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Als Mariner im Krieg. Joachim Ringelnatz
Читать онлайн.Название Als Mariner im Krieg
Год выпуска 0
isbn
Автор произведения Joachim Ringelnatz
Жанр Зарубежная классика
Издательство Public Domain
So ideal, wie wir die Platzverteilung uns ausgemalt hatten, kam es nun aber nicht. Es gab Enttäuschungen und Brummen und Murren, obwohl wir eigentlich Ursache hatten, recht dankbar zu sein. Ich kam mit Jessen in eine Kabine, die etwa vier Quadratmeter maß. Er, als Älterer, bekam die richtige Koje; ich schlief auf einer kurzen Plüschbank, und meine darüber hinausragenden Beine mußte ich in eine Art offenen Kasten stecken. Dafür wurde ich durch ein Kommodenfach entschädigt. Wenn ich das Kommodenfach herausziehen wollte, mußte Jessen erst an Deck gehen. Wenn Jessen ins Bett kroch, mußte ich mich ganz platt an die Wand drücken. Beim ersten großen Reinigen gab es beglückende Funde, absichtlich oder versehentlich zurückgelassene Gegenstände in Winkeln und Spinden; Teller, Löffel, ein Kalender, ein Kleiderbügel, ein Kamm. Das war wie im Märchenland. Besonders Flaschen wurden geradezu erregt hervorgezogen, dann unter allgemeiner Spannung berochen. Gilka stand darauf. Und Leinöl war darin. Der Heizer Tünnes trank alle Flaschen ungeprüft aus. Ich hatte das Glück, Rizinus-Öl zu erwischen, damit wollte ich meine Seestiefel weich machen.
Neben uns, leer, zerschrammt, zerschunden und verbeult, lag unsere »Blexen«. Sie sollte nach einer Emdener Minensuch-Division gehen, aber der Oberleutnant, der sie dorthin bringen sollte, weigerte sich, das gebrechliche Fahrzeug zu übernehmen. Wir hatten Leute unter uns, die schon in Zivil und als Schiffer solche Fahrzeuge wie »Blexen« und »Vulkan« gefahren hatten. So konnten wir ungefähr berechnen, welche Unsummen das Chartern, Indienststellen und Außerdienststellen es den Staat kosten würde und welche Verwirrungen zu Friedensschluß bei Zurückgabe der Boote entstehen mußten. Jessen hatte Geburtstag. Ich weckte verabredetermaßen die Matrosen, und wir brachten ihm, den Wasserschlauch in der Hand, eine Ovation.
Noch ein letztes Mal sahen wir »Blexen«, von fremden Matrosen hinausbugsiert. Ich stellte traurige Betrachtungen an, und dabei ward mir etwas anderes klar, nämlich, daß sich alle Schiffe und alle echten Seeleute entzaubern, bevor sie in ihren Hafen zurückkehren.
Der Obermaschinistenmaat war an Land gegangen, um sich von der »Vulkan«-Braut zu verabschieden. Außerdem besorgte er unsere Post. Für mich war eine Bierkarte mit Unterschrift von Max Halbe, und Süßigkeiten vom Pazifisten Quidde dabei, ferner eine neue Pfeife, die ich Apollo benamste.
»Vulkan« lief aus, lief zirka zwölf Seemeilen. Eine allgemeine Nervosität lag auf uns. Jeder war jemandem böse, ich dem Kommandanten, der mich, als er das merkte, zu einem Schnaps einlud.
So ging‘s, so geht‘s. Bald waren wir auf dem großen »Vulkan« unzufriedener als auf der kleinen »Blexen«.
Es schien, als wäre der Kommandant ein anderer geworden. Er aß nicht mehr mit uns gemeinsam, sondern in seinem Salon, hatte sich ein eigenes Klosett reserviert, was uns sehr beleidigte, und schlug auf einmal einen strengeren Befehlston an.
Als wir uns von den Dukdalben an der Mole die Pfahlmuscheln absammelten, die ein gutes Gericht mit Zwiebelsoße gaben, kam ich mit einem Heizer ins Gespräch. »Böttger heißen Sie?« fragte ich. »Leben Ihre Eltern in Kurland?«
»Ja«, antwortete er, »woher kennen Sie die?«
»Ich saß einmal vor mehreren Jahren in Riga in einem Eisenbahnzug zwischen lauter Russen. Neben mir ließ sich schweigend ein älteres Ehepaar nieder. Das war in der Nacht vom Dezember auf Januar. Ich wußte, daß der Zug Punkt zwölf Uhr abfahren mußte. Das war, nach deutscher Zeit gerechnet, die Silvesterstunde. Als nun die Bahn sich in Bewegung setzte, da hätte ich aus einem Gefühl von Einsamkeit und Heimweh heraus so gern laut ›Prost Neujahr‹ gerufen. In diesem Moment küßte der schweigsame Herr die schweigsame Dame und sagte leise und innig: ›Gutes neues Jahr!‹ Da wurde ich mit ihnen bekannt und habe sie später oft besucht.«
Einmal weckte mich der Koch mit folgendem Geflüster: »Bootsmaat, Feuer an Bord —« Wirklich, die Kombüse brannte, aber wir löschten das Feuer rasch. Die See war spiegelglatt, nur als die ›Pillau‹ in voller Fahrt vorüberdampfte, rüttelte uns ihre Bugwelle hoch. Es war so, als hätte ein vorbeirennender Mann uns einen Stoß mit dem Ellbogen versetzt und dabei gerufen: »Platz da, ihr Faulenzer, ich hab Wichtiges vor!«
Mutter hatte mir meine Mandoline gesandt. Ich konnte nur wenige Lieder darauf klimpern, jetzt, mit meinen steifen Arbeitsfingern ging‘s noch schlechter. Auch hatte das Instrument einen Sprung bekommen, aber es zierte unsere Kabine, und auf einem der bunten Bänder war von Maulwurf ein Maulwurf eingestickt. Und dann spielte ich, die Matrosen sangen dazu, unser Leiblied »Seemannslos« von Adolf Martell. Wer mochte wohl dieser Martell sein, lebte er noch? Ahnte er, wie populär dieses Lied geworden war?
