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Abessinien, das Alpenland unter den Tropen und seine Grenzländer. Andree Richard
Читать онлайн.Название Abessinien, das Alpenland unter den Tropen und seine Grenzländer
Год выпуска 0
isbn
Автор произведения Andree Richard
Жанр Книги о Путешествиях
Издательство Public Domain
Die in regelmäßigen Dimensionen voneinander stehenden zahlreichen Säulen, womit die ganze ungeheure Wand besetzt ist, vermehren bedeutend den Anblick eines Kunstwerkes, und nicht minder einige fensterähnliche Oeffnungen, durch welche man, weil an diesen Stellen der Fels sehr dünn ist, hindurchschauen kann. Dieser Berg heißt Amba Saneïti. An seinem südlichen Ende steht ein großer isolirter konischer Fels, der einer höchst kolossalen alten Ritterburg ähnlich ist.
Diese und ähnliche Berge, an welchen besonders Agamié so reich ist, dienen häufig, da sie in der Regel von den meisten Stellen unzugänglich, und sehr häufig oben, wo sie meist platt sind, Wasser haben, Empörern und überhaupt kriegführenden Haufen als natürliche Festungen, wo sie, wenn sie sonst Vorräthe an Lebensmitteln haben, sich lange gegen den belagernden Feind vertheidigen und leicht Ausfälle auf ihn machen können.“ Prachtvoll ist auch der Anblick der Amba Zion, welche sich südlich von Atigrat in der Landschaft Haramat bis zu 9269 Fuß erhebt. Rüppell zog durch wiesenreiche Gründe am 1. Juni 1832 an dieser märchenhaften Felswand hin. „Die Sandsteinterrasse bildete zur Rechten unsres heutigen Weges ein schroffes Vorgebirge, das sich bei 1200 Fuß über die Thalebene erhob und einen ausgezeichneten Punkt zur geographischen Orientirung darbot; sein Name ist Amba Zion. Der Boden der Landschaft fing nun an, ziemlich eben zu werden (nach Süden zu) und bestand in einer nackten, unfruchtbaren und stellenweise mehrere Fuß breit auseinandergerissenen Sandsteinmasse, deren Spalten durchaus von emporgehobener Lava ausgefüllt waren.“
Von all den eben angeführten Gebirgen werden die noch höheren und majestätischeren Berge Semién’s durch den Takazziéstrom, eine der Hauptwasseradern Abessiniens, getrennt. Der Reisende, welcher auf dem hohen Plateau, das sich im Osten des Takazzié in Tigrié ausdehnt, dem Lande Semién zuschreitet, erblickt bald vor sich ein wunderbares Panorama. Die Thäler von Telemt und Semién liegen noch in Frühnebel eingehüllt, auf den dunkle Purpurschatten fallen. Wie ein Meer breiten sich die obern Flächen der Dünste horizontal und leicht vom Winde bewegt über dem tiefen Bette des Takazzié und andern unzähligen Rissen und Thälern aus, daraus ragen im Morgensonnengolde Zacken und Kegel wie Inseln und Burgen aus einem blauen Ozean und dahinter als hohe Mauer der hoch zum Himmel aufstrebende Gebirgsstock von Semién mit weit vorgeschobenen, Tausende von Fuß senkrecht abfallenden Massen. Diese Gebirge sind durchaus vulkanischer Natur, aber längs ihrer vom Takazzié bespülten Basis findet sich dieselbe Formation wie auf dem östlichen Ufer dieses Stromes, Schiefer in der Tiefe mit horizontalem Sandstein überdeckt und vulkanische Lavakegel, die den letztern durchbrochen haben. Die höchsten Spitzen von Semién reichen bis in die Eisregion und sind namentlich während der Regenzeit zuweilen auf mehrere tausend Fuß herab mit hagel- oder firnartigem, sehr körnigem Schnee bedeckt, der jedoch schnell schmilzt, und nur auf der Nordseite sieht man an sehr vor der Sonne geschützten Felsbänken und in Schluchten fast das ganze Jahr über Eis, d. h. gefrorene, in den Bergen entspringende Wasser, oft in ansehnlichen Massen, theilweise allerdings auch von etwas derber Textur; von Gletschern und ewigem Schnee kann aber hier nicht die Rede sein.
