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      Tahiti: Roman aus der Südsee. Dritter Band

      Capitel 1.

      Alte Erinnerungen und neue Schmerzen

      Ueber die See strich der Morgenwind leise und feucht, kräuselte die Wogen, die spielend, neckend nach ihm auflangten, und glitt dann rasch zwischen die Palmen am Ufer und in den fruchtschweren Wald, in dem er rauschte und flüsterte und Thau und Blüthen niederschüttelte aus dem blitzenden Laub. Bleigrau lag noch das Meer, und nur dunkle Schatten flogen über seine Fläche, wo der Wind sie faßte, herüber und hinüber drängend und oft im raschen Zug darüber hinstreichend. Nur am Himmel kündete der lichte Streif den nahenden Morgen, und sandte seine zuckenden Strahlen weit aus über den noch sternfunkelnden Himmelsdom, vor denen die Kinder der Nacht erblichen und scheu und furchtsam zurückwichen, dem Sonnengott Raum zu geben.

      Und heran kam der, auf schnaubenden Rossen, wie vom Sturm getragen, und nicht langsam und zögernd, wie bei uns im kalten Nord – dem ersten Angriff folgend mit starker mächtiger Hand, scheuchte er die Nacht vor sich her, und seinem ersten dämmernden Nahen folgte auch schon der Siegeszug, mit dem er den flüchtigen Feind zu Paaren trieb.

      Dunkel und blau lag das Meer, als der erste zündende Strahl darüber zuckte und die kleinen Wellen neugierig die Köpfe hoben, zuerst dem nahenden Gott in's Auge zu schauen; und ein blinkendes Netz warf er über sie aus, Gold und Purpur strahlend, und wie von einem Zauberstab berührt, glühte plötzlich das weite wogende Meer, jede Welle den blauen schlanken Nacken mit Diamanten überstreut und von Gold- und Silberadern dicht und leuchtend durchzogen. Und die Berge strahlten den Widerglanz zurück, die thaubedeckten Palmenkronen warfen den silbernen Regen nieder in Thal und Schlucht, und wie aufathmend in unendlicher Wonne und Seligkeit, strömte der Duft aus von all den Blüthenhainen, die tief versteckt im dunklen Laube ruhten, den Seewind rückwärts treibend, mit sanfter liebender Gewalt.

      Ueber die Berge aber schaute der Sonnengott freundlich in's Thal, und grüßte die friedlichen Dächer alle, die tief versteckt im schattigen Laub lagen und ihn fürchteten den Gewaltigen. Nicht täuschte sie dabei der leise Kuß den er ihnen zuwarf wie er nur den Hain erreicht; – höher steigend und wachsend an Macht und Gewalt wäre der Kuß zum giftigen sengenden Pfeil geworden, der zündet was er erreicht und dorrt und brennt, und die Palmen hatten dann alle Hände voll zu thun, und mit allen Fasern den kühlen Lebenssaft aus dem feuchten Strand heraufziehen, das ihnen anvertraute Gut, die Wohnungen der stillen Menschen vor dem glühenden Strahl zu schützen und zu schirmen.

      Und wie freundlich er da unten auf dem gelben Laub spielte, das hie und da den Boden bedeckte, wie er sich durch jede Zweigesspalte durchstahl und den saftigen Blättern schmeichelte und mit ihnen kos'te, ihn nur durchzulassen, ein kleines kleines wenig nur durchzulassen zu den Blüthen und Früchten unten, denen er Zucker bringen wollte und ein goldenes Kleid, und dann wunderliche Figuren mit ihren Schatten formte, und ihnen Zeichen und Bilder in die Haut grub zum Angedenken.

      Welch freundliches Leben und Treiben in dem herrlichen Wald, und daß die Axt da kommen sollte mit gierigem Zahn, und die Palmen niederschlagen und Bäume, Felder zu bilden mit langen geraden Reihen, viereckige, eingezäunte Felder, dem Sonnenstrahl preisgegeben, der dann nicht spielend mehr zwischen den Zweigen kost, sondern verlangend sich an den Boden saugt und ihn hart und trocken zieht in gieriger Lust.

      Aber fort mit dem traurigen Bild; noch rauschen die Bäume, noch flüstert der Morgenwind, der flatterhafte Geselle, den Blüthen allen seinen tollen Liebesunsinn vor, und unter dem Laub, die schönste Zierde des Hains, der Blumen eine die das Land gebar und die zu ihnen gehörte, zu den schlanken Palmen und duftenden Blüthen saß Sadie, und wie an den wehenden, raschelnden, wispernden Blättern der Banane, die ihre grünen Fächer schützend über sie breitete, der Thau in großen hellen Tropfen blitzte und funkelnd niederfiel in ihren Schoos, so hing an ihren Wimpern ein klares Thränenpaar und schwer und langsam sank es nieder zu dem Thau – anderen, schwereren Perlen Raum zu geben.

      Sie war allein – nur das Kind spielte zu ihren Füßen, haschte nach den wechselnden Schatten die ein neckischer Strahl über ein hin- und herwehendes Blatt warf, oder suchte sich kleine blitzende Muscheln aus dem Korallenkies, der sich hier mit dem Boden vermengte – René hatte seine Heimath – zum ersten Mal seit sie mit ihm vermählt – schon vor Tag, und zwar durch Bertrand abgeholt, verlassen, in einer Stimmung verlassen, die ihr das Herz mit Sorge füllte – sie wußte selber nicht warum, und jetzt schnürte ihr eine Angst, der sie nicht Worte zu geben wußte, die Brust zusammen und die Thränen, die ihren Wimpern entfielen linderten den Schmerz nicht, der sie erzeugt, sondern brannten nur weiter in zündender, quälender Lohe.

