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Das Naturforscherschiff. Sophie Worishoffer
Читать онлайн.Название Das Naturforscherschiff
Год выпуска 0
isbn
Автор произведения Sophie Worishoffer
Жанр Зарубежная классика
Издательство Public Domain
Einer der Neger sprang ins Wasser, watete hinüber und ergriff vorsichtig die abgenagte Fledermaus. Nur das Knochengerüst war zurückgeblieben, nicht eine einzige Fleischfaser hing mehr daran.
»So ergeht es allen lebenden oder toten Geschöpfen, welche diesem Heerwurm in den Weg kommen und ihm nicht ausweichen können,« erläuterte Holm. »Selbst Elefanten werden von den blutgierigen Käfern angefallen und durch Hineinkriechen in den Rüssel vor Schmerz rasend gemacht. Wirft sich dann das riesige Tier, um seinen Qualen zu entgehen, ins Gras, so nehmen Legionen der winzigen Gegner von dem gestürzten Koloß Besitz, und in längerer oder kürzerer Zeit wird auch er skelettiert. Menschen, die z.B. im Schlafe von dem Heerwurm überfallen werden, sind verloren, wenn es ihnen nicht gelingt, ihre Kleider rechtzeitig abzuwerfen und, wie sie Gott geschaffen hat, zu flüchten. Dreht sich die furchtbare Kette, durch Hindernisse gezwungen, zufällig im Kreise, so gibt es daraus kein Entrinnen. Sechs bis acht dieser Geschöpfe auf der bloßen Haut genügen, um ein lebendes Wesen zur Verzweiflung zu bringen.«
»Und die greulichen Gesellen fressen nur Fleisch?« fragte Franz.
»Alle Lebensmittel überhaupt. Eine verwandte Art dagegen zieht das trockene Holz und namentlich das Papier vor. Ganze Bambusgebäude, Bücherkisten und Möbeln verschwinden über Nacht. Diese letztere Sorte bildet die euch dem Namen nach bekannten Termiten, sie marschiert auch in Zügen, aber nur während der Dunkelheit und unter der Erde, indem sie maulwurfsartige Gänge aufwirft. Ferner lebt in den Blättern niederer Bäume eine rote Art, die sich in ganzen Wolken herabfallen läßt, und im Sande eine graue, die von unten her ihr Opfer angreift. Zu dieser entsetzlichen Familie gehört auch die bei uns in Europa leider neuerdings wieder aufgetauchte Wanderheuschrecke. – Termitenbauten möchte ich übrigens doch gern in Augenschein nehmen,« setzte er hinzu. »Achilles, gibt es hier herum dergleichen?«
Der Dolmetscher nickte. »Es ist ein ganzes unbewohntes Termitendorf in der Nähe, Sir,« versetzte er. »Wir können es in einer Stunde erreichen.«
»In Papas Museum sind übrigens auch solche Bauten!« warf Franz ein. »Hast du sie nicht gesehen, Karl?«
»O ja, mein Lieber, aber ebensogut könntest du einen Riesen und einen Zwerg ohne weiteres vergleichen, indem du beide einfach Menschen nennst. Die Exemplare von Termitenbauten, welche Papas Kapitäne ihm für sein Museum aus Afrika mitgebracht haben, sind vielleicht so groß wie ein Wassereimer, die völlig fertigen, bewohnt gewesenen Höhlen dagegen sind höher, geräumiger und besser erbaut als Negerhütten.«
»Man könnte also ordentlich hineingehen?« riefen voll Neugier die Knaben.
»Das natürlich nicht, ihr Voreiligen! Die Termiten haben sämtliche Gänge für den eigenen Bedarf, aber weniger für die Höhe junger, wissensdurstiger Naturforscher eingerichtet.«
»Freund Achilles,« setzte er gegen den Dolmetscher hinzu, »könnten Sie mir einen jener Generale, die dort an den Seiten des Zuges marschieren, herüberlangen? Ein recht großes Exemplar möchte ich gern haben und ein unausgewachsenes Junges außerdem.«
Man blieb an geeigneter Stelle stehen, und der Neger brachte zuerst einen der stattlichsten Braunröcke, ein Tier von 1½ Zentimeter Länge; dann aber mußte er, um ein Junges zu erreichen, in die Mitte des Zuges hineingreifen, und das konnte er nur, indem er auf den äußersten Rand der lebenden Masse trat. Binnen Sekunden war das unbekleidete Bein bis zum Knie mit den blutsaugenden Geschöpfen bedeckt, eben so schnell aber tauchte der Neger das gefährdete Glied ins Wasser und entledigte sich dadurch der sofort verendenden Quälgeister. Ohne die mindeste Unterbrechung, geräuschlos, unabsehbar wanderte mit Milliarden von Füßen der scheußliche Heerwurm. Die eingefangenen Exemplare wanderten in ein weithalsiges, halb mit starkem Spiritus gefülltes Glas, in welchem sie nach wenigen Zuckungen verendeten.
