der Südsee. Dritter Band.. Gerstäcker Friedrich
Читать онлайн.Название Tahiti: Roman aus der Südsee. Dritter Band.
Год выпуска 0
isbn
Автор произведения Gerstäcker Friedrich
Жанр Книги о Путешествиях
Издательство Public Domain
»Was für ein alter Mann, Mitonare?« frug Sadie erstaunt. Bruder Ezra aber hob rasch und erschreckt den Finger an die Lippen und sich scheu umsehend, sagte er langsam und vorsichtig:
»Pst – Pudenia, pst, das war ein wunderbarer, furchtbarer alter Mann und er kam und ging in einem Sturm.«
»Und was that er bei Euch auf Atiu?«
»Wie er sagte kam er von den Inseln zu Leewärts, Handel zu treiben und Cocosöl und Perlmutterschaalen einzukaufen in seinen kleinen Cutter, aber er sprach furchtbare Sachen und mich schauderts wenn ich daran denke – wenn ich darüber nachsinne.«
»Aber was sprach er so Entsetzliches?« drängte die Frau.
»Pu-de-ni-a,« sagte da Mitonare, der Frage jetzt noch ausweichend, oder sie durch eine andere beantwortend – »hast Du schon einmal an einem Abgrund – am äußersten Rand einer schwindelnden Höhe gestanden, und ist Dir da nicht das Gefühl gekommen, als ob Du hinunterspringen möchtest in die Tiefe, daß Du den Platz nur schnell verlassen mußtest in Furcht und Grauen?«
Sadie nickte, noch in der Erinnerung schaudernd.
»Siehst Du, so war es mir, wenn ich den Worten des alten weißen Mannes lauschte,« flüsterte der kleine Indianer und nickte still vor sich hin. »Er trug einen langen weißen spitzen Bart, und die kleinen blitzenden Augen lagen wie zwei glühende Kohlen unter den buschigen Brauen – Sein ganzes
Gesicht hing dabei in dichten Falten, die kein Alter mehr erkennen ließen auf der Haut, und er mußte sehr alt sein, denn er hatte die Welt gesehn von dem Theil wo das Wasser zu Stein wird in grimmiger Kälte, bis zu wo die Sonne Abends in ihr Lager sinkt, und er sprach von Gott und den Sternen als ob er da oben zu Hause gehöre und zwischen den Sternen gewandelt hätte wie in einem Garten.«
»Aber er glaubte an Gott?« frug Sadie leise und scheu.
»Er hatte denselben Namen dafür wie wir – Jehovah,« sagte der kleine Mitonare, »aber er verleugnete« – setzte er leise, fast flüsternd hinzu – »er verleugnete den Heiland.«
»Gütiger Gott!«
»Er leugnete Jesus Christus« bestätigte da Mitonare »und mir lief's wie Fieberfrost durch die Adern, als ich mit ihm allein in dem stillen Haus saß und der Weststurm um das Dach heulte, daß die flackernden Oelflammen hoch aufschlugen in rother Gluth, und der magere alte bärtige Mann mir von dem Heiland erzählte der nur ein Mensch gewesen sei wie wir Alle – aber ein guter Mensch, und von seinen Neidern und den reichen Leuten, die fürchteten daß er durch seine Reden das Volk gegen sie aufwiegeln würde, an das Kreuz geschlagen wurde, da elendiglich umzukommen.«
»Er verleugnete Gottes Sohn,« sagte Sadie schaudernd.