      So saß sie da, lange, lange Minuten, in ihrem Gram, die brennenden Augen in der Hand geborgen und die klaren Tropfen preßten sich gewaltsam Bahn, zwischen den zarten, zitternden Fingern durch, hinaus ins Freie. Aber immer ängstlicher wurde ihr dabei ums Herz, ein merkwürdig stechendes Gefühl zog ihr durch Scheitel und Hirn – sie athmete schwer und wie von einer heranprassenden Gefahr bedroht, die sie umgab und wenn auch unsichtbar bedrohte, schaute sie endlich verstört und bleich empor und sprang mit einem jähen Schrei auch auf von ihrem Sitz, denn vor ihr stand, mit auf der Brust gekreuzten Armen, den ernsten aber jetzt nicht strengen Blick fest und forschend auf sie geheftet, der Mann, der einst mit kalter starrer Hand hineingreifen wollte in ihre Liebe, in ihr Leben, und dem sie sich seit jenem Tag nicht mehr gegenüber gesehen – der Missionair Rowe.

      Und was führte ihn jetzt zu ihr? – Sorge? Theilnahme? hatte sein starres unduldsames Herz verziehen? oder – wie Fieberfrost zog es ihr durch Mark und Bein wenn sie des fernen Gatten dachte und den stillen wehmüthig ernsten Blick des finstern Mannes so fest, so entsetzlich fest auf sich gerichtet sah.

      »Um Gott! – was ist geschehen?« flüsterte sie endlich in kaum hörbaren, angstdurchzitterten Tönen – »wo ist René? – was ist vorgefallen ehrwürdiger Herr?« und das Kind, das auf dem Boden neben ihr gespielt und die schmerzlichen Laute der Mutter hörte, ihre Thränen sah, sprang auf und klammerte sich schreiend an ihr Knie, sich nur wieder beruhigend als es den Schutz fühlte, den ihre Nähe gab. Aber der ehrwürdige Mr. Rowe schüttelte mit dem Kopf und sagte ernst:

      »Wenn Du eine Unglücksbotschaft fürchtest, meine Tochter, so beruhige Dich, denn sie kann nicht von mir ausgehen – ich weiß von keinem fleischlichen Leid, das Dich und die Deinen betroffen haben könnte. Aber nicht dem auch sind Deine Thränen geflossen,« setzte er wehmüthiger hinzu – »nicht die Furcht vor Krankheit oder Tod hat diese Wangen gebleicht, diese Augen geröthet – o Prudentia, sind das die Früchte unserer Lehren, das die freudigen Hoffnungen, die wir, Dein Pflegevater und ich auf Dein Wachsen und Aufblühen setzten? – ist das Versprechen Wahrheit geworden, das uns Dein kindlich frommer Sinn in früher Jugend gab, und pflegst Du so das Wort Gottes, das Dir, ein heiliger tröstender Stern hätte vorleuchten sollen auf der schweren Bahn der Prüfung die Du, nach dem Willen des Höchsten betreten, und der Du, ach, nach so kurzer, so entsetzlich kurzer Zeit schon erliegst?«

      Sadie schwieg – das Herz war ihr schon überdies voll und schwer, und die Worte des Geistlichen schnitten nur noch tiefer ein in die Wunden. Auch der wehmüthige, fast liebende Ton den sie an ihm nie gewöhnt, drang ihr mit scharfem Schmerz in die Seele und wie das, was ihr in früher Jugend gelehrt und ihr Herz damals in voller ungetheilter Kraft erfüllt hatte, jetzt wieder, vielleicht stärker noch durch die Gestalt des damaligen strengen Lehrers, durch die Stimme selber zu Tag gerufen worden, deren Klänge in ihrer Erinnerung nie verwischt, nur geschlummert hatten, so stieg auch mit den Worten der mahnende finstere Geist auf und hob warnend die Hand und der Gedanke ich habe gesündigt wuchs, ein Furcht- und Schreckensbild, mit riesenhafter Schnelle vor ihrem inneren Auge empor und gab der Angst und Qual die sie an diesem Morgen schon gefühlt einen entsetzlichen und doch ihr unbewußt so falschen Ausdruck.

      »Ach, ehrwürdiger Herr« flüsterte sie leise – »nicht aus eigenem Antrieb – Gott weiß es – betrat ich jenen Ort, und nicht wohl hab' ich mich darin gefühlt, zwischen den fremden Menschen.«

      »Aber Du hast mit ihnen getanzt!« sagte traurig der Missionair und sein Auge haftete in ernster Wehmuth auf den bleichen Zügen der armen jungen Frau – »ihrer wilden zügellosen Lust mit der sie sich im Kreise schwingen, fremde Frauen in den Armen fremder Männer, hast Du beigewohnt, hast Theil daran genommen und wenn Du da glaubst, und Dir vorsprichst vielleicht, Dich vor Dir selber zu entschuldigen, Dein Herz sei noch frei von böser Absicht, bösen Wünschen

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