Erna Krall schrieb mir über ihre Tätigkeit als Krankenschwester; sie beklagte sich über ihre Großmutter, die sie immer schon um zehn Uhr zu Bett schickte. Ach hätte ich doch eine Großmutter, die mich um zehn Uhr zu Bett schickte.
Ins Tagebuch notierte ich mir: Jessen. Sehr eifrig. Bastelt zu jeder Tageszeit an Deck herum und schielt dabei häufig nach der Brücke, ob man‘s bemerkt. Nach einem Malheur aus dem Wasser gezogen, sah er aus wie ein Seehund, der gleich niesen wird. — — — Obermaat Eibel trägt immer eine Bartbinde und ein schlechtes Gewissen, was er durch gelegentliche Anfälle von Arbeitswut verbergen möchte. »Kann ich Ihnen helfen?« fragt er dann, und wenn man »Ja« antwortet, entfernt er sich eilig.
Maschinistenmaat Witzmann, kleinlicher, pedantischer Spießer, spricht Sächsisch und hat eine Heidenangst davor, daß wir auf das zirka achtzig Meter von uns entfernte Minenfeld geraten könnten. Ich überbringe ihm immer eiligst, was ich von Explosionsunfällen in der Stadt oder vom Lotsen höre. — — — Der hohe Sperrkommandant, Kapitänleutnant Rusch, schlank, ruhig, mit einem ewigen maliziösen Lächeln im Gesicht, ununterbrochen streng. — — — Obermaschinistenmaat Schaffrot, sehr geschickter Techniker, lustig, derb, unvornehm, ungebildet. — — — Matrose Stüben, rothaarig und dick, sieht aus wie ein Riesenschweinchen, ist aber unser bester und zuverlässigster Seemann. — — —
Auch auf »Vulkan« leckten die Kojen und schlossen die Bullaugen schlecht. Ich war Tag und Nacht naß; mir hätten Flossen wachsen können.
Der Kommandant vom Fahrzeug »Rote Sand« war so unbeliebt, daß wir uns laut amüsierten, als sein Boot mit einem Fischdampfer kollidierte und sich dabei den Steuerbordbug eindrückte. Doch kamen bei allen anderen Booten ebenfalls von Zeit zu Zeit mehr oder weniger schlimme Zusammenstöße vor, was jedesmal ein langes Nachspiel von Zank und Verdruß hatte.
Es zirkulierte eine Liste, jeder sollte eintragen, was er an Schuhwerk und Kleidungsstücken notwendig brauchte. Ich schrieb nur hin »Zwei Obermaatenabzeichen« und unterstrich das »Ober«, um den Wink noch deutlicher zu machen.
»Bootsmaat«, brummte Eichmüller nachts auf Wache, »dort ist ein Licht.« Ich folgte seinem Finger und sagte dann: »Nein, das ist Meeresphosphor.« Schweigend gingen wir weiter, jeder auf seiner Seite, mit gleichmäßigen schnellen Schritten und in unförmige Wachmäntel gehüllt. »Eichmüller«, sagte ich nach einer Weile, »hast du die Schüsse gehört?«
»Das ist der Dienstmann«, erklärte Eichmüller gähnend, »der klopft auf den Tisch; die spielen unten Karten.« Darauf wurde ich zum Steuermann gerufen. Der sagte: »Ich habe eine Meldung über Sie gemacht«, und schob mir ein Schriftstück hin. Ich las: »Ich halte den Bootsmaat Hester für geeignet zur Beförderung ... K. Kaiser.« Ich dankte militärisch, strahlte Glück und empfing noch eine Zigarette und Befehle. So kam ich wieder an Deck. Es war eine kalte Nacht. Am Mast schlug das Tauwerk, und an die Schiffswand planschte, rauschte und zischte das Wasser. Aber mir war wohl zumut, und in dieser Stimmung redete ich immer aufs neue auf Eichmüller ein, obwohl ich klüger getan hätte, meine Worte an ein Waschfaß oder an ein Dampfrohr zu richten. »Denke dir: Portugal geht nun auch gegen uns. Das wäre ja an sich nicht schlimm, aber es liegen noch etwa 200 deutsche Schiffe