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Als Mariner im Krieg. Joachim Ringelnatz
Читать онлайн.Название Als Mariner im Krieg
Год выпуска 0
isbn
Автор произведения Joachim Ringelnatz
Жанр Зарубежная классика
Издательство Public Domain
Zum Abendessen war ich von Herrn Intendanturrat eingeladen. Darauf freute ich mich, denn ich hatte lange nicht mich mit einem gebildeten Menschen unterhalten. Herr Bruhn sah aus wie eine vertrocknete Kartoffel, war ein pedantischer und nervöser Junggeselle und bewohnte ein ostasiatisch möbliertes Häuschen. Während ich, im unklaren darüber, ob beziehungsweise wie weit ich ihm gegenüber mich militärisch benehmen müßte, sehr wenig und unsicher sprach und das Tischtuch mit Suppe bekleckste, erklärte er mir seine dienstliche Tätigkeit. Verwaltungsgeschäfte, die Ankauf, Schlachten und Verkonservierung von Viehherden, Abfindung von Hinterbliebenen der Kriegsgefallenen, Verbuchung des mit Schiffen versunkenen Materials und Ähnliches betrafen.
Das Leben zwischen Tauwerk, Masten und Schiffseisernem war mir eigentlich doch recht schnell wieder zur Gewohnheit geworden. Viele in Jahren vergessene Kenntnisse und Fertigkeiten waren mir mit eins wieder aufgelebt. Wir arbeiteten mit höchstem Eifer, denn »Blexen« sollte nun wirklich bald auslaufen und mußte bis dahin in sauberem und seetüchtigem Zustand sein. Da gab es die langwierigsten Laufereien, um einen kleinen Docht für die Lampe des Maschinentelegraphen zu besorgen. Überhaupt war das Schwierigste, die zuständige Werkstatt oder das richtige Lager in der Werft zu ermitteln und die erforderlichen Ausweispapiere und Auslieferungsstempel zu erhalten. Aber wenn das geglückt war, erhielt man auch die herrlichsten Dinge oder wurden die kompliziertesten Gegenstände in zauberhafter Geschwindigkeit hergestellt. So erhielt unser Koch einen großen, verzinkten Proviantspind, der für jede Köchin eine Seligkeit bedeutet hätte. Apfelbaum versaute diese Seligkeit im Nu.
Jessen bemalte sein Schiff außenbords und innenbords. Der Obermaat polierte seine Kanone wie ein Kleinod. Ich machte aus dem Ruderhaus ein Schmuckkästchen, und zwar ziemlich allein, denn mein Dienstmannmatrose begleitete die Arbeiten mehr mit akademisch sein sollenden Reden. Ich strich die Wände weiß, machte das Ruderrad und die Holzvertäfelung mit Leinöl und Schellack glänzend und putzte Messing, Zink und Glas. Das Material dazu erbettelten oder besorgten wir in den Werkstätten und auf fremden Schiffen. War ich anfangs enttäuscht, weil der Kommandant niemals meinen Eifer lobte, so merkte ich doch bald, daß er in seiner verschlossenen Art überhaupt nie, weder für noch gegen, mehr als das Notwendige sprach.
Als wir Maate die Zimmermannsspuren aus der Messe entfernt hatten und ich meinen Spind und meine Koje tadellos sauber eingerichtet wußte, da fühlte ich mich im Bereich dieses Doppelbesitzes viel glücklicher als je zuvor in der vornehmsten Behausung.
Wer von uns noch Geld besaß, versorgte sich nun auch mit Privatvorräten, mit Schnaps, Kau- und Rauchtabak. Ich hatte aber kein Geld mehr. Nach dem Inhalt einer Karte von meinen Eltern hatten mich eine Postanweisung und mehrere Briefe verfehlt, irrten wer weiß wo herum oder waren unterschlagen.
Unser Dampfkessel war repariert und geprüft, »Blexen« war bereit zum Auslaufen.
In See auf »Blexen« und »Vulkan«
Nun lag unser Boot draußen verankert auf Vorposten. Ich hockte in einer schmierigen Hose und mit beschmierten Händen auf meiner Koje unter der Back und badete mein Herz in einem achtundzwanzig Seiten langen Brief von Eichhörnchen. Auf dem Tisch flackerte eine Kerze, die ich durch den aufrecht gestellten Sozialen Volkskalender von 1913 nach zwei Seiten abgeblendet hatte. Denn nicht das zarteste Lichtscheinchen durfte aus dem Schiff dringen. Ich dachte dann sehr deprimiert daran, daß ich wohl nun den ganzen Krieg über auf diesem harmlosen Sperrfahrzeug zubringen würde, ohne je an den Feind zu kommen. Vorläufig war allerdings alles, was ich bei viel Arbeit und wenig Schlaf sah, verrichten und lernen mußte, eigenartig und interessant. Und mit der Kasernen- und Werftzeit verglichen ein guter Fortschritt. Ich war auch im großen und ganzen zufrieden, als ich so auf meiner Seegrasmatratze schaukelte und Eichhörnchens überschwengliche, innige Reden las, die das Postboot abends in unsere kalte, rauhe oder rohe Abgeschiedenheit gebracht hatte.