In der Tigriésprache heißt der Schnee Berit. Bruce, welcher nur über die niedrige Kette des Lamalmon in Semién gekommen war, glaubte nicht, daß jemals Schnee auf den Bergen gesehen werde, obgleich die Thatsache in der frühesten Nachricht vom Lande, in der adulitanischen Inschrift des Kosmas Indikopleustes, und später von den am besten unterrichteten Jesuiten, welche in Abessinien reisten, erwähnt wird. Rüppell fand im Juni das obere Viertheil der ganzen Gebirgskette mit Schnee bedeckt, eine Erscheinung, die im Kontrast mit dem dunklen Lazur des Himmels und den üppig grünen Pflanzen des Vordergrundes etwas in Afrika höchst Fremdartiges an sich hatte. Der durchaus aus vulkanischer Felsmasse bestehende schroffe Gebirgskamm, welcher die Provinz Semién von Ostsüdost nach Westnordwest zu begrenzt, umzieht in seinem weiteren Verlaufe in gewissermaßen ellipsoidischer Form den ganzen ungeheuren Dembeasee wie ein weiter Kesselrand, und der Buahat (Bachit), welcher die ganze Gruppe überragt, krönt gleichsam den Gebirgskreis mit seiner erhabenen Kuppe. Hier ist die echte „afrikanische Schweiz“, die unter die Tropen gerückte Alpenwelt, wie Munzinger in Erinnerung an seine Heimat Abessinien getauft hat. Und in der That, der Alpencharakter springt jedem, der es sah, in die Augen. „Unser Marsch am 26. Juni“, schreibt Rüppell, „brachte uns in eine Landschaft, welche ganz den Charakter der schöneren europäischen Hochgebirgspartien hatte. Coulissenartig springen auf den Seiten die Höhen mit Nebenthälern hervor, welche theils beholzt, theils mit einem grünen Teppich der schönsten Gerstensaat besäet sind. Das Ganze aber umgiebt amphitheatralisch ein Kranz von hohen Bergen, deren schneeige Gipfel über fette Alpenweiden emporragen. Bald erweitert sich das Hauptthal etwas nach Südwesten zu, und nun zeigt sich in pittoresker Gestalt der weit herab mit Eis bedeckte Berg Abba Jaret, einer der höchsten der ganzen Kette. Wasserreiche Kaskaden umgeben auf beiden Seiten den Ataba, um ihm den Tribut der Berge zu bringen, und hier und da schmückt eine ehrwürdige Baumgruppe die grasreichen Ufer desselben. Ueber der ganzen Landschaft aber schwebte das herrliche, ganz reine Lasurgewölbe des Himmels tropischer Hochgebirgsregionen. Kurz, alles vergegenwärtigt hier den Charakter der Hochalpen Europa’s, und es fehlten nur die malerisch gelegenen Sennhütten.“
Der Ataba ist ein sehr wasserreicher, dem Takazzié zuströmender Gebirgsfluß, dessen Bett mit Felsblöcken gleichsam durchsäet ist. An seinem Ufer erhebt sich der 11,500 Fuß hohe Dschinufra, dessen trachytische, mit Mandelsteinen und Basalten durchsetzte Gebirgsmassen hier 3000 Fuß jäh abfallen und namentlich in seinem Woikall genannten Zweige von Süden her einen imposanten Anblick gewähren. Ueberreich ist Semién an ähnlichen grotesken Fels- und Berggestaltungen, sodaß es schwer hält, aus der großen Zahl der herrlichen Partien nur einige der schönsten auszuwählen, um sie dem Leser vorzuführen. Da ist der Awirr, der sich nach Norden zu mit dem hohen Selki verbindet und der nach Osten zu ins Takazziéthal abfällt, während sich sein Westabhang ins Appenathal senkt; ferner treffen wir hier auf die malerische Felspartie Teiit, ein Theil des Totscha.
Unsere schwindelerregenden Alpenpässe mit ihren grausigen Schlünden, sie reichen in ihrer Gefährlichkeit nicht an die Berge Semiéns hinan. Der Weg windet sich oft an einer senkrechten Felswand neben furchtbaren Abgründen hin, sodaß auf ihm kaum ein unbeladenes Maulthier sicher hindurchkommen kann. An mehreren Stellen würde es sogar für Menschen unmöglich sein, vorbeizuklettern, wenn nicht an der ganz lothrechten Felsmasse auf künstlich angelegten Baumstämmen ein Pfad geschaffen wäre; aber auch dies ist mit so wenig Geschick gemacht, daß man oft in großer Lebensgefahr schwebt. Dazu gesellt sich das dornige Gesträuch, welches aus jedem Felsspalt dieser vulkanischen Massen wildwuchernd hervorstarrt und das Beschwerliche des Marsches im hohen Grade vermehrt. Diese Gefahren werden besonders