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Als Mariner im Krieg. Joachim Ringelnatz
Читать онлайн.Название Als Mariner im Krieg
Год выпуска 0
isbn
Автор произведения Joachim Ringelnatz
Жанр Зарубежная классика
Издательство Public Domain
Endlich lagen wir gut. Ich warf mich erschöpft in einem noch etwas trockenen Winkel nieder, neben mir der Kommandant. Er gab mir noch einige dienstliche Instruktionen und schloß mit dem Seufzer: »Das ist ein Leben!« — »Ja«, antwortete ich, »und wenn der Krieg zu Ende ist, haben wir nichts vom Feind gemerkt, und man sieht uns scheel an.« — »Nein, Hester«, erwiderte er, »wir haben das Unsrige —« Wahrscheinlich wollte er noch »getan« sagen, aber er schlief schon. In diesem Augenblick rief die Wache, daß wir trieben und wieder auf elf Meter ins Fahrwasser geraten wären. Also alle Mann an Deck, Kette einholen und neues Suchen und neue Manöver. Weil ich Mittelwache hatte, schickte mich der Kommandant zur Koje. Er duldete auch nicht, daß ich freiwillig an Deck blieb. Bevor ich mich hinlegte, schrieb ich noch bei einem Lichtschimmerchen Tagebuch. Neben mir phantasierte Jessen im Schlaf. Er hielt dänische Reden, die mir, ich weiß nicht warum, sehr deutschfeindlich vorkamen.
So fuhren wir Tag für Tag, auch sonntags und nachts, im Regen und Wind. Die Kriegsflagge an der Gaffel war zerfetzt und vom Ruß geschwärzt wie die Pulverflagge. Meine Seestiefel verloren durch das künstliche Trocknen und wieder Naßwerden und wieder Trocknen ihre Fasson und waren auch nicht durch Tran mehr zu erweichen, so daß sie mir die Füße blutig scheuerten. Nachts fröstelte einem. An Land kamen wir nur selten. Unsere »Blexen« war so leck und beschädigt, daß wir die Hoffnung hegten, bald einmal zwecks Reparatur in die Werft zu kommen. Nachts im Ruderhaus war ich, allein für mich, am glücklichsten. Da konnte ich grübeln und schreiben und lesen. Ich hatte mir eine Beleuchtung konstruiert, die, von außen nicht bemerkbar, nur mein Notizbuch oder die Zeitung beleuchtete. Die Briefe, die ich schrieb, strotzten, wie ich erfuhr, von Schreibfehlern. Aber sie waren auch immer in Eile und Müdigkeit geschrieben, vielleicht verdarb auch das seltsame Gemisch von Seemanssprache, Plattdeutsch und anderen Dialekten, das wir an Bord redeten, die Orthographie. Auf dem Ruderhaus lag eine rote Rakete, die auf besondere Weise zu entzünden war. Sie sollte losgelassen werden, wenn wir ein feindliches Schiff bemerkten, und sie hätte dann die ganze Küste alarmiert, die sofort in langen Strichen Schrappnellfeuer eröffnet hätte. Uns wurde nie klar, auf welche Weise dann unsere eigenen Boote von diesem Schrappnellfeuer verschont geblieben wären.
Es kamen wieder ruhige und sonnige Tage. Im Wasser trieben Wrackstücke und Teile von Schiffsladungen. Besonders große Balken, die einerseits eine Gefahr für die Schiffe und andererseits wertvolles Holz waren, fischten wir heraus, eine der angenehmeren Abwechslungen, zu denen auch das Übungsschießen mit der Kanone oder mit Gewehren nach einer schwimmenden Scheibe gehörte.
Ich bekam wieder Pakete von Haus und von Maulwurf und von Eichhörnchen. Das Eßbare teilte ich mit allen. Die Pulswärmer schenkte ich Stüben, und mit den verwelkten Sträußen und mit der Fotografie meines Schwagers Hermann, der als feldgrauer Offizier ritt, schmückte ich meine Kojenwand.
Vor dem Kriege hatte ich mir wenig aus Süßigkeiten gemacht, jetzt war das ganz anders. Wenn ich an Land kam, schwelgte ich in Schlagsahne und Zwetschgenkuchen, und an Bord erfand ich mir eine Art Bonbons aus Kakao, Hoffmannstropfen und Migränezucker.
Kleine Zwischenfälle gab es immer. Durch Schuld des Lotsen rannten wir eine Dampfpinasse an, deren Wert wir auf fünfzigtausend Mark schätzten. Wir hatten mit einem Scheibenfloß Verdruß, das wir einschleppten, das aber von der Strömung unter unser Boot gerissen wurde, wobei Jessen beinahe ums Leben kam. Wir kamen so nach und nach beinahe alle einmal beinahe ums Leben. Ein Doppeldecker flog über uns und ging dann im schönen Gleitflug aufs Wasser nieder; das war doch eine ganz andere Waffe als unsere langweiligen Sperrfahrzeuge oder die von den übrigen Marinern das »Filzlausgeschwader« genannten Suchboote. Wir beneideten auch die tapfere Infanterie, die schneidige Kavallerie, die heldenhaften Pioniere. Wir, oder wenigstens ein Teil von uns, beneideten alle anderen Waffengattungen.