Dann ging ich mit dem naseweisen, schlanken Matrosen Eichmüller Deckswache. Er an Steuerbord, ich an Backbord. Wir mußten auf alle ein- oder auslaufenden Schiffe aufpassen; besonders befürchtete man feindliche Torpedoboote und Unterseeboote. Den sich nähernden Schiffen hatten wir mit vielfachen Anrufen, unter Anwendung vielfacher Apparate auf den Zahn zu fühlen. Laternen, Raketen, Blink- und sonsterlei Signale kamen in Betracht. Dabei war die Wasserfläche in weitem Umkreis, unsere Ankerkette, waren Bänke, Bojen, Strömungen, Minen, Kompaß, Wind, Schüsse von draußen und Mitteilungen anderer Schiffe zu beachten, die in gewisser Entfernung von uns lagen. Vor allem standen wir mit unserem Führerboot »Glückauf« in stetem Signalverkehr. Dort residierte der strenge Sperrkommandant. Die umliegenden Forts waren leicht zu alarmieren, und unsere Kanone blieb immer schußbereit. Der Wachtdienst machte mir das meiste Vergnügen.
Sonst mußte ich viel herumlaufen, bald auf die Brücke klettern, bald hier oder dort die Leute kontrollieren, die zum Teil wenig seemännische Erfahrung hatten oder sich gern um die Arbeit drückten; dann wieder an den Maschinentelegraphen oder an die Flaggen oder an Bord von anderen Fahrzeugen, die längsseits kamen, um irgendwas abzugeben oder überzunehmen.
Tag und Nacht abwechselnd vier Stunden Dienst, vier Stunden Schlaf. Aber in die Schlafzeit fielen die Mahlzeiten, das Sichwaschen, die Zeugwäsche, das Zeugflicken, überhaupt alle privaten Angelegenheiten. Es war gerade kein einfacher Dienst. Schon was wir in bezug auf Signale und Vorschriften in kurzer Zeit beherrschen sollten, kam mehreren Sprachen gleich.
Ich war meiner Augen wegen sehr in Sorge. Ich sah keineswegs schlecht, aber ich sah nicht so scharf in die Ferne, wie die meisten von uns. Wenn ich neben dem Kommandanten auf der Brücke oder neben Stuben, unserem besten, erfahrensten Seemann, am Ruder stand und ein auftauchendes Schiff später entdeckte als sie, dann war ich ganz unglücklich. Denn ich hütete mich, diese Augenschwäche einzugestehen und riskierte lieber, für unachtsam zu gelten, weil ich die übertriebene Angst hegte, man könnte mich nachträglich für borddienstuntauglich erklären. Dabei ersetzte ich durch verdoppelte und begeisterte Aufmerksamkeit zweifellos das Manko meiner Sehkraft.
Das Schwein, den Koch Apfelbaum, wurden wir endlich los; wir vertauschten ihn gegen einen neuen Koch, nachdem er zum Schluß noch den größten Teil unserer Kantinengelder versoffen hatte. Von mir war er einmal darüber ertappt worden, wie er Rotkohl in der Kaffeemühle zerkleinerte, da hätte ich beinahe wieder ein gutes Wort für ihn eingelegt.
Kaum waren meine gequetschten Finger wieder heil, so fiel ich, als wir das Schiff zu der gefürchteten Kohlenübernahme herrichteten, in eine Bunkerluke und prallte so heftig auf, daß mir eine Zeitlang übel war. Da ich aber im übrigen mit einigen Schrammen davonkam, so war ich zufrieden, auf anständige Art vom Kohlen ausgeschlossen zu sein. Schlimmer stand es um mein Fußleiden, seitdem ich oft stundenlang in nassen Schuhen und Strümpfen stak.
Durch den Lotsen erfuhren wir Neuigkeiten, darunter die Geschichte von den Deutschen, die sich gefangen auf einem englischen Boot befanden, das auf eine von ihnen gelegte Minensperre lief, die aber nicht warnten und nichts verrieten, sondern sich opferten. »Blexen« löste sich mit den anderen Booten ab. Waren wir heute Vorpostenboot, so lagen wir morgen als verfügbares Freiboot neben »Glückauf«, und übermorgen waren wir vielleicht inneres oder äußeres Sperrschiff. Manchmal gab es Eßzulagen, für jedermann ein Stückchen Sülzwurst. Oh! Und immer wieder wurden Übungsstunden im Signalisieren angesetzt. Das Winken machte mir Spaß. Ich beherrschte den einen Teil davon, das Geben, so gut, daß ich mir sogar eine Geheimschrift daraus konstruierte, mit der ich von nun an in meinen Tagebüchern zensurbedrohte Notizen schrieb. Aber gegen das Morsen nahm ich eine Abwehrstellung ein, wie etwa gegen Stenographie, die mir ebenfalls als eine seelenlose, langweilige und zeitvergeudende Angelegenheit vorkam.
Ich hielt Eichmüllern eine pädagogische Rede: er sollte doch sein rabautziges Wesen lassen und nicht über alles und jedes nörgeln, er sei doch der Jüngste. Eichmüllern schienen meine Ermahnungen seltsam nahezugehen.