»Ja, und er trieb Spott über Alles, was selbst die Wi-Wis für heilig halten« nickte der Kleine »und doch, doch lauschte ich ihm gern, denn sein Gott war ein Gott der Liebe und der Gnade, und alle Menschen waren seine Kinder, alle, alle nahm er auf zu sich, Kanakas und Weiße, Beretanis und Feranis, wenn sie gut und redlich lebten und seinem Worte folgten; und mein Vater und meine Mutter – ach Pudenia es war wohl recht sündhaft daß ich seinen Worten so gerne horchte – aber mein Vater und meine Mutter waren auch eingegangen zu seiner Herrlichkeit, wenn sie nicht sonst recht schlechte und böse Menschen gewesen. Seit der Zeit nun sind meine Gedanken nicht mehr mein eigen« fuhr der kleine Mann trübselig fort; »seit der Zeit härm' ich mich und gräm' ich mich und mache mir Sorge und Kummer, und Nachts kommt der Böse und lockt mich mit seinen Schmeicheltönen, und am Tag seh ich, wo ich auch bin, den Alten neben mir, wie er sich den Bart streicht und mit den scharfen abgestoßenen Worten mir doch Trost und Hoffnung in die Seele gießt. Seit dem Tag ist der kleine Mitonare ein anderer verzweifelter Mensch geworden, der mit dem dicken Gebetbuch in der Tasche herumläuft, und nicht den Muth hat hineinzusehen, dem das Blut in den Adern gerinnt wenn er an den zornigen Gott denkt, wie ihn die weißen Mitonares lehren, und der demselben Gott doch immer wieder, und trotz allen Schilderungen zu Füßen fallen, und ihn Vater, Jehovah nennen möchte, wie ein Kind seinen eigenen Vater ruft, den es nicht fürchtet, aber von Herzen, recht von Herzen liebt.«
»Du armer, armer Mitonare« sagte da Sadie mit ihrer weichen Stimme, mitleidig des alten kleinen Mannes Hand ergreifend, und sie leise streichelnd; »bete Du armes geprüftes Herz, bete recht aus tiefster Seele zu Deinem Heiland daß er Dich führen und schützen möge auf Deiner Bahn, und den rechten Pfad durch Nacht zum Licht – bete daß er Dir die Wahrheit zeige zu Seinem Preis, und Dich eingehn läßt zu Seiner Herrlichkeit. Aber verzage nicht, fürchte Dich nicht, denn gerade in der tiefsten Noth ist er Dir ja auch am nächsten und hört die Stimme Seines Kindes die zu ihm ruft, und die Hand ausstreckt nach ihm, um Schutz und Hülfe.«
»Was ist das?« sagte da plötzlich der Mitonare, dessen Blick in tiefem schmerzlichem Sinnen hinausschweifte über die See, und der jetzt das Boot eines Kriegsschiffes, von acht Matrosen gerudert, um die nächste Landspitze kommen und gerade auf das Haus zu halten sah. Hinten am Heck wehte die französische Flagge.
»Ein Boot der Feranis« sagte Sadie ruhig, »das wahrscheinlich nach Papara hinunter will und sich dicht an der Küste, des ruhigen Wassers wegen hält – sie kommen oft hier vorüber.«
»Dann hätten sie die Korallenspitze vermeiden müssen, die jetzt zwischen ihnen und dem Fahrwasser der Binnenriffe liegt« sagte der Mitonare, der mit einem Blick den Charakter der Bai überschaut hatte, und jetzt aufmerksamer als vorher hinüberblickte. »Sie können nur hierherwollen, wie auch ihr Bug zeigt, oder sie müßten die ganze Strecke wieder zurück. Hinten neben dem steuernden Mann sitzen zwei Officiere der Wi-Wis und neben ihnen – «
»Heiliger Gott – neben ihnen liegt Jemand auf der Bank« rief aber auch in diesem Augenblick Sadie in Todesangst, der die böse Ahnung, die ihr den ganzen Morgen die Brust erfüllt, mit mächtiger Kraft zurück zum Herzen drängte – »René!«
»René?« rief Bruder Ezra erschreckt – »was hat der tollköpfige Wi-Wi wieder angestellt, daß ihn die eigenen Landsleute gefangen haben sollten? – aber das Boot dreht doch vielleicht ab von hier – «
Sadie antwortete ihm nicht – in sprachloser Angst und Erwartung hing ihr Blick an dem rasch näher kommenden Fahrzeug, das von den elastischen Rudern getrieben rauschend durch die Wellen schäumte – schon glaubte sie die Züge des Officiers zu erkennen, der hinten lehnte und auch sie war jetzt von den im Boote Befindlichen erkannt worden. Die auf dem Sitz liegende Gestalt richtete sich halb empor und winkte herüber, und mit lautem Aufschrei flog sie hinaus an den Strand, flog, ihre Europäischen Kleider vergessend, hinein in die klare Fluth dem Boot entgegen, denn darin lag, bleich und blutend, wenn er auch freundlich jetzt herüberwinkte – ihr Gatte – lag René.
Im nächsten Moment schoß das Boot heran, die Matrosen der Backbordseite warfen ihre Riemen mit einem Schlag empor und Bertrands Hand streckte sich dem armen Weib entgegen, dessen stierer und entsetzter Blick nur an dem bleichen Antlitz des Verwundeten hing. In demselben Moment fast berührte das Boot den Strand, und ein Theil der Matrosen sprang über Bord ihn an Land zu tragen.
»Aber Sadie« flüsterte René halb vorwurfsvoll, halb verlegen der jungen Frau die