Abends in Wilhelmshaven schossen wir wie losgelassene Eber an Land. Ich las — das tat man schon allgemein so — zwischen den Zeitungszeilen. Die »Möwe« war gesunken. Reims war wieder in französischen Händen. Als ich nachts zurückkam, hatte ich gehörig einen in der Krone. Ich sprach eine hübsche Dame, die aus einem Parterrefenster schaute, so an: »Auf wen warten Sie? Sind Sie verheiratet? Haben Sie Blumen gern?«
Da inzwischen Ebbe eingetreten war, lag »Blexen« jetzt so tief unter der Mole, daß ich nur mit Hilfe einer Leiter an Bord gelangen konnte, was bei meinem Zustand sehr langsam gelang. Unterwegs, also mitten auf der steilen Leiter, fiel mir ein Auftrag ein, den mir der Kommandant schon vor einer Woche erteilt und den ich immer wieder vergessen hatte. Ich sollte feststellen, ob die Matrosen Sturm und Schulz katholisch oder protestantisch wären. Ich rief nun laut den Sturm und den Schulz, und sie kamen, waren aber auch so bezecht, daß wir uns absolut nicht verstanden. Sturm meinte, er sollte das Abendmahl bekommen und forschte immer nach dem Becher.
Nach dem Malheur mit der Dampfpinasse überstrichen wir jetzt heimlich den am Bug in goldenen Lettern prangenden Namen »Blexen« mit schwarzer Farbe, damit wir in künftigen ähnlichen Fällen uns unerkannt aus dem Staube machen könnten. Um die Matrosen etwas zu entlasten, teilten wir Unteroffiziere uns freiwillig in die nächtlichen Hafenwachen. Neben mir lag zufällig der Dampfer »Hansa«, der seinerzeit im Frieden den Dampfer »Primus« mit fünfhundert Passagieren zum Sinken gebracht hatte. Jetzt war die »Hansa« Lazarettschiff, und der Posten davor erzählte mir, daß alle Wilhelmshavener Krankenhäuser überfüllt wären.
Auf dem Marktplatz erkannte ich am nächsten Morgen vor einer Blumenbude die Dame, die ich nachts angesprochen hatte. Ich kaufte ihr ein Sträußchen und sagte: »Merken Sie nun, warum ich Sie gestern gefragt habe, ob Sie Blumen gern haben?« Pfeiffer traf ich an, wie er in hellster Freude seine feldgraue Ausrüstung betrachtete, mit der er anderntags gleich vielen anderen der dort in der Kaserne herumlungernden Matrosen nach Belgien abrücken sollte. Außerdem war er zum Obermaaten befördert worden, wohl seiner unerschütterlichen Ruhe wegen, die als »Gesetztheit« geschätzt wurde. Ich eilte auf seinen Rat hin sofort zum Personalbüro A und bat ebenfalls um Beförderung zum Obermaaten, was nämlich mit einer geringen Erhöhung meiner geringen Löhnung verbunden gewesen wäre. Es hieß, ich sollte mich dieserhalb an meinen Kommandanten wenden. Da ich das ohne besondere Begründung nicht konnte, nun aber einmal auf dem Büro war, bat ich, wenigstens auf ein größeres, ins direkte Gefecht kommende Schiff versetzt zu werden. Mein Name wurde vornotiert. Er war schon oft vornotiert.
Auslaufend geriet »Blexen« einer heimkehrenden T-Flottille in die Quere. Der Chef des Führerbootes stellte erzürnt den Namen unseres Kommandanten fest. Der war ziemlich bedrückt. Nach unsrer aller Ansicht traf ihn zwar kein Verschulden, aber er würde doch eine Zigarre vom Sperrkommandanten bekommen, denn er war kein Redner und verstand es nicht, sein Recht und unsere Rechte zu verteidigen.
Unsere arme »Blexen« als kleinstes Schiffchen mit seinem guten, anständigen Kommandanten wurde immer als Mädchen für alles und für alle ausgenutzt. Wir wurden bei hoher Dünung von Boot zu Boot geschickt, mußten dann auf einem verankerten Scheibenfloß die Leinwand reparieren, und als wir das, mit nackten Füßen auf dem nassen Holz hin und her glitschend, mühselig erledigt hatten, geriet hinterher das Floß in unsere Schiffsschraube und wurde in Splitter und Fetzen zermahlen. Und der Steuermann holte sich auf »Glückauf« seine »dicke Zigarre«, und wir wurden — es war ein freier Sonntag —