Unsere kleine Reisegesellschaft brach auf. Wenn das nahe Termitendorf besehen war, so mußte man den Heimweg antreten, um noch vor Nacht wieder bei den Negerhütten zu sein. Erst morgen sollte ein größerer Ausflug in aller Frühe unternommen werden.
Eine weite Lichtung dehnte sich vor den Blicken, ordentlich wohltuend nach soviel undurchdringlichem Gewirre von Stämmen und Ranken, Blumen und Gebüsch, aber ungleich heißer freilich als unter dem Blätterdach. »O was doch der Schatten tut!« rief Hans.
»Freilich, mein lieber Junge,« lächelte Holm. »Die Pflanzen wehren den Sonnenstrahlen, so daß nur ein Bruchteil bis auf den Boden gelangt. Das ist das Geheimnis der Waldkühle und zugleich das der regenlosen Gegenden, wie z.B. der Wüste Gobi, der Kergueleninsel und anderer Landstrecken. Die bewaldeten Höhenzüge stehlen dem Wind alle und jede Feuchtigkeit, so daß er auf der entgegengesetzten Seite völlig trocken ankommt. Ich will euch – «
Ein gellender Schrei, ein Rauschen und Krachen in den nächsten Zweigen unterbrach plötzlich die angefangene Rede. Papageien flogen kreischend in die höchsten Spitzen der Bäume, Früchte, dürre Äste und Schalen prasselten, offenbar als Geschosse verwendet, auf den Boden herab, und eine Schar ganz kleiner Affen floh behende über die Wipfel dahin. Einen Augenblick schien es, als husche an einem der Stämme ein dunkles, seltsam gestreiftes und geflecktes größeres Tier hinauf, dann war im Augenblick alles still.
»Schleichkatzen!« sagten die Neger, »Virenen!« und darauf umringten sie von mehreren Seiten den Baum, indem zugleich die Weißen mit geladenen Gewehren Posto faßten und alles, was ihre Führer taten, scharf beobachteten.
»Ein Jagd in aller Form!« flüsterte Doktor Bolten. »Wer hätte gedacht, daß man in seinen alten Tagen noch am Äquator Zibetkatzen schießen würde!«
»Pst! Klang das nicht ganz wie Kindergeschrei?«
»Die jungen Kätzchen sind also in unmittelbarer Nähe!« raunte Holm. »Auf, ihr beiden, sucht das Nest!«
Mit Mühe einen lauten Jubelschrei unterdrückend, verschwanden die Knaben am Rande des Unterholzes, und nun wurde minutenlang alles so totenstill, daß man sein eigenes Herz schlagen hörte und das leichte Flüstern der Blätter im Winde.
Achilles schlich an den Doktor heran, zwei Finger auf die Lippen gelegt und so leise, als sei er selbst ein Kater, der das Wild überrumpeln wolle. Die anderen Neger folgten ihm. »Pythonschlange!« hauchte er. »Dort!«
Aller Blicke folgten dem ausgestreckten Finger. Durch das meterhohe, üppig wachsende Gras der Lichtung wand sich‘s braunschillernd, gelbgefleckt mit schuppigen Ringeln dahin, wenigstens zehn Meter lang und vom Durchmesser eines tüchtigen Baumstammes. Lautlos glitt die Schlange bis an den Stamm, darauf die Zibetkatze saß, und begann denselben zu umschlingen, indem sie sich dabei auf die Stummelfüße des Schwanzes stützte. Ein Schnaufen und Prusten der überlisteten Katze bewies, wie sehr sich das Tier fürchtete. – Die nächsten, stärkeren Zweige konnte es springend nicht erreichen, an den Erdboden gelangen auch nicht; was blieb ihm also übrig, als widerstandslos auszuharren, bis sein Körper durch die kalten, glatten Schlangenglieder umstrickt und ihm alle Knochen im Leibe zerbrochen sein würden?
»Wollen wir die Schlange erobern oder die Katze?« fragte Doktor Bolten. »Eins ist nur denkbar!«
»Die Bälge beider Tiere,« gab Holm zurück. »Die Schlangen können ihre Beute nicht kauen, sondern verschlucken sie ganz. Wenn die Katze zermalmt, mit Geifer überzogen und verschlungen ist, läßt sich die Schlange träge herabsinken und leicht durch einen Schuß in den Kopf töten.«
Wieder wurde alles still, nur ein Angstschrei aus den Zweigen gellte zuweilen herab, und einige Papageiennester mit Eiern oder erwürgten, halbflüggen Jungen fielen ins Gras. Dann aber folgte ein Knirschen und Krachen, der ganze Baum zitterte unter den heftigen Bewegungen da oben, und endlich sank die Schlange unförmlich angeschwollen wie ein Klumpen auf den Boden herab.
Ehe einer der Männer Zeit bekam, das Gewehr an die Wange zu legen, krachte von der Seite her ein Schuß, und Franz sprang mit lautem Hurra der erlegten Riesin näher, um durch einen Kolbenschlag sein Werk zu vollenden, – Holm konnte ihm kaum zur rechten Zeit in den Arm